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Landtagswahl in Hessen Nancy Faeser und die "Röttgen-Falle": Der Vergleich hinkt – zum Teil

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)
© Kay Nietfeld / DPA
Tappt Nancy Faeser in die "Röttgen-Falle"? Für die Bundesinnenministerin würden sich noch andere Herausforderungen auftun, sollte sie die Hessen-SPD in den Landtagswahlkampf führen.

Im Nachhinein ist man immer schlauer. "Da habe ich einen Fehler gemacht", räumte Norbert Röttgen Jahre später ein. "Ja, das war ein ganz großer Fehler", meinte auch Horst Seehofer, der seinem CDU-Kollegen allerdings schon kurz nach dem Debakel in bemerkenswerter Weise die Leviten las: Die ausführliche Fehleranalyse, die der damalige CSU-Vorsitzende vor laufender Kamera anstellte, war nicht mehr Teil des eigentlichen Interviews. "Sie können das alles senden", sagte Seehofer. Und das ZDF nahm ihm beim Wort.

Nun ist das alles schon lange her, doch die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen von 2012 wird aus aktuellem Anlass wieder als Nachweis dafür herangezogen, wie verheerend Vagheit in einem Wahlkampf sein kann.

Röttgen, seinerzeit Bundesumweltminister und CDU-Spitzenkandidat, hatte sich nicht festlegen wollen, ob er im Falle einer Niederlage als Oppositionsführer nach Düsseldorf wechseln oder als Minister in Berlin bleiben wolle. Nach der historischen Wahlschlappe entschied er sich für Berlin. Kurz darauf wurde er von Bundeskanzlerin Angela Merkel aus dem Kabinett geschmissen. 

"Das hatte viele Ursachen", wusste Seehofer das Fiasko zu erklären, "zum Beispiel, dass man sich nicht voll für dieses Land entschieden hat." 

Seitdem ist von der "Röttgen-Falle" die Rede, wenn Politiker kein klares Bekenntnis zu ihrem Karriereweg abgeben wollen. Auch Armin Laschet hatte wohl mit einem Rückfahrtticket ins Ministeramt geliebäugelt, sollte er statt im Kanzleramt auf der Oppositionsbank landen. Schließlich setzte er, vergebens, doch alles auf eine Karte. Und Nancy Faeser?  

Eine Rückfalloption, abgesegnet vom Kanzler?

Die Bundesinnenministerin wird wahrscheinlich Spitzenkandidatin der hessischen SPD bei der Landtagswahl im Oktober. An diesem Freitag will die Sozialdemokratin beim traditionellen "Hessengipfel" ihre Pläne erklären, mit ihrer Kandidatur wird fest gerechnet. Die SPD-Landesvorsitzende gilt als einzig aussichtsreiche Kandidatin. Zumal die Zeit drängt: Die Konkurrenz hat ihre Führungsfiguren längst benannt.

Auch Faeser hat ihre Absichten lange nicht erklärt, das Risiko der "Röttgen-Falle" droht ihr aber offenbar nicht, jedenfalls nicht in Hinblick auf ihre politische Zukunft: Auch im Fall einer Spitzenkandidatur wird sie bis auf Weiteres Bundesinnenministerin bleiben, darauf soll sie sich mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verständigt haben, und bei einer Niederlage wahrscheinlich in Berlin bleiben können. Das berichtete die "Süddeutsche Zeitung"

Die angeblich abgesegnete Rückfalloption hatte Röttgen seinerzeit nicht, der – ein weiterer Unterschied – weitaus weniger landespolitische Erfahrung ins Feld führen konnte. Faeser ist seit 1996 in der Kommunal- und Landespolitik tätig, saß 18 Jahre im Wiesbadener Landtag, wurde 2019 Vorsitzende der hessischen SPD und war zuletzt rund zwei Jahre Fraktionschefin, bis Scholz sie im Dezember 2021 als erste Frau an die Spitze des Bundesinnenministeriums in Berlin holte. 

Vor einer Spitzenkandidatin Faeser würden sich noch andere Herausforderungen auftun.

Ein Wahlsieg der SPD ist nicht ausgemacht, im letzten "hr-Hessentrend" lag die Partei fünf Prozentpunkte hinter der CDU und gleichauf mit den Grünen. Bedeutet: Wahlkampf, und zwar nicht zu wenig – den Faeser in möglicher Doppelrolle vielleicht nicht leisten kann, soll der Betrieb in ihrem Bundesinnenministerium mit rund 85.000 Bediensteten nicht darunter leiden.

"Das Amt einer Bundesinnenministerin ist kein Nebenjob und eine Spitzenkandidatur kostet viel Zeit", monierte Linke-Parteichef Martin Schirdewan. Die innere Sicherheit sei "kein Teilzeitjob", merkte CDU-Generalsekretär Mario Czaja an. Auch Grüne und FDP, die Koalitionspartner in Berlin, sehen eine mögliche Doppelrolle Faesers kritisch: "Ein Landtagswahlkampf als Spitzenkandidatin fordert die ganze Person, genauso wie das Amt der Bundesinnenministerin – gerade in diesen Zeiten", sagte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz. Für den FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki sei das Innenministerium "keine geeignete Wahlkampfbühne in diesen ernsten Zeiten."

Dass der Landes-Spagat zwangsläufig zu Vernachlässigung und Fehlern bei anderen Aufgaben führt, ein Ministeramt mit der Spitzenkandidatur praktisch nicht vereinbar sei, musste sich jedoch auch Röttgen anhören – nicht zuletzt aus den eigenen Reihen.

Eine Landtagswahl gewinnen könne nur ein Kandidat, "der sich ganz und gar der Sache verschreibt", sagte der damalige wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer. Thomas Oppermann, seinerzeit SPD-Fraktionsgeschäftsführer, beklagte: "Einen Umweltminister auf Abruf können wir uns nicht leisten: Röttgen verschleppt die Energiewende bereits seit einem Jahr". 

Nancy Faeser hat viel zu tun

An Aufgaben mangelt es Faeser im Ministerium nicht. Sie ist zuständig für die Innere Sicherheit, den Kampf gegen Cyberkriminalität, den Bevölkerungs- und Verfassungsschutz, die Migration. Faeser führt eine Behörde, die stets in Alarmbereitschaft ist.

Nach der "Reichsbürger"-Razzia ist eine Debatte um das Waffenrecht entbrannt, im Zuge des Ukraine-Kriegs eine Diskussion über die Unterbringung von Geflüchteten, nach einem Messerangriff durch einen staatenlosen Straftäter um Abschiebungen von Kriminellen und um die Cybersicherheit in Deutschland ist es laut Experten nicht gut bestellt. Darüber hinaus plant sie eigenen Angaben zufolge, aus Deutschland ein modernes Einwanderungsland zu machen – mit Erleichterungen für Fachkräften und einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes. 

Der Berg an Arbeit ist also groß, dennoch bleibt Faeser offenbar noch Energie für einen Landtagswahlkampf – auch dieses Gefühl würde wohl von ihrer Kandidatur ausgehen.  

Landtagswahl in Hessen: Nancy Faeser und die "Röttgen-Falle": Der Vergleich hinkt – zum Teil

Dem Kanzler und Faeser selbst erscheint es das Risiko offenbar wert, gibt es auch einiges, das für ihre Kandidatur sprechen würde. Sie könnte mit Amtsbonus in den Wahlkampf starten, im Land ist sie bekannt und bestens vernetzt – auch in anderen Parteien. Gemeinsam mit der FDP hatte sie etwa eine "große Schlappe für die Landesregierung" (Faeser) angestoßen, als die Finanzierung der Corona-Nothilfen neu geregelt werden musste. Sollte das Wahlergebnis in Hessen knapp ausfallen, könnte diese Anschlussfähigkeit bei möglichen Koalitionsverhandlungen von Vorteil sein.

Und wenn es nicht klappen sollte? Böten sich auch andere Vergleiche als mit Röttgen. Etwa mit Manfred Kanther, ein Amtsvorgänger von Faeser im Bundesinnenministerium (1993 bis 1998). Kanther zog 1995 für die CDU in den hessischen Wahlkampf, schloss für den Fall einer Niederlage die Rückkehr in die Landespolitik ebenfalls aus. Die Christdemokraten wurden zwar knapp stärkste Kraft, aber eine rot-grüne Mehrheit verhinderte seinen Einzug in die Staatskanzlei. Statt Ministerpräsident blieb er noch drei Jahre lang Bundesinnenminister. 

Quellen:  "Süddeutsche Zeitung", "Tagesspiegel", "Frankfurter Rundschau", "Zeit Online", Deutschlandfunk, Hessenschau, "Handelsblatt", "Tagesschau.de", ntv, Deutsche Welle

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