Kabinetts-Klausur Pflichtübung im Lustschloss

  • von Hans Peter Schütz
Ein Gewinner steht fest: Werner Paarmann wird das Geschäft dieses Sommers machen. Drei Sterne wird er für das "Bauernfrühstück" in seinem "Dorfkrug" nicht bekommen. Aber es hält bei Kräften. Die werden Merkel und Kollegen bei ihrer Kabinettsklausur brauchen.

Die Berliner Journalisten zum Beispiel, die kommenden Donnerstag in Bataillonsstärke übers brandenburgische Meseberg und seine 170 Einwohner kommen werden. Bleibt zu hoffen, dass sich der Güllegeruch, der zuweilen über dem Dörfchen eine Autostunde nördlich von Berlin hängt, einigermaßen dezent bleibt. Schließlich weilt allerhöchster politischer Besuch in Schloss Meseberg, dem offiziellen Gästehaus der Bundesregierung. Die Kanzlerin und ihr Vize, alle Bundesminister, Bodyguards und Wichtigtuer zuhauf.

Staatskarossen stehen Stoßstange an Stoßstange. Denn das Kabinett der Großen Koalition versammelt sich hier zu ihrer Sommerklausur Will neue Kraft tanken, um die gut zwei Jahre bis zur nächsten Bundestagswahl halbwegs mit ordentlicher und sinnvoller politischer Arbeit zu füllen. Vielleicht gelingt es den Akteuren auch, die zuweilen doch arg gestörten zwischenmenschlichen Beziehungen aufzufrischen. Die Hoffnung, dass es nach Meseberg in den Umfragen wieder ein wenig nach oben geht, stirbt ohnehin zuletzt. Natürlich dürfen die Journalisten nicht ins Schloss. Sie müssen scharf beobachten, wer mit Angela Merkel im Hubschrauber einfliegen darf und sich damit geadelt fühlen kann und wer im schnöden Achtzylinder anreisen muss. Während die Klausur läuft, können sie im "Dorfkrug" Paarmanns Gästebuch studieren.

Gerhard Schröder. Klar, am Biertisch

Darin begrüßt sie auf der ersten Seite ein alter Bekannter - Gerhard Schröder. Klar, am Biertisch. Der Herr ist schließlich Sozi. Nächste Seite: Angela Merkel. Wirklich Angie? Nein, das ist Frau Knoll aus Lübeck. Die sieht aus wie Angie und verdient als Doppelgängerin einige Euros. Seite drei dann die echte Merkel. Sie bedankt sich herzlich für ein "schmackhaftes Essen." Bei diesem Besuch im April 2006 hatte Paarmann sein schönstes Erlebnis als Wirt. Angela Merkel stand da plötzlich in der Stube, er zeigte ihr sein Gästebuch mit der Knoll und die Kanzlerin sagte: "Das bin ja ich. Wann war denn das?" Die Doppelgängerin erkannte sie dann erst mit Brille.

Ob Merkel während der Klausur erneut Zeit für ein Schwätzchen im "Dorfkrug" findet, ist sehr ungewiss. Und von der Stille, die Theodor Fontane einst einmal sehr genoss und die ihn in den Wanderungen durch die Mark Brandenburg den preußischen Barockbau als "Zauberschloss" rühmen ließ, werden die Besucher der eineinhalbtägigen Klausur allenfalls träumen können. Und dass Merkel und ihr Vize etwa bei einem Spaziergang hinüber zum Gartenpavillon, das früher maison de plaisier hieß, von dem aus man einen wunderbaren Blick auf den Hunowsee hat, ist ebenfalls nicht zu erwarten. Im Großen Gartensaal im Erdgeschoss wird unter Deckengemälden hart gearbeitet werden. Dort steht nicht zu lesen wie in Schloss Genshagen, was der Großen Koalition gut täte: "Wo Friede und Einigkeit regiert, da wird das ganze Haus geziert."

Kleinod Schloss Meseberg

Im Kaminzimmer könnten sich Schwarze und Rote vielleicht wieder ein wenig in ihrer Zwangs-Liaison näher kommen. Jene Harmonie, zu der sie sich bei ihrer ersten Klausur auf Schloss Genshagen kurz nach Amtsantritt der Großen Koalition zusammen fanden, dürfte sich allerdings nicht mehr erreichen lassen. Politik sagt der Politikprofessor Jürgen W. Falter bedarf der Inszenierung, um öffentliche Akzeptanz zu finden. Zu solcher Show eignet sich natürlich Schloss Meseberg vorzüglich. Hermann Graf von Wartensleben hat es 1739 bauen lassen. Zehn Jahre später, nach Wartenslebens Tod, erwarb Prinz Heinrich, jüngerer Bruder Friedrich des Großen, das Anwesen und schenkte es seinem Günstling Major Christian Ludwig von Kaphengst, ein für sein ausschweifendes Leben bekannter Adliger. Das Schloss erlebte arkadisches Treiben. Später residierte zeitweilig Hermann Göring in Meseberg. Nach dem Kriege wurden zunächst Flüchtlinge hier untergebracht. Zu DDR-Zeiten diente das Schloss als Lebensmittelladen, Kindergarten und Gemeindebüro.

Möglich gemacht hat die Kabinetts-Klausur auf Schloss Meseberg die in München ansässige Messerschmitt-Stiftung. Sie kaufte nach der Wende das inzwischen halb verfallene Anwesen, ließ den Grauputz herunter schlagen und möbelte es mit 25 Millionen Euro zu einem barocken Schmuckstück auf. Für 20 Jahre hat die Stiftung das Schloss für einen Euro pro Jahr an die Bundesregierung vermietet. Stiftungspräsident Hans Heinrich von Srbik hatte das Schloss auf ausdrücklichen Wunsch des damaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe gekauft. Als es renoviert war und wieder das "Kleinod" war, als das es schon Fontane beschrieben hatte, hatten die Brandenburger keine Verwendung dafür. Srbik schimpfte wütend über eine "große Undankbarkeit der Ostdeutschen gegenüber dem Geschenk aus Bayern." Die Bundesregierung nutzte die Chance und machte ihr Gästehaus daraus.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Viel weiterer Kleinkram, keine Großtaten

Im Kanzleramt zeigt man sich überzeugt, dass die besondere Atmosphäre des Schlosses ihre Wirkung auf das Kabinett nicht verfehlen werde. Kanzleramtsminister Thomas de Maizière baut allerdings allzu großen Erwartungen an das Treffen vor. "Ich glaube nicht, dass die Menschen darauf warten, dass jede Woche ein neues Projekt angestoßen wird." Aber man wird ein Klimaschutzprogramm auf jeden Fall beschließen. Wird beraten, wie die deutsche Wirtschaft vor Staatsheuschrecken aus Russland und China geschützt werden soll. Viel weiterer Kleinkram, keine Großtaten. Man habe die Pflicht, sagt die Kanzlerin, den Rest der Legislaturperiode nicht zu vertrödeln. Sie kennt eben ihren Fontane, der im "Stechlin" einmal geschrieben hat: "Was uns obliegt, ist nicht die Lust des Lebens, auch nicht einmal die Liebe, die wirkliche, sondern lediglich die Pflicht."