Sie weiß, wie viel Liebe Liberale geben können. Wie sich das anfühlt, wenn die Menge klatscht, aufsteht und nicht mehr aufhören will zu jubeln. Im Mai 2022 war Marie-Agnes Strack-Zimmermann schon einmal der gefeierte Star eines FDP-Parteitags in Berlin. Christian Lindner fiel aus, saß coronaerkrankt in einem Hotelzimmer in Washington fest. Sie hielt eine Rede für die Unterstützung der Ukraine mit Waffen. Und was für eine.
"Nicht zaudern, nicht zögern, das ist das Gebot der Stunde", rief Strack-Zimmermann in die Halle, was man als Aufforderung an den zögerlichen Kanzler verstehen musste. Knapp zwei Jahre später ist die Vorsitzende des Verteidigungsausschuss im Umfeld des Kanzlers nicht beliebter geworden. "Boah, die Alte nervt", soll ein einflussreicher Berater von Olaf Scholz kürzlich über sie gesagt haben. Strack-Zimmermann hat das als Kompliment verstanden. Sie ist jetzt 65. Und noch lange nicht fertig.
In der FDP ist sie nun endgültig die Hoffnungsfrau. Eine Grande Dame, die Großes leisten soll. Am Sonntag wird sie in der Halle am Berliner Gleisdreieck-Park wieder eine Rede halten. Wieder wird die Menge klatschen, aufstehen und nicht mehr aufhören wollen zu jubeln. Christian Lindner wird dann an ihrer Seite stehen. Er wird sich zurücknehmen. Es ist allein ihre Krönungsmesse.
Strack-Zimmermann führt die FDP als Spitzenkandidatin in die Europawahl im Juni. Sie soll die ampelgeplagten Liberalen zurück auf den Erfolgspfad lotsen. Kann das gelingen? Drei Gründe dafür – und zwei dagegen.
Strack-Zimmermann ist bekannt
Man kennt sie. Und das allein ist bei einer Europawahl schon sehr viel wert. In nur einem Jahrzehnt und in einer Lebensphase, in der sich andere auf den Ruhestand freuen, hat Strack-Zimmermann eine bemerkenswerte politische Karriere hingelegt. Über USA-Berichterstattung im ZDF hat sie mal promoviert. Als selbstständige Verlagsrepräsentantin gearbeitet und drei Kinder großgezogen. Lange engagierte sie sich in der Kommunalpolitik, war Bürgermeisterin ihrer Heimatstadt Düsseldorf, als Christian Lindner sie 2013 in die Parteiführung holte.
Beim Comeback der FDP 2017 wurde sie in den Bundestag gewählt und begann, sich in die Verteidigungspolitik einzuarbeiten. Rüstungsexporte und Beschaffungswesen. Krieg und Frieden. Es folgten ein paar amüsante Auftritte in der "heute show". Sie sprücheklopfte sich ins Bewusstsein der politisch interessierten Öffentlichkeit: Moment mal, in der FDP da gibt es doch neben Lindner und Kubicki jetzt auch noch diese Frau mit der weißen Haartolle…
Ein vertrautes Tagesschau-Gesicht aber wurde sie erst mit ihrem Engagement für die Ukraine. Nur wenige trommeln bis heute so sehr für Waffenlieferungen an die Ukraine wie sie. Es sei so dramatisch, was dort passiere, hat sie im vergangenen Jahr dem stern erzählt. "Und wir sitzen hier, mit Verlaub, mit dem Hintern im Warmen und diskutieren und diskutieren."

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Strack-Zimmermann ist eine Type
Es sind solche Sätze, für die sie nicht nur in ihrer Partei geschätzt wird. Strack-Zimmermann kann laut sein, sie kann frech sein, sie kann bisweilen sogar vulgär werden. "Die Kacke ist am Dampfen in Deutschland und in Europa. Da pinkelt man nicht in das eigene Nest", schimpft sie über die Ampel-Widerständler an der Parteibasis, die Ende des Jahres eine Mitgliederbefragung anstrengten.
In einer Zeit, in der Politikerinnen und Politiker ihre Ecken und Kanten abschleifen, verstecken, überspielen, pflegt Strack-Zimmermann ihr Image als echte rheinische Type. Sie muss dafür nicht viel tun, sie bleibt einfach, wie sie immer schon war – mit allen Chancen und Risiken.
Sie reflektiert das durchaus. Natürlich könnten nicht alle sein wie Wolfgang Kubicki und sie, hat Strack-Zimmermann mal gesagt. Wie in einer Firma gehe es in einer Partei auch darum: Wer hält den Laden im Inneren zusammen? Und wen haben Sie im Vertrieb? "Es gibt Kollegen, die lieben es, sich Programme zu überlegen, Anträge zu schreiben, stundenlang. Ich bin keine Ameisen-Tätowiererin. Ich bin eine Vertriebs-Frau. Ich kann Menschen ein Thema erklären und möglicherweise überzeugen."
Genau das ist es, worauf die FDP in diesem Wahlkampf setzen wird. Wenn Strack-Zimmermann nicht erklären und überzeugen kann, warum Europa in diesen Krisenzeiten wichtiger ist denn je – na, wer denn dann?
Strack-Zimmermann kann motivieren
An den Europawahlkampf 2019 denken sie bei der FDP nicht gerne zurück. Wer erinnert sich gerne an ein Desaster? Die Kampagne hatte alles, was man nicht gebrauchen kann. Eine Kandidatin, die in der Partei unbeliebt war. Eine Kampagne, die nicht zündete. Und in der Kombination eine Stimmung, in der niemand mit Freude in Fußgängerzonen für liberale Politik wirbt.
Mit Strack-Zimmermann kann das Gegenteil gelingen. Die Kampagne lässt sich leicht auf eine beliebte Kandidatin zuschneiden. Und in der Kombination könnte etwas zurückkommen, was den meisten Liberalen in zwei Jahren Ampel-Koalition abhandengekommen ist: richtig Bock auf Politik.
Viele in der FDP sehnen sich danach, endlich wieder das Gefühl zu haben, Teil einer erfolgreichen Partei zu sein. Niemand will auf ewig für die Verlierer kämpfen. Strack-Zimmermann hat das verstanden. Die frechsten Passagen ihrer Reden dienten zuletzt vor allem einem Ziel: motivieren, motivieren, motivieren. "Wir brauchen weniger von der Leyen und mehr von der Freiheit", sagte sie beim Dreikönigstag in Stuttgart. Das ist noch kein politisches Programm, bleibt aber hängen.
Das alles spricht für ihren Erfolg. Einfach wird es trotzdem nicht.
Strack-Zimmermann verschreckt Stammwähler
Rhetorisch sei Strack-Zimmermann manchmal schon 100 Meter vor der Front, sagen Parteifreunde, aber stets in die richtige Richtung unterwegs – mit wenigen Ausnahme. Im Karneval zum Beispiel verspottete Strack-Zimmermann CDU-Chef Friedrich Merz als "Flugzwerg". Ihrem Parteivorsitzenden soll das nicht gefallen haben. Auch deshalb mutmaßten einige in der FDP, Lindner könne sich noch einmal überlegen, ob er wirklich eine Spitzenkandidatin aufstellen will, die polarisiert und manchmal übers Ziel hinausschießt.
Er will. Aber damit sind die Zweifel ja nicht ausgeräumt. Ein unüberlegter Satz zu viel, ein lockerer Spruch zum falschen Anlass – man muss nicht bei Armin Laschet anrufen, um zu erfragen, wie schnell eine aussichtsreiche Kampagne in eine Negativspirale geraten kann. Aus dem Merz-Schreck wird dann schnell ein Wähler-Schreck, vor allem im biederbürgerlichen Kernmilieu der eigenen Anhängerschaft: "Boah, die Alte nervt."
Hinzu kommt, dass viele Menschen Strack-Zimmermann einzig mit ihrem Engagement für Waffenlieferungen für die Ukraine verbinden. Sie hat damit auch bei Anhängern der Grünen oder der CDU punkten können. Fraglich bleibt, ob die ihr Kreuz bei der Kandidatin mit dem längsten Namen auf dem Wahlzettel machen. Bei vielen Handwerkern hingegen, klassische Selbstständige, die oft und gerne FDP wählen, bröckelt die Zustimmung für die Ukraine-Hilfen angesichts des Sparkurses der Bundesregierung. Auch damit wird Strack-Zimmermann umgehen müssen.
Strack-Zimmermann wird nicht alle Probleme der FDP lösen
Überhaupt, die Bundesregierung. Strack-Zimmermann wird im besten Fall zwar den Sound der FDP in den kommenden Monaten verändern, im besten Fall bessere Laune und liberale Lust auf Zukunft verbreiten können. Die ständigen Nebengeräusche aber wird sie nicht völlig übertönen können: den Streit in der Ampel, das Genöle in der Partei, die Kritik der Medien.
Man sollte sich noch einmal erinnern, wie schlecht es der FDP beim letzten Mal gelang, die eigenen Anhänger zu mobilisieren – aus einer besseren Ausgangslage heraus als heute. Bei der Europawahl 2019 war die FDP in der Opposition. Sie musste sich für nichts rechtfertigen außer für ihre eigenen Erfolge und Missgeschicke. Dennoch reichte es nur für ein Wahlergebnis von 5,4 Prozent und fünf Sitze im Parlament. In Umfragen lag sie damals bei 7 bis 9 Prozent. Derzeit kommt sie auf gerade mal 4 bis 6. Der Rest ist Krisen-Mathematik.
Ja, Strack-Zimmermann ist die Hoffnungsfrau der FDP. Aber viel mehr Hoffnung gibt es gerade auch nicht.