Dreikönigstreffen der FDP Die FDP und die Ampel: Christian Lindner drückt sich vor einer unangenehmen Frage

Hat ein schwieriges Jahr 2024 vor sich: FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner
Hat ein schwieriges Jahr 2024 vor sich: FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner
© Christoph Reichwein / dpa
Denken wir neu? Nee, lieber nicht! Die FDP schluckt ihren Frust mit der Ampel runter. Aber hat nicht auch die Führung ihren Anteil an der vertrackten Lage?

In einer Zeit vor mehr als zehn Jahren, in der FDP und Union sich in der Bundesregierung in gegenseitiger Abneigung verbunden waren, hat Hans-Dietrich Genscher mal gesagt: "Liberalität beinhaltet für mich auch die Fähigkeit, ständig neu infrage zu stellen, was wir als gesicherte Erkenntnis betrachtet haben."

Das klingt auch heute, in einer Zeit, in der SPD, Grüne und FDP sich in der Bundesregierung in gegenseitiger Missgunst verbunden sind, wie ein vernünftiger Neujahrsvorsatz für Genschers Nachnachfolger bei den Liberalen. In der Theorie. In der Praxis sieht es so aus, als erinnere sich in der FDP-Führung derzeit niemand an diesen Grundsatz des ehemaligen Außenministers und Vizekanzlers, der 2016 gestorben ist.

Einen Grund, einiges neu infrage zu stellen, hätten die Liberalen durchaus. Zu Beginn der Woche kam das Ergebnis einer Mitgliederbefragung, an der sich etwas mehr als ein Drittel der Parteimitglieder beteiligt hatte. Sollte die FDP die Arbeit in der Ampel-Koalition mit SPD und Grünen beenden? Nur 52 Prozent stimmten dafür. Ein denkbar knappes Ergebnis. Es könnte der Impuls sein, beim traditionellen Dreikönigsauftakt am Samstag in Stuttgart ein altes FDP-Motto umzusetzen. Es könnte.

Denken wir neu? Nee, lieber nicht!

Die FDP hat es wahrlich nicht leicht

Die gesicherte Erkenntnis der Parteiführung korrigiert das Ergebnis der Befragung nicht – zumindest bislang nicht öffentlich wahrnehmbar. Die nämlich lautet: Die liberale Handschrift der FDP in der Regierung muss sichtbarer werden. Das ist eine Floskel, die führende Liberale im vergangenen Jahr ungefähr so oft gesagt haben wie Olaf Scholz "Schönen Dank für Ihre Frage“. Also viel zu oft. 

An dieser Stelle muss man, auch wenn das überraschen mag, die FDP-Spitze einmal kurz in Schutz nehmen. Parteichef Christian Lindner und sein Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, Fraktionschef Christian Dürr und seine jungen Vizes – sie alle haben es wahrlich nicht leicht. Das ist in der Politik zurecht keine Kategorie, nur vergisst man es eben deshalb schnell. 

Für die FDP war die Situation in einer Bundesregierung noch nie so herausfordernd. Sie muss die eigenen Erfolge herausstellen, auch ihren Anteil an Gesamterfolgen – ohne sofort Gefahr zu laufen, für jede verrutschte Äußerung irgendeines Grünen-Politikers (meist: Robert Habeck) von den eigenen Anhängern in Mithaftung genommen zu werden. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Inhaltlich sind die Liberalen vom Gelingen der Ampel-Koalition abhängig. Kulturell müssen sie ihr fremd bleiben. 

Um die Ansprüche ihrer Anhänger ist die FDP nicht zu beneiden

Und hier muss man die FDP-Granden gleich wieder aus dem Schutz entlassen. So anspruchsvoll die Lage sein mag, Lindner und Co müssten mehr Mut wagen, auch wenn das ähnlich floskelhaft klingen mag, wie der Satz mit der liberalen Handschrift. Es geht um eine Frage, vor der sich die Verantwortlichen im Hans-Dietrich-Genscher-Haus nicht weiter drücken können: Welchen Anteil haben sie selbst daran, dass die Regierungsarbeit der FDP in einem Teil ihrer Partei so verhasst ist, der groß genug ist, dass man ihn nicht ignorieren kann?

Ja, zur Wahrheit gehört, dass niemand die FDP um ihre Anhänger beneidet. Sie lassen sich mit Hauptsache-Regieren-Pragmatismus nicht so leicht von Kompromissen überzeugen wie Unionsanhänger. Und sie sind kaum empfänglich für emotionale "Wir haben uns doch alle lieb“-Kalendersprüche, die bei den Grünen in jüngerer Vergangenheit Parteitage befrieden konnten. 

Überzeugte Basis-Liberale ähneln eher den dauernörgelnden Sozialdemokraten der 2010er-Jahre. Genossen damals: Mindestlohn? Ja, toll, dass wir uns da durchsetzen konnten, aber viel zu gering. Liberale heute: Steuerentlastungen: Ja, toll, dass wir uns da durchsetzen konnten, aber viel zu wenig. 

Aber an der grundsätzlichen Gemütsverfassung der Basis allein kann die schlechte Stimmung kaum liegen. Reicht es einfach nicht, was die FDP durchsetzt? Oder redet sie die Ampel so schlecht, dass die eigenen Erfolge nicht durchdringen?

Nüchtern betrachtet, hat jeder FDP-Wähler von 2021 ziemlich viel bekommen für sein Kreuz. In den Gesetzen der Ampel findet sich mehr liberale Programmatik als man für 11,5 Prozent Wahlergebnis erwarten durfte. Planungsbeschleunigung? Eigene Vorstellungen weitgehend durchgesetzt. Bürgergeld? Weitgehend durchgesetzt. Kalte Progression? Durchgesetzt. Heizungsgesetz? Mehr als durchgesetzt. Bubatz? Bald legal. 

Hinzu kommen die Vorstöße von SPD und Grünen zu Steuererhöhungen und Schuldenbremse, die zwar nicht im Koalitionsvertrag stehen, aber denen sich die FDP dennoch tagtäglich erwehren muss – mit Erfolg.

Das Problem an all den inhaltlichen Erfolgen: Sie erfüllen das Mindestmaß dessen, was die kritische Basis ohnehin von ihrer FDP erwartet. Auf die Pflicht folgt selten die Kür. Doch liegt genau dort in der politischen Kommunikation der Unterschied zwischen: Ohne uns wäre es noch viel schlimmer. Und: Mit uns läuft es doch viel besser. 

Kein Wunder, dass man von der FDP nur Ersteres hört. Die Liberalen haben sich selbst institutionell eingemauert. Man könnte, zugegeben, aber sagen: Ihnen blieb wenig anderes übrig. 

Christian Lindner musste auf urliberale Gewinnerthemen verzichten

Als Lindner sich 2021 ein Ministerium aussuchen konnte, zog er das Finanzministerium. Das ist angesichts der Lehren von Schwarz-Gelb in der amüsanten, aber erfolglosen Zeit von 2009 bis 2013 gut nachvollziehbar. Es war aber zugleich die Abkehr einer langen liberalen Tradition außenpolitischer Avantgarde. Genscher, again! 

Um das Überleben der FDP in der Ampel abzusichern, musste Lindner auf urliberale Gewinnerfelder in der Ampel verzichten. Das gilt auch für das Wirtschaftsministerium. Otto Graf Lambsdorff, anyone? Bis heute ist es den Liberalen nicht gelungen, dieses für sie so wichtige Feld eines Kümmerers für Marktwirtschaft und Mittelstand prominent neu zu besetzen. Oder wüssten Sie, wer seit sechs Jahren wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion ist? Eben. 

Verkehr und Digitales, Bildung und Forschung, Justiz. Das sind die drei anderen Ressorts der FDP – jedes mit für sich eigenen Problemen bei der Durchschlagskraft. Ob Volker Wissing die Infrastruktur der Bahn erfolgreich erneuert hat, wird sich erst in ein paar Jahren zeigen. Verkehrspolitik ist – wenn man sie nicht nur für Bayern betreibt – eine sehr langfristige Angelegenheit. Das gilt ebenso für die Forschung. Bildungspolitik bleibt vorrangig Ländersache. Vor einem Jahr am Dreikönigstag verkündete Lindner eine Milliarde Euro für Bildung. Was daraus wurde? Gute Frage.

Warum nicht mal wieder richtig Bock auf Zukunft

Justizminister Marco Buschmann arbeitet fleißig Gesetze aus, und fleißig daran, dass das der Öffentlichkeit nicht verborgen bleibt. In seinem Ressort findet man sie, die Kür liberaler Regierungspolitik. Namensrecht, Selbstbestimmungsgesetz, Staatsbürgerschaftsreform. Nur stellt sich hier die Frage: Kür für wen eigentlich? 

Nehmen wir das Staatsbürgerschaftsrecht, bei dem es nun in der Verkaufe bisweilen so wirkt, als habe die FDP wieder irgendwelche linken Träumereien verhindern müssen. Dabei standen in ihrem eigenen Wahlprogramm progressivere Ziele als nun im Regierungsbeschluss. Die zurückhaltende Kommunikation eigener Erfolge bei der Modernisierung der Gesellschaft ist ein Zugeständnis an jenen Teil der Basis, den man besonders umgarnen und auf gar keinen Fall an Friedrich Merz und die Union verlieren möchte: die konservativ-liberalen Stammwähler (Gendern nicht nötig).

Das muss nicht die falsche Strategie sein, um 2025 wieder in den Bundestag einzuziehen. Das ist nur sicherlich die falsche Strategie, wenn die FDP erneut ein zweistelliges Ergebnis erreichen will. 

Erreicht man progressivere Liberale, wenn Lindner und Djir-Sarai von nun an nur nett über die Ampel sprechen? Wohl kaum. Es wird keine einfachen Antworten auf die Fragen geben, mit denen die FDP in diesem Jahr konfrontiert ist. Aber warum nicht die Erfolge bei Staatsbürgerschaft und Selbstbestimmungsgesetz noch offensiver feiern? Warum nicht jenen intern ordentlich Contra geben, für die das liberales Neuland ist? Warum nicht bei Bildung und Digitalisierung auf das besinnen, was die Lindner-FDP mal bei Erstwählern erfolgreich gemacht hat: Bock auf Zukunft. Derzeit fühlt es sich eher an wie: Hoffentlich ist die Regierungs-Gegenwart bald vorbei.

Natürlich wäre ein kommunikativer Schwenk mit Risiken verbunden. Aber ein bisschen mehr Mühe müssen sich Hans-Dietrichs und Ottos Erben im Jahr 2024 schon geben.