Es ist, zugegeben, eine komplizierte und politisch hochbrisante Frage. Und sie wird von Außen, von radikalen Islamhassern und gewalttätigen Islamisten, auf die Agenda gesetzt. Aber sie ist wichtig für das Selbstverständnis dieser Gesellschaft, für ihren Wertekanon und die Regierungspolitik: Ist Gotteslästerung, gegen welche Religion auch immer, durch die Meinungsfreiheit gedeckt? Wo verläuft der Grad zwischen noch Statthaftem und schon Untersagungswürdigem? Eben stand noch das Papst-Titelbild der "Titanic" zur Debatte, nun das Mohammed-Schmähvideo. Dessen Trailer hat blutige Attacken auf westliche Botschaften im arabischen Raum ausgelöst, ein US-Diplomat kam zu Tode. Kanzlerin Angela Merkel jedoch, die an diesem Montag vor der Bundespressekonferenz Rede und Antwort stand, hielt sich bedeckt. Wohl auch aus der Sorge heraus, ein falsche Wort von ihr könnte den Konflikt noch weiter anheizen.
Merkel sprach davon, dass die Meinungsfreiheit "auch Schranken" kenne. Aber sie kommentierte weder den Inhalt des Schmäh-Videos noch sprach sie sich für ein Verbot des Films aus. Andererseits erklärte sie, dass eine Aufführung in Deutschland, so wie es die rechte Gruppierung "Pro Deutschland" plant, möglicherweise die öffentliche Sicherheit stören könne. Dies werde derzeit geprüft. Über ein eventuelles Aufführungsverbot sagte sie: "Ich kann mir vorstellen, dass es dafür gute Gründe gibt" - was ein Verbot ziemlich wahrscheinlich macht. Zugleich rief die Kanzlerin zum Dialog auf und sagte wiederholt, Gewalt sei kein Mittel der Auseinandersetzung. Unter dem Strich eine für Merkel typische, pragmatische Lösung: Die Meinungsfreiheit bleibt unangetastet, aber ein zerbombtes Kino will sie natürlich nicht riskieren. Schließlich würde, sollte eine solche Katastrophe eintreten, die Debatte genau umgekehrt verlaufen: Niemand wäre bereit, diesen Preis für die Meinungsfreiheit zu bezahlen, aber alle würden fragen, warum der Staat nicht in der Lage sei, seine Bürger zu schützen.
Laudatio für Westergaaard
Im Fall der Mohammed-Karikaturen des dänischen Zeichners Kurt Westergaard, die 2005 ein Sturm der Empörung in islamischen Ländern ausgelöst hatten, bei dem mehr als 50 Menschen starben, agierte Merkel offensiver. Als Westergaard fünf Jahre später in Potsdam mit einem Preis für die Pressefreiheit ausgezeichnet wurde, hielt die Kanzlerin die Festrede. Über Westergaard sagte sie: "Bei ihm geht es darum, ob er in einer westlichen Gesellschaft mit ihren Werten seine Mohammed-Karikaturen in einer Zeitung veröffentlichen darf, ja oder nein; egal, ob wir seine Karikaturen geschmackvoll finden oder nicht, ob wir sie für nötig und hilfreich halten oder eben nicht. Darf er das? Ja, er darf." Das gelte unabhängig davon, dass der Respekt vor dem Glauben auch in Deutschland ein hohes Gut sei.
Auf diese Rede angesprochen sagte Merkel vor der Bundespressekonferenz, dass diese nach wie vor "richtig" sei, betonte aber, dass sie schon damals anheimgestellt habe, solche Werke auch geschmacklos zu finden. Eine Differenzierung zwischen den satirischen Zeichnungen Westergaards und dem aktuellen, plumpen Propagandavideo eines islamfeindlichen Softporno-Produzenten nahm Merkel nicht vor. Somit blieb die Frage, warum sie die Karikaturen für preiswürdig befunden hat, aber das Schmäh-Video in Deutschland nicht sehen will, unbeantwortet. Klare Kriterien und Orientierung lieferte die Kanzlerin nicht.
Merkel auf Oppositionskurs - und umgekehrt
Sie bewegte sich vielmehr auf der politischen Linie, die auch die Opposition eingeschlagen hat. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, sagte der "taz": "Nach dem, was ich gesehen habe, ist der Film eine geschmacklose Dämlichkeit, aber kein strafbarer Inhalt." Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz schloss sich dieser Haltung an: "Eine bloße außenpolitische Rücksichtnahme reicht nicht aus, die Grundrechte zu beeinträchtigen." Gleichzeitig befürwortet auch die SPD die Prüfung eines Aufführungsverbots.
Dass dieser trickreiche Umgang mit dem Schmäh-Video auf Dauer trägt, braucht sich allerdings niemand einzubilden. Das Video hat vielmehr gezeigt, wie simpel es in Zeiten der globalen Vernetzung ist, eine blutige, internationale Auseinandersetzung zu provozieren und über dieses Vehikel eigene Interessen zu verfolgen. Nachahmer werden folgen. Und immer wieder zwei Fragen erzwingen: Wie weit reicht die Meinungsfreiheit? Und was sind wir bereit, dafür zu opfern?