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Debatte um Impfpflicht Keine Mehrheit im Bundestag für Impfpflicht ab 60 – auch alle anderen Anträge gescheitert

Debatte um Impfpflicht: Keine Mehrheit im Bundestag für Impfpflicht ab 60 – auch alle anderen Anträge gescheitert
Sehen Sie im Video: Impfpflicht scheitert deutlich im Bundestag






STORY: Die Einführung einer generellen Corona-Impfpflicht in Deutschland ist gescheitert. Im Bundestag erhielt der Gesetzentwurf für eine Impfpflicht ab 60 Jahren am Donnerstag nicht die erforderliche Mehrheit. Das über Monate umstrittene Vorhaben scheiterte überraschend deutlich. In namentlicher Abstimmung votierten 296 Abgeordnete dafür, aber 378 dagegen. Es gab neun Enthaltungen. Die Impfpflicht ab 60 Jahren war bereits ein Kompromissvorschlag, auf den sich Vertreter der Bundestagsfraktionen von SPD, Grünen und FDP verständigt hatten. Für die Abstimmung war die Regel aufgehoben worden, dass Mitglieder einer Bundestagsfraktion einheitlich abstimmen.

Nach monatelangen Diskussionen hat das Parlament entschieden: Für den Kampf gegen die Pandemie kommt zunächst keine allgemeine Impfpflicht. Nach einem Schlagabtausch fällt ein Kompromissvorschlag dafür durch.

Es war ein Desaster mit Ansage: Der Entwurf für die Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht in Deutschland ist im Bundestag gescheitert. Den Vorschlag für eine Pflicht zunächst ab 60 Jahren lehnten am Donnerstag 378 Abgeordnete ab, dafür votierten 296 Abgeordnete und neun enthielten sich. Für eine allgemeine Impfpflicht als Vorsorge für den Herbst hatte sich auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) ausgesprochen. Wegen offenkundiger Meinungsverschiedenheiten hatte die Ampel-Koalition dazu aber keinen Regierungsentwurf eingebracht. Abgestimmt wurde daher weitgehend ohne die sonst üblichen Fraktionsvorgaben.

Konkret sahen die Pläne für alle ab 60 Jahren eine Pflicht vor, bis zum 15. Oktober über einen Impf- oder Genesenennachweis zu verfügen. Für 18- bis 59 Jährige, die nicht geimpft sind, sollte zunächst eine Beratungspflicht kommen. Über die Pflichten und Impfangebote sollten die Krankenkassen die Bürger bis spätestens 15. Mai informieren.

Befürworter der Impfpflicht legen sich ins Zeug

Der Bundestag hat auch die Vorlage der Unionsfraktion zur Corona-Impfpflicht mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Für den Antrag, Vorbereitungen für eine mögliche spätere Impfpflicht zu treffen, stimmten 172 Abgeordnete, dagegen waren 497 Parlamentarier bei neun Enthaltungen. Der Antrag um den FDP-Politiker Wolfgang Kubicki erhielt ebenfalls keine Mehrheit. Der Antrag der AfD erhielt auch keine Mehrheit im Bundestag.

Um eine Mehrheit zu erreichen, hatten Abgeordnete aus SPD, FDP und Grünen noch einen Kompromissvorschlag vorgelegt. Dafür weichten die Befürworter einer Impfpflicht ab 18 Jahren um Dahmen ihren Vorschlag auf und einigten sich mit einer Abgeordnetengruppe um Ullmann, die für eine mögliche Impfpflicht ab 50 eintrat, auf eine gemeinsame Initiative. Sie wurde als einziger ausgearbeiteter Gesetzentwurf zur Abstimmung gestellt, fiel aber durch. An der Abstimmung nahmen 683 Abgeordnete teil, insgesamt hat der Bundestag 736 Abgeordnete.

Die Befürworter der Impfpflicht legten sich ins Zeug. SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt warnte zum Debattenauftakt vor neuen Corona-Auflagen im Herbst. "Es sind durchweg sehr gefährliche Varianten möglich", mahnte Lauterbach. Gegner einer Impfpflicht machten indes deutlich, dass sie nicht vom Schlimmsten ausgehen. So sagte der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, deutlich gefährlichere Varianten seien "nicht das wahrscheinlichste Szenario". Auch Anhaltspunkte für eine Überlastung des Gesundheitssystems gibt aus verbreiteter Sicht in der FDP derzeit nicht.

Ampel verliert Abstimmung um Reihenfolge der Entscheidungen

Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) verteidigte noch einmal, warum die Union einen eigenen Antrag vorgelegt hatte. Die Union fordert darin erst einmal die Einrichtung eines Impfregisters. FDP-Vize Kubicki, der einen Antrag gegen eine Impfpflicht initiiert hatte, sagte, es sei nicht Aufgabe des Staates, erwachsene Menschen gegen ihren Willen zum Selbstschutz zu verpflichten. Die Linke-Abgeordnete Sahra Wagenknecht forderte: "Die Corona-Impfung muss eine persönliche Entscheidung bleiben." 

Dann folgte der erste Schreck für die Impfpflichtbefürworter an diesem Plenumstag. Zuerst ging es um die Reihenfolge der Abstimmungen über die insgesamt vier verschiedenen Impfpflicht-Vorlagen. Die Anhänger des Gesetzentwurfs pro Impfpflicht konnten sich nicht damit durchsetzen, dass ihr Antrag als letzter abgestimmt wird. Ihr Antrag kam stattdessen als erstes an die Reihe – 378 Abgeordnete stimmten dagegen, nur 296 dafür, 9 enthielten sich.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat besorgt auf das Scheitern eines Entwurfs im Bundestag für die Einführung einer Corona-Impfpflicht in Deutschland reagiert. Der SPD-Politiker schrieb auf Twitter: "Es ist eine sehr wichtige Entscheidung, denn jetzt wird die Bekämpfung von Corona im Herbst viel schwerer werden. Es helfen keine politischen Schuldzuweisungen. Wir machen weiter."

Eine Corona-Impfpflicht schreibt der Gesundheitsminister aber noch nicht komplett ab. Das Abstimmungsergebnis sei eine Enttäuschung und mache den Kampf gegen die Corona-Pandemie spätestens im Herbst sehr viel schwerer, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag. "Um unnötige Opfer im Herbst zu vermeiden, sollte der Versuch nicht aufgegeben werden, bis dahin trotzdem eine Impfpflicht zu erreichen. Man darf nie aufgeben, wenn es um das Leben anderer Menschen geht. So denke ich als Arzt, so denke ich als Politiker."

Politiker wollen weiter an Impfpflicht arbeiten

Der FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann sagte im Sender Phoenix, man habe um einen Kompromiss gerungen. Es sei darum gegangen, nicht mit leeren Händen dazustehen. Es handle sich um einen demokratischen Prozess. Der Gesprächsfaden dürfe nun nicht abreißen. Zumindest eine Beratungspflicht müsse durchgesetzt werden. Ullmann hatte für eine Impfpflicht zunächst für Menschen ab 60 Jahren geworben.

"Existenzängste, absolut": Ungeimpfte Pflegekräfte sprechen über ihre Situation

Nach der gescheiterten Abstimmung fordert Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek einen erneuten Anlauf. "Klar ist für mich: Es geht bei diesem Thema nicht um Parteipolitik, sondern um die Sache. Es gilt, eine allgemeine Impfpflicht auf den Weg zu bringen, die sinnvoll und rechtssicher ist", sagte der CSU-Politiker am Donnerstag in München. Es müssten alle Weichen gestellt werden, um gut auf den Herbst vorbereitet zu sein.

"Ältere Ungeimpfte haben ein deutlich erhöhtes Risiko, schwer zu erkranken. Die Impflücke in dieser Altersgruppe ist nach wie vor zu hoch", betonte Holetschek. "Gerade deshalb kann auch eine Impfpflicht zumindest für alle Menschen ab einem gewissen Alter sinnvoll sein."

Scheitern der Impfpflicht "Politikversagen"

Das Scheitern des Antrags im Bundestag sei absehbar gewesen, sagte Holetschek. Weiter: "Der Kompromissvorschlag aus der Ampel-Koalition war mit viel zu heißer Nadel gestrickt – und das trotz monatelanger Diskussionen zu dem Thema. Der entscheidende Fehler liegt bei der Bundesregierung: Sie hat sich viel zu lange aus der Verantwortung gezogen und weggeduckt."

Als "Politikversagen", wertete die Diakonie Deutschland das Scheitern eines Bundestagsbeschlusses für eine allgemeine Impfpflicht. "Das ist kein guter Tag für die Pandemiebekämpfung", erklärte auch der Arbeitgeberverband BDA. Von einem "Scherbenhaufen, den alle Parteien zu verantworten haben", sprach der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, in der "Rheinischen Post".

Seit Beginn der Pandemie war eine allgemeine Impfpflicht lange über Parteigrenzen hinweg ausgeschlossen worden. Angesichts schleppender Impfungen sprachen sich Ende vergangenen Jahres Scholz und die Ministerpräsidenten der Länder doch dafür aus. Der Kanzler hatte ursprünglich eine Impfpflicht für alle Erwachsenen befürwortet. Er verfolgte die Debatte im Plenum, meldete sich aber nicht zu Wort. Unterdessen sind 14,4 Prozent der 69 Millionen Menschen ab 18 in Deutschland weiter ohne Grundimmunisierung gegen Corona. Bei den 24 Millionen Menschen ab 60 sind es 11,2 Prozent.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde aktualisiert. 

rw DPA AFP

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