Kommentar Die Lektion des Nebels

War was? Sicher doch. Aber die BND-Präsidenten haben nichts gewusst. Und das Kanzleramt schon gar nicht. Wir haben es mit wildgewordenen Schlapphüten zu tun, die auf eigene Faust Journalisten bespitzelten - so lautet jedenfalls die offizielle Erklärung. Wie armselig.

Mit Verlaub: Der BND-Bericht, der nun online gestellt wurde, ist ein Witz. Ein schlechter Witz. Wir müssen uns vor Augen halten, wie er eigentlich zustande gekommen ist. Der BND - und niemand anderes - stellte dem Sonderermittler Gerhard Schäfer die Akten zur Verfügung. "Wenn der BND auf der Anklagebank sitzt und der Angeklagte bestimmt über den Umfang der Beweisaufnahme, dann ist doch klar, was rauskommt. Dann kommt das raus, was der Angeklagte will", sagte Wolfgang Neskovic von der Linkspartei am Freitag. Und er hat verdammt noch mal Recht. Jeder Ermittler, sei er nun Staatsanwalt oder auch nur Privatdetektiv, würde sich der Lächerlichkeit preisgeben, wenn er so mit einem Verdächtigen verfahren würde.

Weil der Bericht so zustande gekommen ist, gibt es guten Grund zu der Annahme, dass er allenfalls die Spitze des Eisberges abbildet. Wie oft, wie lang, wie intensiv hat der BND tatsächlich Journalisten hinterher geschnüffelt? Welchen Respekt hatte - und hat - der Geheimdienst vor dem Gesetz, das Pressefreiheit und Informantenschutz garantiert? Welche Querverbindungen gibt es zur Stasi, personell und methodisch? Diese Fragen müssen beantwortet werden - auch wenn es naiv wäre zu glauben, sie würden es jemals zur Gänze. Das Minimum, das nun erreicht werden sollte, ist ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss. Es wäre schon der zweite, der sich aktuell mit dem BND auseinandersetzt. Der erste, wir erinnern uns, befasst sich unter anderem mit den illegalen Operationen während des Irak-Krieges.

Wildgewordene Schlapphüte

Zum Bericht hat die Bundesregierung eine eine Stellungnahme verfasst, sie ist zeitgleich im Internet veröffentlicht worden und steht nun klein und unscheinbar auf der Homepage www.bundesregierung.de. Wer sie findet, ausdruckt und liest, bekommt gleich eine zweite Lektion in Sachen amtlicher Vernebelung erteilt. Klar, dass die hochbrisanten Beschattungen den jeweiligen BND-Präsidenten "ganz überwiegend nicht und wenn, dann nicht der vorgeschriebenen Weise und vor allem nicht problemadäquat vorgelegt worden sind". Einleuchtend auch, dass das Bundeskanzleramt "erstmals Anfang November 2005" Kenntnis davon erlangt hat, dass in den 90er Jahren Journalisten ausspioniert wurden. Und wer ist es dann gewesen? "Erklärt werden können diese Ereignisse nur damit, dass das Untersuchungsreferat […] gegen die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abgeschottet agiert hat. So konnten sich dort über Jahre Methoden und Denkweisen erhalten, die in der Zeit der Bipolaritität [also des Kalten Krieges, Red.] entstanden sind." Es war also ein kleiner Haufen wildgewordener Schlapphüte, die auf eigene Faust Kommunisten gejagt haben.

Nimmt man diese Erklärung ernst, heißt das im Klartext: Der BND ist außer Kontrolle geraten, die Leitungsgremien, vom Kanzleramt über den Geheimdienstkoordinator bis zum BND-Präsident haben versagt. Und das wäre erst recht ein Grund, politische Konsequenzen zu ziehen und die Verantwortlichen an den Pranger zu stellen. Stattdessen signalisiert die Stellungnahme, man müsste nur ein paar Disziplinarverfahren gegen BND-Mitarbeiter führen, außerdem noch drei Eimer neue Verwaltungsvorschriften ausschütten, und schon sind wir vor aller Unbill künftig geschützt. Diese Miniaturlösung ist geradezu lächerlich angesichts der Dimension des Skandals.

Am Schlawittchen gepackt

Überhaupt: der BND. Hat es ihm denn nun wenigstens etwas gebracht, Journalisten zu bespitzeln? Am Ende des Tages wohl herzlich wenig. Der Plutonium-Schmuggel wurde in den 90er Jahren ebenso aufgedeckt wie ein versuchter Kokain-Deal, von weiteren Skandalen nicht zu reden. Inzwischen hat der BND einen Untersuchungsausschuss am Hals, ein zweiter wird vermutlich hinzukommen, das Image ist ruiniert, die Führungsfiguren beschädigt.

Man könnte nun sagen, die Jungs machen ihren Job nicht einmal professionell. Man kann auch seinem Gott auf Knien danken, dass wir in einer Demokratie leben. Denn gerade an diesem Skandal erkennt man, dass die "checks and balances" am Ende des Tages doch noch funktionieren, wenn auch spät und unzureichend. Die Stasi, so viel steht fest, hätte man in 40 Jahren DDR-Diktatur nie derart am Schlawittchen packen können.