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Lothar Späth Leise Sehnsucht nach einem neuen Cleverle

Auf welcher Geburtstagsfeier streichelt eine Anne-Sophie Mutter ihre Geige? Welches Geburtstagskind könnte den Weltstar bewegen, ihm ohne Gage mit George-Gershwin-Melodien zu gratulieren? Nur der Mann, den sie "Lothar" nennt und der sie duzt und beim Dankeschön für ihren Auftritt busseln darf: Lothar Späth, soeben 70 Jahre jung geworden.
Von Hans Peter Schütz

Weshalb nur Lothar Späth? Als die zur Soirée geladenen Gäste am Samstagabend im Marmorsaal des Neuen Schlosses in Stuttgart zur Gratulation anstehen, wird die Frage zum Scherzthema mit tieferer Bedeutung. "Weil ein Erwin Teufel", so lästern die einen über den Nachfolger Späths im Amt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten, "eine stets schulterfrei spielende Geigenvirtuosin für unschicklich halten würde." Und vom Nach-Nachfolger Günther Oettinger sei ja bekannt, dass ihm ein sehr enger Kulturbegriff zueigen sei: "Hätte er sonst versucht, einmalige historische Handschriften zu versilbern, um die Sanierung eines Schlosses zu finanzieren?"

Ein Kerle eben

Nein, da musste, wie die Schwaben stolz sagen, schon ein "Kerle wie der" kommen, wie der Lothar Späth eben. Der mal schnell aus der Landeskasse eine Stradivari für die junge Anne-Sophie Mutter beschaffen ließ. Einer der handelte, kaum dass er kurz nachgedacht hatte - und zuweilen, wie er heute im Rückblick auf seine wilden Zeiten als ganz junger Landesvater grinsend zugibt, "zuweilen schneller gehandelt, als gedacht hat." Das trug ihm die hilflose Häme des politischen Gegners ein, der immer wieder monierte, "Späths Luftballons steigen laut und platzen leise."

Heute macht sich in der südwestdeutschen CDU längst leise Sehnsucht nach einem solchen Cleverle breit. Hätte der Günther Oettinger nur halb so viel Entscheidungstempo drauf, wie der Lothar, seufzen sie. Dann wären wir in Berlin endlich wieder wer. Und selbst die SPD bestreitet nicht, dass Späth in fast 13 Jahren als Regierungschef von 1979 bis 1991, bis er dann über eine Karibik-Urlaubsreise auf Kosten eines Industriellen stürzte, mehr fürs Ansehen des Landes erreicht hat als jeder andere Ministerpräsident vor und nach ihm. Und wer genau hinsieht, kann erkennen, dass das Cleverle noch immer ein genialer Strippenzieher ist. Da war etwa ein Ferdinand Piech unter den Gratulanten, aus gutem Grund. Es war Späth, der im Bietigheimer Gasthof "Schiller" zusammen mit Porsche-Chef Wendelin Wiedeking ihm den Einstieg des Sportwagenherstellers bei VW ausgetüftelt und Piech die alleinige Macht im Konzern gesichert hat.

Für manchen selbstkritischen Späth-Kritiker könnte der Geburtstagsabend nicht einfach gewesen sein. Etwa für Manfred Rommel, der Späth einst bei der Kampfabstimmung übers Amt des Ministerpräsidenten einst unterlegen war. Fortan spottete der Stuttgarter Oberbürgermeister gerne über den Konkurrenten, er regiere wie ein Kaiser. Rase in der Kutsche durchs Ländle, werfe Zettelchen mit Gedankenblitzen aus dem Fenster, aus denen seine Vasallen irgendwie Politik zu machen hätten. Spannend gewiss auch, was Edmund Stoiber an diesem Abend wohl gedacht hat. Auch er war nach Stuttgart gekommen, gerade mal fünf Minuten zu spät, was für seine früheren Gewohnheiten als geradezu überpünktlich gelten muss. 2002 sollte Späth für Stoiber den Superminister für Wirtschaft und Finanzen machen, ein Wahlsieg des Bayern vorausgesetzt. Gottfroh war Späth damals, dass er nicht antreten musste. Oder wie er jetzt diplomatischer formulierte: "Ich war nicht ganz unglücklich."

Schwäbisches Einzelstück

Wer kennt heute noch einen Ministerpräsidenten, der schon zu Späths Zeit im Amt war? Späth ist immer noch überall präsent und auf seine Weise ein Solitär. "Ein Baden-Württemberg, der Weltbürger ist. Einer der viele Welten kennt", wie er in der Laudatio gerühmt wurde. Als Lehrling hat er im Dienst der Stadtverwaltung von Bietigheim noch Ratten in der Kanalisation gejagt, stieg auf zum Bürgermeister des Städtchens, wurde Ministerpräsident, putschte 1989 zusammen mit Heiner Geissler vergeblich gegen Helmut Kohl. Nach dem Sturz als Ministerpräsident wechselte er in die Wirtschaft und wurde Vorstandsvorsitzender von Jenoptik. "Jena war die spannendste Zeit meines Lebens, eine Schicksalsfügung, weil mir niemand sagen konnte, was ich machen soll." Jetzt jobbt er als Deutschlandchef der amerikanischen Investmentbank Merrill Lynch. Eigentlich wollte er dort nur den "Berater" geben, doch die Amerikaner machten ihn sogleich zum Chef. Neugierig und hellwach ist er immer noch. Und ertrug es lachend, als sein Sohn Peter am Samstagabend spottete: "Es gibt sicherlich keinen Geschäftsführer einer Investmentbank in deinem Alter." Zu schaffen mache ihm, räumt Späth immerhin ein, zuweilen schon, wenn halb so alte Manager aus New York anrufen und ihn um die halbe Welt zur Arbeit schicken. Schließlich, so gestand er seinen Gästen, sei er natürlich auch zum Räuber-und-Gendarm-Spiel mit seinen inzwischen fünf Enkelkindern (das sechste ist unterwegs) verpflichtet.

Rastlos wie eh und je zieht Lothar Späth durch die Welt. Der Politik allerdings trauert er längst nicht mehr nach. "Da treiben sich zu viele Leute herum, die ich als Unternehmer nicht einstellen würde", lästert er gerne. Die Rechnung für die Bewirtung seiner Geburtstagsgäste, die bis lange nach Mitternacht mit ihm zusammen saßen, hat er im Übrigen selbst bezahlt. Er ist eben doch kein Schwabe wie viele andere.

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