Merkel in Hamburg Parteibasis statt Bundespresseball

Paris, Brüssel, London: Große Politik bestimmte die ersten Amtstage von Angela Merkel. Nun endet die Woche in ihrer Geburtsstadt Hamburg. Statt dem Bundespresseball widmete sie sich der Parteibasis. Sie scheint zu wissen, warum.

Ihre erste Woche als Bundeskanzlerin hätte für Angela Merkel auch glamourös enden können: Nicht allzu weit weg von ihrer Berliner Wohnung, beim Bundespresseball, wo die wichtigen Menschen des Landes an diesem Freitag tanzen. Stattdessen endete sie 300 Kilometer weit entfernt, Richtung Westen, im Saal 3 des Hamburger Congress Centrums.

Geladen ist sie als Rednerin bei der Bundesvertreterversammlung des KPV, einem Zusammenschluss kommunaler Unionspolitiker - nichts geringers als die Parteibasis. Im Vorraum des Delegiertensaals hat die Vereinigung eine Ausstellung organisiert: Links begrüßt ein Stadtmöbel-Hersteller die Besucher mit seiner Weltneuheit "City-Toilette" - einem selbstreinigenden Doppelklo für Fußgängerzonen. Rechts spielt eine Dixieland-Band "Bei mir bist Du schön".

Es wird Bier, Saft und Caipirinha ausgeschenkt. Jeder kennt hier jeden, jeder unterhält sich mit jedem, der KPV-Vorsitzende Peter Götz wird später von "uns, der kommunalen Familie" sprechen. Es hängt der Duft von 4711 und Gard-Haarfestiger über den Delegierten.

Angela Merkel hat in den Tagen seit ihrer Wahl am Dienstag einige Tausend Flugkilometer hinter sich gebracht. Sie reiste nach ihrer Vereidigung nach Paris zu Jacques Chirac, dann schnell rüber nach Brüssel zur Nato und EU, einen Tag später London, wo sie von Tony Blair empfangen wurde.

An diesem Freitag hatte sie mittags erst einen Termin in Berlin, danach ging's nach Düsseldorf zum Zentralverband des deutschen Handwerks, und nun Hamburg. "Ein Hammer, dass sie hier ist", sagt ein Jung-CDUler begeistert zu seiner Lebensgefährtin und klärt sie schnöselig über den "echt unglaublichen" Tagesablauf eines Kanzlers auf.

Um sieben Uhr betritt der Star des Abends den vollen Saal. Der übliche Pulk aus Fotografen, Sicherheitsbeamten und sonstigen Begleitern schirmt Merkel von den Kommunalpolitikern ab, sie müssen aufstehen. Was sie vermutlich eh getan hätten. Der Applaus füllt den Saal gefühlte 90 Sekunden lang, KPV-Chef Götz freut sich und heißt die Kanzlerin in ihrer Geburtsstadt herzlich willkommen. Was, wie er sagt, vermutlich wohl der Hauptgrund für das zahlreiche Erscheinen der Medienvertreter sein dürfte.

Und tatsächlich: Auch Angela Merkel freut sich, wieder hier zu sein, wo sie vor knapp einem halben Jahrhundert geboren wurde und sogar einige Monate im feinen Harvestehude verbrachte.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Genau genommen der zweite Kanzler aus Hamburg

Für die lokale Presse ist der Kanzlerin-Besuch Thema des Tages. Genau genommen sei sie ja auch schon der zweite Regierungschef nach Helmut Schmidt, der aus der Hansestadt kommt. Was der lokalen Presse leider etwas sauer aufgestoßen ist, war die Tatsache, dass die KPV-Veranstaltung für den Regierenden Bürgermeister Hamburgs und Parteikollegen Ole von Beust offenbar zu öde war. Zumindest ist er am Freitag mit den Senatskollegen an die Ostsee in Klausur gegangen.

Angela Merkel stört das wenig. Vor den Gemeinde- und Stadträten, den Landtags- und Bundestagsabgeordneten spricht sie ungewöhnlich frei und locker. Sie gibt zu, dass sie sich in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD in einigen Bereichen mehr gewünscht hätte, wie beim Arbeitsmarkt. Aber ganz staatstragend, billigt sie allen Beteiligten natürlich zu, dass sie sich nicht "bis zur Unkenntlichkeit verbiegen" könnten.

Auch Ironie ist ihr nicht fremd. Etwa dann, wenn sie erzählt, wie heldenhaft die EU-Parlamentarier das Gesetz zur "Besatzdichte von Sonnenschirmen in Biergärten" gekippt hätten. Das akute Thema Haushalt erwähnt sie nur nebenbei, nutzt die Bemerkung aber dazu, darauf hinzuweisen, wie die klammen Etats der Gemeinden die "Kommunalpolitik spannender macht, als sie sein sollte".

Gegen den "Zentralismus" von Rot-Grün

Die versammelten Parteikollegen nehmen es ihr nicht übel. Sicher auch deshalb weil Merkel mehr Bürgernähe verspricht, der Kommunalpolitik also mehr Bedeutung beimessen möchte, kurzum gegen den "Zentralismus" wettert, der unter Rot-Grün gewuchert habe.

Manchmal redet Merkel noch wie eine Oppositionspolitikerin, die die Missstände bei Haushalt, Arbeitsplatzverlusten und Bürokratie anprangert. Vielleicht aber macht sich bei ihr langsam auch ein neuer Regierungsstil bemerkbar. Ruhiger, etwa zurückhaltender und selbstkritischer, Show ja, ein bisschen, aber nur dann wenn das Publikum die Begeisterung zu verlieren droht.

Selbst Widersprüche in ihrer Politik "aus einem Guss" spricht Merkel an und verteidigt sie im gleichen Atemzug. Gegen viertel nach acht verabschieden sie die Delegierten. Der Applaus ist nun deutlich länger als gefühlte 90 Sekunden.

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