Millionen Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen müssen sich 2010 auf deutlich steigende Beiträge einstellen. Die Chefin des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen, Doris Pfeiffer, erwartet, dass alle Versicherten spätestens 2011 den Zuschlag zahlen müssen. Millionen werden schon in diesem Jahr zur Kasse gebeten.
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...in der Financial Times Deutschland
Experten sagten voraus, dass zur Jahresmitte jedes zweite der rund 51 Millionen Kassen-Mitglieder betroffen sein wird. Wir zeigen, womit die Versicherten rechnen müssen.
Warum brauchen die Kassen einen Zusatzbeitrag?
Früher konnten die Krankenkassen eigenständig über die Höhe ihres Beitrags entscheiden. Wenn sie mehr Geld brauchten, erhöhten sie den Beitrag. Das geht seit Anfang 2009 nicht mehr. Heute gilt für alle Kassen ein einheitlicher Beitrag, der aktuell bei 14,9 Prozent des Einkommens bis zur Beitragsbemessungsgrenze (BBG) liegt.
Die Angelegenheit ist aber noch komplizierter. Denn die Einnahmen aus diesem Beitrag gehen nicht direkt an die Kasse, sie fließen zunächst in den Gesundheitsfonds. Der Bund zahlt ebenfalls in diese Geldsammelstelle ein, 2010 knapp 16 Milliarden Euro. Aus diesem Fonds erhalten die Kassen eine Pauschale für jeden Versicherten. Kommt eine Kasse mit diesen Einnahmen nicht aus, muss sie einen Zusatzbeitrag erheben. Genau das ist Fall sein: Der Verband der gesetzlichen Kassen rechnet damit, dass bis zu vier Milliarden Euro fehlen.
Wer muss mehr zahlen?
Der Spitzenverband der Kassen rechnet damit, dass der Zusatzbeitrag auf alle Versicherten zukommt. Die DAK mit sechs Millionen Versicherten ist die erste große Kasse, die 8 Euro mehr monatlich von ihren Mitgliedern verlangt. Auch Barmer und Techniker Krankenkasse schließen Zusatzbeiträge nicht aus.
Bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKen) gestaltet sich die Finanzlage zwar etwas freundlicher. Wegen ihrer Versichertenstruktur erhalten sie mehr Geld über den Risikostrukturausgleich. Kassen mit einem hohen Anteil von kranken und einkommensschwachen Mitgliedern profitieren von dem Finanzausgleich. Trotzdem schließen auch die AOKen Extraprämien nicht aus.
Einige Kassen haben einen Zusatzbeitrag für 2010 ausgeschlossen. Dazu gehört beispielsweise die Siemens-Betriebskrankenkasse (SBK) mit einer Million Versicherten. Auch die Securvita verzichtet in diesem Jahr auf den Aufschlag.

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Wie hoch wird der Beitrag ausfallen?
Für den Zusatzbeitrag gelten zwei Grenzen: Maximal darf er ein Prozent der Beitragsbemessungsgrenze betragen, 2010 also 37,50 Euro im Monat. Da der Beitrag als Pauschale erhoben werden darf, gilt zudem eine zweite Grenze: Bis zu acht Euro monatlich dürfen die Kassen verlangen, ohne zu prüfen, ob dies beim Versicherten mehr als ein Prozent des Einkommens ausmacht. Rein rechnerisch wäre flächendeckend ein Beitrag von etwa sechs Euro nötig, um das prognostizierte Defizit auszugleichen. Aber die exakte Höhe hängt von der Finanzlage jeder Kasse ab.
Und wie kommt die Kasse an ihr Geld?
Jeder Beitragszahler muss das Geld selbst überweisen oder der Kasse eine Einzugsermächtigung erteilen. Zur Vereinfachung kann der Beitrag monatlich, halbjährlich oder jährlich gezahlt werden.
Was passiert, wenn ich nicht zahle?
Dann muss die Kasse das Geld eintreiben. Dafür hat sie entweder ein Inkasso-Unternehmen - oder, wie Betriebskrankenkassen oder die Techniker Krankenkasse, den Zoll. Doch das Inkasso-Verfahren gilt als sehr aufwändig. Alternativ könnten die Versicherung Leistungen zurückfahren. Aber auch hier gibt es rechtliche Probleme.
Lohnt sich eigentlich der ganze Aufwand?
Die Kassen bezweifeln das. Schon der Aufwand der Einkommensprüfung werde gewaltig, sagen Kassenfunktionäre - ganz zu schweigen davon, säumige Mitglieder zum Zahlen zu animieren.
Kann man sich gegen den Beitrag wehren?
Ja. Denn sobald eine Kasse den Zusatzbeitrag erheben will, können die Mitglieder binnen zwei Monaten zu einer günstigeren Kasse ihrer Wahl wechseln. Allerdings haben sie keine Gewähr, dass die neue Versicherung später nicht auch zum Mittel der Zusatzprämie greift.
Wie geht die Politik damit um?
Vor allem die FDP steckt in der Bredouille. Sie hat den Zusatzbeitrag seinerzeit abgelehnt, will nun aber die gesamte Finanzierung der gesetzlichen Kassen auf einen Pauschalbeitrag umstellen - wenn auch mit sozialem Ausgleich. Doch die Umstellung kostet viele Milliarden. Angesichts des Sparzwangs im Bundeshaushalt stehen die Pläne auf der Kippe.
Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) wird attackiert, weil er kein Kostendämpfungsprogramm auflegen will. Die CSU forderte ihn auf alle Sparmöglichkeiten auszunutzen. Der Kassenverband beklagt, dass zu viel Geld für unnütze Dinge ausgegeben wird.