Günstiger ÖPNV "Gigantisches Realexperiment": Forscher wollen herausfinden, was das 9-Euro-Ticket wirklich bringt

Ein frisch an einem Automaten der Deutschen Bahn erworbenes 9-Euro-Ticket, aufgenommen im Frankfurter Hauptbahnhof
Ein frisch an einem Automaten der Deutschen Bahn erworbenes 9-Euro-Ticket, aufgenommen im Frankfurter Hauptbahnhof
© Frank Rumpenhorst / DPA
Wie verändert das 9-Euro-Ticket unser Mobilitätsverhalten? Lassen mehr Menschen das Auto stehen? Das wollen Forscher aus verschiedenen Städten jetzt herausfinden. Erste Befragungen laufen bereits.

Das geplante 9-Euro-Ticket gilt zwar noch nicht, sorgt aber schon seit Wochen für Debatten über überfüllte Züge und überrannte Urlaubsorte. Nun haben sich auch Forscher aus München, Kassel und Braunschweig dem Projekt gewidmet. Sie wollen herausfinden, wie sich das Ticket auf das Verhalten der Menschen auswirkt. Die auf drei Monate angelegte Aktion sei eine perfekte Gelegenheit zu forschen.

"Hier findet gerade ein gigantisches Realexperiment statt, das wir wissenschaftlich auswerten wollen", sagt Klaus Bogenberger, Professor an der Technischen Universität München. "Unser Ziel ist es, mit Hilfe der Daten Veränderungen im Mobilitätsverhalten zu erfassen und daraus Schlussfolgerungen für den Verkehr von morgen zu ziehen. Greift zum Beispiel das 9-Euro-Ticket und bringt es tatsächlich Menschen dazu, vom Auto auf Busse und Bahnen umzusteigen? Oder fahren die Menschen weiter viel Auto, wenn Treibstoff wegen der vorübergehenden Steuersenkungen wieder billiger wird?"

Typischerweise gehen die Forscher das Thema mit Befragungen in mehreren Wellen an: vor, während und nach den drei Monaten des 9-Euro-Tickets. So sollen Erwartungen, Nutzung aber auch langfristige Auswirkungen auf das Verhalten erfasst werden.

Ändert sich jetzt unser Mobilitätsverhalten?

Die Erforschung sei "vor allem deswegen interessant, weil man schon länger überlegt, wie man die Menschen in den ÖPNV bringt", sagt Mark Vollrath, Professor an der TU Braunschweig. Die erste Welle läuft dort seit rund zwei Wochen – mit reger Beteiligung. Rund 3000 Personen hätten bisher mitgemacht, sagt Vollrath. Das ist bereits das Dreifache der ursprünglich angestrebten Teilnehmerzahl. Weitere Befragungswellen sind im August und November geplant.

Vollrath und seinem Team geht es unter anderem darum, ob vor allem Personen, die bereits den ÖPNV nutzen, diesen jetzt günstiger weiternutzen oder ob das Ticket zum Umsteigen anregt. Zudem möchten sie herausfinden, wer umsteigt, was Menschen, die das nicht tun, daran hindert und was sich die Befragten vom ÖPNV wünschen.

"Es ist eine tolle Gelegenheit, zu sehen, welches Potenzial der ÖPNV hat, aber auch inwiefern sich Mobilitätsverhalten langfristig verändert" sagt Angela Francke, Professorin an der Universität Kassel zum 9-Euro-Ticket. Als "disruptives Element" habe es das Potenzial, gewohnheitsmäßiges Verhalten nachhaltig zu beeinflussen, heißt es von ihrem Team. Auch sie setzt auf drei Erhebungen, um dies zu beobachten. Die erste läuft bereits.

Erste Ergebnisse bereits für den Sommer erwartet

Die Teams aus Kassel und Braunschweig wollen mit ihren Erhebungen jeweils bundesweit forschen. In München konzentriert man sich dagegen auf die eigene Region. Dort sollen 1000 Teilnehmer zudem ihr Mobilitätsverhalten per App erfassen. Erste Ergebnisse könnte es schon im Sommer geben. Sowohl Francke als auch Vollrath wollen noch im Juli publizieren.

Teilweise fließt das 9-Euro-Ticket auch in bestehende Projekte ein. Beispielsweise an der Universität Duisburg-Essen, wo seine Auswirkungen auf die Mobilität von Mitarbeitern von Unternehmen in Gewerbegebieten im Rahmen einer größeren Studie untersucht werden sollen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Auch an der TU Hamburg soll ein Forschungsprojekt laufen. Das Institut für Verkehrsplanung und Logistik will in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Verkehrsverbund arme Menschen befragen. Dabei stehen Fragen im Vordergrund, wie sich das Ticket auf das Nutzungsverhalten auswirkt und welche Erfahrungen sich im Alltag ergeben.

DPA
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