Sechs Verletzte, drei davon schwer – das ist die blutige Bilanz der Amokfahrt in Berlin am Dienstagabend. Nun, am Tag nach der Tat, gehen Polizei und Staatsanwaltschaft in der Hauptstadt davon aus, dass es sich um eine religiös motivierte Tat handelte, sprich: um einen Terroranschlag. "Äußerungen des Beschuldigten nach seinen Tathandlungen legen eine religiös-islamistische Motivation nahe", hieß es in einer Erklärung der Behörden. Es gebe zudem Hinweise auf eine "psychische Labilität" des Mannes.
Der 30-jährige Iraker soll Medienberichten zufolge unter anderem "Allahu Akbar" ("Gott ist groß") gerufen haben, bevor er von der Polizei überwältigt wurde.
Der Iraker hatte nur wenige Stunden vor dem Anschlag im Internet Hinweise auf die geplante Tat veröffentlicht. Auf seiner Facebook-Seite postete er Fotos des Tatautos sowie religiöse Sprüche.

Am Mittwochmorgen war die Berliner Stadtautobahn A100 laut Verkehrsinformationszentrale für unbestimmte Zeit erneut gesperrt: "Zwischen Kreuz Schöneberg und Alboinstraße laufen Untersuchungen der Polizei." Inzwischen ist die Autobahn wieder frei.
Berliner Amokfahrer drohte mit Bombe
Die Ermittler wollten den Ablauf der Amokfahrt rekonstruieren, denn noch ist nur in Teilen bekannt, was sich am Dienstagabend in Berlin abgespielt hat: Nach bisherigen Erkenntnissen rammte der 30-Jährige gegen 19.00 Uhr mit einem schwarzen Opel Astra auf der Berliner Stadtautobahn in Wilmersdorf, Schöneberg und Tempelhof mehrere Fahrzeuge, darunter zwei Motorräde. "Die Abläufe lassen sich mit einem zufälligen Unfallgeschehen nicht in Einklang bringen", so die Behörden. Es habe sich um eine Art "Jagd auf Motorradfahrer gehandelt", erklärte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, bei einem Pressetermin.
Nach der letzten Kollision kam der Angreifer auf Höhe der Ausfahrt Alboinstraße mit seinem demolierten Wagen zum Stehen. Der Fahrer habe anschließend behauptet, in einer auf dem Autodach abgestellten Munitionskiste eine Bombe mit sich zu führen und gedroht, diese zu zünden: "Keiner kommt näher, sonst werdet ihr sterben", rief er Berliner Medien zufolge.
Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort, auch Spezialkräfte wie Bombenentschärfer waren im Einsatz. Gegen 20.45 Uhr meldete die Polizei die Festnahme des Mannes. Die Kiste wurde mit einem Hochdruck-Wasserstrahl geöffnet. "Die Untersuchungen ergaben, dass keine Gefahr vom Inhalt ausging", teilten die Beamten mit. Es seien Werkzeuge in der Kiste gewesen. Sprengstoffspuren seien im Auto nicht gefunden worden.
Die sechs Verletzen kamen zur Behandlung in umliegende Krankenhäuser. Ein Motorradfahrer sei "schwerst verletzt", teilte die Staatsanwaltschaft mit. Nähere Angaben zum Zustand der Verletzten machten die Behörden nicht.
Inzwischen hat die Berliner Generalstaatsanwaltschaft Haftbefehl gegen den 30-Jährigen wegen versuchten Mordes in mehreren Fällen beantragt. Er soll noch am Mittwoch einem Haftrichter vorgeführt werden. Möglich seien eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik oder im Untersuchungsgefängnis, so Steltner.
Die unter anderem für Terrorismus zuständige Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ließ sich über die Entwicklungen in Berlin informieren. "Wir stehen im ständigen engen Austausch mit den ermittelnden Behörden in Berlin", sagte ein Sprecher auf Anfrage.
Die Amokfahrt und der Polizeieinsatz hatten erhebliche Auswirkungen auf den Berliner Stadtverkehr. Die A100 wurde weiträumig in beiden Richtungen gesperrt, es bildeten sich lange Staus. Das Deutsche Rote Kreuz errichtete eine Verpflegungsstelle an der Autobahn und versorgte rund 300 gestrandete Menschen mit Nahrung und Getränken. Sie konnten erst am späten Abend ihre Fahrt fortsetzen.
Amokfahrer soll polizeibekannt gewesen sein
Nähere Angaben zum Ablauf von Tat und Festnahme sowie zu möglichen Äußerungen des Festgenommenen machte die Polizei bislang nicht, sie kündigte aber weitere Informationen für den Lauf des Tages an. Auch der Rechtsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses soll am Nachmittag unterrichtet werden.

Die Ermittler des Berliner Staatsschutzes wollen unter anderem das genaue Motiv des 30-Jährigen herausbekommen, es soll auch untersucht werden, ob der Mann psychisch erkrankt ist, sagte ein Sprecher der Justizverwaltung der DPA. Laut "Berliner Kurier" war er in der Vergangenheit schon einmal einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Nach Informationen des "Berliner Tagesspiegel" wurde der Mann von den deutschen Behörden nicht als islamistischer Gefährder geführt oder beobachtet. (Lesen Sie dazu im stern: "Dschihadist, Islamist, Gefährder – was ist das eigentlich?") Nach Angaben der Staatsanwaltschaft gilt der in Bagdad Geborene in der Bundesrepublik als "geduldet". Er soll bereits polizeibekannt sein, weil er 2018 in einer Flüchtlingsunterkunft Körperverletzungsdelikte begangen und einen Polizisten bedroht haben soll.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde nach seiner Erstveröffentlichung mehrfach um neue Informationen ergänzt.
Quellen: Polizei Berlin, Berliner Feuerwehr, Deutsches Rotes Kreuz Kreisverband Berlin-Zentrum, Generalstaatsanwaltschaft Berlin, Verkehrsinformationszentrale Berlin, "Tagesspiegel", "Berliner Kurier", "Bild"-Zeitung, Nachrichtenagenturen DPA und AFP