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Terrorismus Dschihadist, Islamist, Gefährder - was ist das eigentlich?

Terrorismus auf dem Berliner Weihnachtsmarkt: Auch Attentäter Anis Amri war als Gefährder eingestuft (Archivbild)
Terrorismus auf dem Berliner Weihnachtsmarkt: Auch Attentäter Anis Amri war als Gefährder eingestuft (Archivbild)
© Bernd von Jutrczenka/DPA/PICTURE ALLIANCE
Gefährder einsperren, Dschihadisten abschieben, Islamisten überwachen - so oder ähnlich hört man es nach Terroranschlägen immer wieder. Auch der mutmaßliche Attentäter aus Hamburg war als Islamist bekannt - was bedeuten solche Begriffe eigentlich?

"Die Sicherheitsbehörden haben versagt", "Der Rechtsstaat muss durchgreifen" - in der Terrorismus-Debatte sind Politiker verschiedener Parteien mit Schuldzuweisungen und Forderungen schnell zur Hand. Von "Gefährdern" ist dann die Rede, von "Dschihadisten", von "Islamisten". Auch der nach der Messerattacke in Hamburg festgenommene Ahmad A. gilt als Islamist. Doch was bedeuten diese Etiketten eigentlich?

Islamismus

"Der Islam gehört zu Deutschland", sagte Bundespräsident Christian Wulff und hat damit beschrieben, was längst Fakt ist: In unserem Land leben rund 4,5 Millionen Menschen muslimischen Glaubens. Doch genauso wenig, wie Christ gleich Christ ist, ist Moslem nicht gleich Moslem. Der eine legt seinen Glauben liberal aus, für den anderen sind die täglichen Gebete Pflichtprogramm. Diese Menschen leben ihren Glauben im Rahmen unseres Grundgesetzes aus - wie Millionen andere Bürger.

Für wiederum andere ist die Religion weit mehr. Sie wollen die freiheitlich demokratische Grundordnung abschaffen - ganz oder teilweise und unter Berufung auf den Islam. So ist die Zuschreibung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (unter anderem im Verfassungsschutzbericht 2016) für diejenigen Moslems, für die der Islam nicht nur eine "persönliche, private 'Angelegenheit' ist, sondern auch das gesellschaftliche Leben und die politische Ordnung bestimmt oder zumindest teilweise regelt." Sie bezeichnet die Behörde als Islamisten. Die vermeintlich gottgewollte Ordnung stehe bei dieser Auffassung über den von Menschen gemachten Gesetzen, so die Verfassungsschützer. Auch hier gebe es unterschiedliche Ausprägungen: Mal werde die Gleichberechtigung von Mann und Frau abgelehnt, mal die freie Meinungsäußerung, in anderen Fällen unsere gesamte Rechtsordnung.

Und auch in der Art und Weise, wie eine auf dem Islam basierende Gesellschaft herbeigeführt werden soll, unterscheiden sich laut Verfassungsschutz die unterschiedlichen Strömungen. Während einige Bewegungen auf politische Einflussnahme setzten, wählten andere den Weg der Gewalt, ob in Form von Einzeltätern oder von größeren Terrorgruppen. 

Insgesamt gehen die Sicherheitsbehörden von rund 25.000 Islamisten in Deutschland aus.

Salafismus

Die vielleicht bekannteste Strömung im Bereich des Islamismus ist der Salafismus. Ihn zu definieren, fällt aufgrund der vielfältigen Ausprägungen und Selbst- sowie Fremdzuschreibungen schon deutlich schwerer, wie unter anderem Armin Pfahl-Traughber in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung darstellt. Der Politologe und Soziologe definiert den Salafismus der Gegenwart als Ausrichtung "an den angeblichen oder tatsächlichen Gesellschafts- und Religionsvorstellungen der Frühgeschichte des Islam, welche Abweichungen oder Neuerungen kaum beziehungsweise nicht zulassen. Demnach sollen die 'heiligen Schriften' des Koran und der Sunna nicht neu interpretiert, sondern ahistorisch wortwörtlich genommen werden." Das Tragen von langen Bärten oder traditionellen Gewändern seien ein sichtbares Zeichen für diese Einstellung - die strikte oder teilweise Ablehnung der westlichen Lebensart ist ein "Markenkern" des Salafismus.

Jedoch gebe es auch unter den salafistischen Gruppierungen solche, die die Religion eher als Privatsache ansehen und solche, die sie politisch auffassen oder sich sogar dem "terroristischen Salafismus" zuwenden würden, inklusive der Inkaufnahme von Toten.

Der Verfassungsschutz beobachtet schon seit längerem, dass sich Anhänger der salafistischen Szene auch dem sogenannten Dschihad anschließen und zum Beispiel in Syrien oder im Irak an Kämpfen teilnehmen.

Die Behörde verzeichnete 2016 rund 10.000 Anhänger des Salafismus in Deutschland, Tendenz steigend.

Dschihadismus

Dschihadisten sehen sich als Kämpfer für den Islam. Dabei wird laut Verfassungsschutz zwischen dem "Großen Dschihad" und dem "Kleinen Dschihad" unterschieden. Während der "Große Dschihad" das individuelle Bemühen um das richtige religiöse Verhalten bezeichne und friedlich sei, schließe sich die problematische Klientel dem militanten "Kleinen Dschihad" an, dem "gewalttätigen Kampf zur Verteidigung bzw. Ausweitung des Herrschaftsgebiets des Islam". Bekannte dschihadistische Organisationen sind der sogenannte Islamische Staat (IS) oder die Terrorgruppe Al-Quaida. So ist der IS in Syrien und im Irak aktiv, reklamiert aber auch immer wieder Anschläge selbsternannter "Gotteskrieger" in Europa für sich. Inwiefern diese Anschläge jedoch zentral gesteuert werden, ist oftmals unklar.

Rund 900 Menschen sind Sicherheitsbehörden zufolge im vergangenen Jahr aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak aufgebrochen, um dort an Kämpfen teilzunehmen oder den IS anderweitig zu unterstützen, auch hier ist die Tendenz steigend. Einige sterben dort, andere kommen zurück - entweder geläutert und desillusioniert oder noch radikaler und noch gewaltbereiter. Der Verfassungsschutz spricht von einem "schwer zu bewertendem Gefährdungspotenzial".

Terror-Experte

Gefährder

In dieser unübersichtlichen Gemengelage versuchen die Sicherheitsbehörden, sogenannte Gefährder zu definieren. Der Begriff ist dabei abgekoppelt von Zuschreibungen wie Islamist, Salafist oder Dschihadist. Es gibt zum Beispiel auch als Links- oder Rechtsextremisten mit einer entsprechenden Einstufung, allerdings bezeichnet Holger Münch, Chef des Bundeskriminalamtes (BKA), die Gefahr eines von Islamisten verübten Terroranschlags als die derzeit größte Bedrohung

Was den Begriff des Gefährders kompliziert macht: Es gibt keine gesetzliche Definition dessen, was ihn ausmacht. Stattdessen haben BKA und die Sicherheitsbehörden der Länder die Bedeutung grob festgelegt, wie bereits 2006 aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei hervorging: "Ein Gefährder ist eine Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung (StPO), begehen wird." Hierzu zählen auch Terroranschläge. Es "reicht" also nicht allein, Salafist oder Islamist zu sein, um als Gefährder zu gelten, es müssen gleichzeitig konkrete Belege dafür vorliegen, dass ein Anschlag geplant wird. Ob ein solcher Beleg schon das bloße Googeln nach einer Bombenbauanleitung sein kann oder es weitreichendere Vorbereitungen geben muss, ist umstritten. Die Zuschreibung als Gefährder muss gegebenenfalls auch vor Gerichten standhalten. Kritiker bemängeln, dass durch die Gefährder-Definition die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt werde. 

Neue Software für Terror-Bekämpfung

Um die über 600 Gefährder hierzulande in Zukunft stets auf dem Radar zu haben, führt das BKA derzeit ein gleichnamiges System ein: "Radar-iTE". Dort sollen Daten zentral gesammelt und die Personen anhand einer Skala einer von drei Risikostufen zugeordnet werden. Anhand derer entscheidet die Polizei dann, ob und wie sie tätig wird, etwa durch Überwachung oder Ansprachen. Nach einer Novelle des entsprechenden Gesetzes können Gefährder jetzt unter anderem mit einer elektronischen Fußfessel ausgestattet werden, um ihren Aufenthaltsort zu erfahren. Auch die Abschiebung soll schneller und einfacher über die Bühne gehen - trotzdem kann sie immer noch scheitern, wenn zum Beispiel Papiere fehlen.

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