Neuer Verdächtiger im Fall NSU Netter Trucker und böser Mieter?

  • von Malte Arnsperger
Im Fall der Terrorgruppe NSU gibt es einen fünften Verdächtigen: Auf den Namen von Matthias D. wurde die Wohnung in Zwickau angemietet. D. bestreitet gegenüber stern.de die Vorwürfe.

Die Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) erschüttern die Republik. Und der Kreis der bekannt gewordenen Helfer wird zunehmend größer. Am Montag erging gegen einen vierten Verdächtigen Haftbefehl. Holger G. soll Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos bei ihrem Terror unterstützt haben. Nach stern.de-Informationen wird ein weiterer Mann als Unterstützer der Zwickauer Zelle verdächtigt: Matthias D. Auf seinen Namen ist die Wohnung in Zwickau angemietet worden, in der das Trio zuletzt wohnte.

Zudem ist der Mann aus dem sächsischen Johanngeorgenstadt auch Mieter der Wohnung gewesen, in der Zschäpe zuvor seit Anfang des Jahrtausends bis 2008 unter dem falschem Namen Susann D. gelebt haben soll. Im Gegensatz zu Holger G. ist Matthias D. allerdings noch nicht festgenommen worden. Allerdings stand sein Name sowohl auf dem Mietvertrag als auch auf dem Gehaltsnachweis. Er bezeichnete die Vorwürfe im Gespräch mit stern.de als Missverständnis. "Wenn ich was gemacht hätte, wäre ich ja wohl auch im Gefängnis. Bin ich aber nicht. Ich bin zu Haus...Ich habe damit nichts zu tun."

Es kommen in der Tat Zweifel auf, ob D. wirklich die Wohnung angemietet hat. Der damalige Hausverwalter Marc Knabbe (Name von der Redaktion geändert) ist sich "zu 100 Prozent" sicher, dass er stets mit Uwe Böhnhardt zu tun hatte, der sich als Matthias D. ausgegeben habe. Er habe sich im September 2007 gemeldet und wollte die Wohnung mieten. Eine Mietschuldfreiheitsbescheinigung, ein Gehaltsnachweis und eine Selbstauskunft hätten ihm genügt, sagte der Verwalter stern.de. Einen Ausweis habe er nicht verlangt. In der Selbstauskunft habe der Mieter die Adresse Polenzstraße in Zwickau angegeben. Im Gehaltsnachweis steht allerdings die Adresse des echten D. in Johanngeorgenstadt. In der Selbstauskunft habe der Mieter sein Geburtsjahr mit 1975 angegeben. Er sei ledig, verdiene 1600 Euro, arbeite bei einer Spedition und wolle Katzen in der Wohnung haben.

Was die Nachbarn sagen

D., so die Nachbarn in Johanngeorgenstadt, sei Lkw-Fahrer und unter der Woche stets unterwegs. Sie beschreiben ihn als nett, freundlich, unauffällig. Allerdings habe er Bekannte und Freunde, die zumindest früher in der rechten Szene aktiv gewesen seien. Er wohne seit mindestens zwölf Jahren in der Wohnung.

Die Mutter von D. wiederum sagte stern.de, sie habe Matthias in den vergangenen Tagen wiederholt angesprochen auf die Sache. Er habe ihr mehrfach versichert; "Mutter, ich habe nichts verbrochen, ich war bei der Polizei mit meinem Anwalt, mach dir keine Sorgen." Zwar habe ihr Sohn in Jugendjahren mal mit einigen Leuten zu tun gehabt, die in der rechten Szene gewesen seien. Aber das sei eine Jugendsünde gewesen und sehr lange her. Ihr Sohn sei anständig und sie glaube ihm. Ob ihr Sohn eine Wohnung in Zwickau gemietet habe, wisse sie nicht.

Hinweise auf weitere Helfer

Ob Matthias D. der letzte Verdächtige bleibt? Zweifelhaft. "Es gibt Hinweise auf weitere Helfer", sagte SPD-Politiker Thomas Oppermann, Vorsitzender des parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste, nach einer Sitzung dieses Organs in Berlin.

Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos stehen in Verdacht, 1998 die rechtsextreme NSU gegründet zu haben. Sie steckt offenkundig hinter einer bundesweiten Serie von Morden an neun türkischen oder griechischen Kleinunternehmern zwischen 2000 bis 2006, die als "Döner-Morde" bekannt wurden. Zudem soll das Trio im April 2007 die Heilbronner Polizistin Michelle Kiesewetter erschossen haben. Möglicherweise ist die Terrorgruppe für weitere Anschläge verantwortlich. Zschäpe will am Mittwoch "auspacken", berichten die "Stuttgarter Nachrichten".

Die Polizei kam dem Trio erst auf die Spur, als sich die beiden Männer nach einem Banküberfall das Leben nahmen. Kurz darauf wurde die Wohnung in Zwickau durch eine Explosion zerstört. Die Ermittler vermuten, dass Zschäpe damit Beweise vernichten wollte. Sie fanden allerdings ein Bekenner-Video, auf der sich die Gruppe der "Döner-Morde" rühmte. Warum diese DVD den Brand überstand, während Waffen schmolzen, gehört zu den diversen Rätseln, die sich den Ermittlern stellen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Ein weiteres: Die Behörden stehen unter Druck zu erklären, warum die Gruppe über Jahre unbehelligt in Zwickau leben konnte, obwohl das Trio schon 1998 festgenommen werden sollte, was damals missglückte. Die Polizei hatte seinerzeit vier Rohrbomben mit 1,4 Kilo des militärischen Sprengstoffs TNT bei den drei Rechtsextremen gefunden.

Es gibt Berichte über Verstrickungen des Verfassungsschutzes, der mit V-Männern in der Szene aktiv ist. So war die Rolle eines Mitarbeiters des hessischen Verfassungsschutzes bei einem Mord in Kassel Thema der Sitzung des Kontrollgremiums. Oppermann verwies auf den bisherigen Stand der Ermittlungen, nach dem der Mann kurz vor dem Mord den Tatort verlassen haben will.

In der Politik wird intensiv über Konsequenzen für die Sicherheitsbehörden diskutiert. So forderte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele eine Überprüfung des Verfassungsschutzes und dessen "Arbeit und Agieren im rechtsextremen, rassistischen Bereich". Der Grüne sagte der "Rheinischen Post", bereits im Verbotsverfahren gegen die NPD sei nicht mehr zu unterscheiden gewesen, ob die eingesetzten V-Männer für den Verfassungsschutz oder als Rechtsextreme agierten.

Die Diskussion über ein NPD-Verbot lebt neu auf. Bund und Länder werden in einem Antrag auf dem CDU-Parteitag aufgefordert zu prüfen, ob sich aus den Ermittlungsergebnissen zu den Taten der Terrorzelle "Konsequenzen für ein NPD-Verbot ergeben". Das von der rot-grünen Bundesregierung initiierte Verfahren war im Jahr 2003 gescheitert, nachdem bekannt geworden war, dass die NPD mit V-Leuten durchsetzt war. Beweismittel für die Verfassungswidrigkeit der Partei wären vor Gericht daher nicht verwendbar gewesen.

Friedrich: Verfahren verbietet V-Leute

Auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier fordert einen neuen Anlauf. "Wir tun gut daran, dass wir jetzt dran gehen und ein NPD-Verbot noch mal prüfen", sagte Steinmeier am Dienstag im ZDF-"Morgenmagazin". "Es hat sich gezeigt: Es ist notwendig." Bei den Ereignissen um die Thüringer Neonazi-Gruppe habe der rechtsextreme Nationalismus und Fremdenhass "seine widerliche Fratze" offenbart. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich ist skeptisch. Ein solches Verfahren sei nur möglich, wenn alle V-Leute abgeschaltet würden, sagte der CSU-Politiker im ZDF-"Morgenmagazin". "Das ist mit einem hohen Risiko verbunden, weil wir dann über viele Jahre keinen Einblick in den inneren Betrieb der Partei haben."

Mitarbeit: Kerstin Herrnkind