Um eine Partei aufzubauen, so hat Sahra Wagenknecht neulich gesagt, müsse man unterscheiden: "Was sind ehrliche, konstruktive Mitstreiter, und wie halten wir die draußen, die gestört oder Extremisten sind?" Komische Wortwahl, finden Sie nicht? "Gestört"? Jedenfalls enthält diese bemerkenswerte Unterscheidung hintenraus ein Eingeständnis, dass das neue Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) für eine beachtliche Bandbreite an politisch interessierten Personen attraktiv sein könnte, um es mal zurückhaltend zu formulieren.
Es wird spannend sein zu verfolgen, wie die mutmaßliche Parteivorsitzende den Auswahlprozess organisiert. Wird es einen Gesinnungs-PÜV geben, also einen politischen Überwachungsverein? Muss man von vier wichtigen Positionen des BSW mindestens drei vertreten? Also sagen wir: Wenn man für billiges Gas aus Russland ist, für weniger Zuwanderung und gegen das Gendern, dann muss man nicht auch noch höhere Renten befürworten?
Der Anspruch, Gestörte fernzuhalten, setzt darüber hinaus eine gewisse Menschenkenntnis voraus. Man sollte nicht ganz so danebenliegen wie Wagenknecht, als sie im Februar 2022 wenige Tage vor Kriegsbeginn einen Einmarsch Russlands in die Ukraine mit den Worten ausschloss: "Wir können heilfroh sein, dass Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird: ein durchgeknallter Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben." Damals hätte das BSW Wladimir Putin vermutlich aufgenommen. Heute weiß man es nicht genau, obwohl er sicher auch für Erdgaslieferungen und gegen das Gendern ist.
Wie würde Sahra Wagenknecht mit Sahra Wagenknecht umgehen?
Übrigens ist es das gute Recht von Parteien, sich ihre Mitglieder auszusuchen. Paragraf 10, Absatz 1, des Parteiengesetzes bestimmt, dass ein Aufnahmeantrag sogar ohne Angabe von Gründen abgelehnt werden kann. Das kommt auch in bereits existierenden Parteien durchaus vor. Praktiker nennen zum Beispiel als einen Grund, dass ein Bewerber schon in auffallend vielen Parteien mitgemacht hat. Hielte sich daran auch das BSW, müsste man den Aufnahmeantrag des Wagenknecht-Vertrauten Klaus Ernst mal etwas genauer prüfen, der bereits Mitglied der SPD war, der WASG und der Linken.
Andererseits sieht man an aktuellen Fällen, dass es auch mit Leuten, die schon seit Jahrzehnten nur einer Partei angehören, zu Problemen kommen kann. Die SPD zum Beispiel hat über Monate versucht, Gerhard Schröder aus der Partei zu werfen, der selbst in seinen schlechten Zeiten noch Wahlergebnisse geholt hat, von denen Olaf Scholz und Sahra Wagenknecht sogar zusammen derzeit nur träumen können. Nachdem der Ausschluss scheiterte, musste die SPD-Spitze jüngst den "Gleichen unter Gleichen" (Schröder über Schröder) für 60 Jahre Mitgliedschaft ehren.
Bleibt die Frage, wie Sahra Wagenknecht mit einer Sahra Wagenknecht umgehen würde. Als junge Frau nach der Wende habe sie ziemlichen Unsinn über die DDR und die Mauer erzählt, hat sie neulich zugegeben. Solche Irrungen finde man aber auch bei Olaf Scholz.

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Und das darf man sich ruhig mal auf der Zunge zergehen lassen: Der Kanzler, dessen Regierung Wagenknecht als "die dümmste Regierung Europas" bezeichnete und deren Russlandpolitik sie "bescheuert" nannte, darf dann aber doch als Kronzeuge herhalten, wenn es um die eigene biografische Entlastung geht. Keine Ahnung, wie Wagenknecht "gestört" bei Menschen definiert. Aber ihr Verhältnis zu Scholz ist es ganz bestimmt.