Hamburg - Willi Hoss, vor einem Jahr gestorbener Gewerkschaftsrebell und Mitbegründer der Grünen, hat der heutigen Vize-Bundestagspräsidentin und ehemaligen Fraktionssprecherin Antje Vollmer vorgeworfen, ihm systematisch Herrschaftswissen vorenthalten zu haben. Dessen Tochter Nina Hoss, die zu den besten Schauspielerinnen Deutschlands zählt und kommenden Sonntag die Memoiren ihres Vaters im Deutschen Theater in Berlin vorstellen wird, sagte dem stern, er habe lange überlegt, ob er das öffentlich machen soll. Sie habe ihm dazu geraten, da es wichtig sei zu wissen, "mit welchen Waffen diese Menschen arbeiten, nur um in der Öffentlichkeit glänzen zu können. Dass es ihnen nicht um die Sache ging, war meinem Vater völlig fremd".
Willi Hoss schreibt dazu in seinem Buch: "Ich war unfähig, gegen solche kleinen Tricks zu protestieren, weil ich mich einfach schämte – für mich, dass mich das so stört, und für sie, dass sie das tut." Wegen seiner Arglosigkeit, so Nina Hoss, sei ihr Vater auch überrascht gewesen von den Seilschaften seiner angeblich besten Parteifreunde bei der Kandidatenaufstellung 1990: "Die Listenplätze waren schon längst im Vorfeld ausgekungelt worden. Er hat sich dann zurückgezogen."
Der Beerdigung ihres Vaters seien viele prominente Grüne aufgrund ihres schlechten Gewissens ferngeblieben. Reinhard Bütikofer sei zwar da gewesen, "aber nicht fähig, uns persönlich zu kondolieren". Rezzo Schlauch habe sich in einem Zeitungsartikel darüber beschwert, "dass mein Vater ihn nicht mehr mochte – folglich man anscheinend weder zur Beerdigung kommen, noch wenigstens einen Kondolenzbrief schicken muss. Das zeigt mir, wie klein die in ihrer Persönlichkeit sind, Piefke". Außenminister Joschka Fischer sei sein persönlicher Machterhalt so wichtig, "dass er auf dem besten Wege ist, wesentliche Inhalte der Grünen durch Kompromisse auszuhöhlen und das auch noch als Erfolg zu verkaufen".
In dem stern-Gespräch schildert die 28-Jährige auch ihre Gefühle für den Vater, der sich 1984 in Ankara an das Atatürk-Denkmal kettete, um für die Rechte der Kurden zu demonstrieren. "Ich war bei seinen Aktionen immer gespalten. Einerseits nahm ich sie ihm übel und sagte mir: ,Spinnt der eigentlich. Wenn er stirbt, habe ich keinen Papa mehr?‘" Andererseits sei sie "wahnsinnig stolz" auf ihn gewesen, denn: "Wer hat schon einen Vater, der sich ankettet? " Ausgerechnet in der Woche seines Todes standen zwei Vorstellungen in Berlin auf ihrem Programm, und so habe sie keine Möglichkeit gehabt, bei ihm zu sein. Als ihre Mutter nachts um Vier anrief und sagte: "Sprich noch mal mit ihm. Ich habe Angst, dass er die Nacht nicht schafft", habe sie ihm gesagt: "Papa, ich nehme morgen früh die erste Maschine. Warte auf mich! Und er hat gewartet! " Als sie an sein Bett trat, "gab er einen kleinen Seufzer der Erleichterung von sich, wie ein Zeichen. Nach einer Stunde kam ein letzter langer tiefer Ausatmer – und er war tot".