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NRW-Landesparteitag der FDP Volkssport Grünen-Bashing

Hartz-IV-Kampagne? Klientelpolitik? Westerwelles Familienausflüge? In NRW bangen die Liberalen um die Regierungsbeteiligung. Und machen deshalb einen großen Bogen um die Problemthemen. Stattdessen schießen sie sich auf die Grünen ein.
Von Lutz Kinkel, Siegen

Licht aus, Musik an. Durch die Siegerlandhalle im nordrhein-westfälischen Siegen dröhnt "More then a feeling" von Boston, ein fetziger Rocksong von 1976. Auf den Videoleinwänden läuft ein Moodfilm mit sonnigen Sequenzen des Landesvorsitzenden Andreas Pinkwart. Für ein paar Minuten sieht die liberale Welt ziemlich heil und sexy aus.

Sie ist alles andere als das. Der Stolperstart in Berlin, die Spenden aus der Hotelbranche, Guido Westerwelles Familienausflüge - im Sog der Bundespolitik droht auch die FDP in Nordrhein-Westfalen abzusaufen. In der jüngsten Forsa-Umfrage des stern liegt der Landesverband wenige Wochen vor der Wahl nur noch bei sechs Prozent, eine schwarz-gelbe Mehrheit existiert nicht mehr. Geht sie verloren, kippt die Mehrheit im Bundesrat. Dann ist Feierabend mit "durchregieren", eine Option, die Kanzlerin Angela Merkel derzeit noch hat.

Was tun?

Andreas Pinkwart, Chef der Liberalen in NRW, geht auf dem Landesparteitag in Siegen umsichtig vor. Das Thema Westerwelle handelt er in drei mageren Sätzen ab: "Die Kritik der Opposition gegen Guido Westerwelle hat jedes Maß verloren. Offensichtlich handelt es sich um eine Diffamierungskampagne, gegen die sich die FDP auf das Schärfste verwahrt. Hier steht die ganze Partei zusammen." Er sagt diese Worte mit Nachdruck, kassiert Applaus, und schwenkt schnell auf die Themen über, die den Wahlkampf prägen sollen.

Die Sache mit dem Morgenthau-Plan

Es sind: Bildung, Bildung und Bildung. Sowie das grüne Feindbild. Pinkwart bezeichnet die Grünen als "forschungsfeindlich", "technologiefeindlich", ja als destruktive Kraft schlechthin. "Sie ruinieren unser Land, wenn man ihnen dazu Gelegenheit gibt." Wie das Land unter den Grünen aussehen würde, skizziert Pinkwart in einer kleinen Polemik, für die er viel grimmige Zustimmung unter den Delegierten bekommt. "Nur mal ein Beispiel aus dem Programm zum 'Green New Deal' der Grünen: 'Unser Ziel ist ein nordrhein-westfälisches Netz von Wildnisflächen.' Das stammt wohl noch aus dem Morgenthau-Plan."

Der Morgenthau-Plan war eine politische Option der Amerikaner nach dem Sieg über das nationalsozialistische Deutschland 1945. Der Plan sah vor, die deutsche Industrie abzubauen und das Land auf eine bäuerliche Gesellschaft zurückzustutzen. Umgesetzt wurde der Morgenthau-Plan nicht, sondern der Marshall-Plan, der das Wirtschaftswunder der 50er Jahre initiierte.

Grüne=Morgenthau, FDP=Marshall, so lauten Pinkwarts Gleichungen. Die Leidenschaft, mit der er und die folgenden Redner auf die Grünen eindreschen, zeigt allerdings auch deren Nervosität: Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, CDU, ist nicht auf Gedeih und Verderb auf die FDP angewiesen. Er könnte nach der Landtagswahl auch mit den Grünen zusammenarbeiten. Oder mit der SPD. Die Liberalen hingegen haben keine andere Machtoption als eine Koalition mit der CDU. Deswegen der liberale Verbalkrieg gegen die Grünen, den gefährlichsten Nebenbuhler. In der Forsa-Umfrage des stern liegen die Grünen bei elf Prozent. Eine Mehrheit für Schwarz-Grün wäre gegeben.

Pinkwart spricht auch kurz über "Hartz IV". Aber er vermeidet jede Schärfe, Westerwelles Kampfvokabeln vom "anstrengungslosen Wohlstand" und der "spätrömischen Dekadenz" nimmt er nicht in den Mund, wieso soll er sich im Arbeiter-Land NRW auch ohne Not unbeliebt machen? Seine Sorge gilt vielmehr jenen, die "unverschuldet" in Hartz IV gefallen sind. "Aufstieg sichern. Für alle" steht als Schlagzeile über Pinkwarts Foto, das parallel zu seiner Rede auf die Videoleinwände projiziert wird - eine sanfte, aber klare Distanzierung zu Westerwelles Krawallo-Stil.

Auf dem Podium sitzt übrigens nicht Parteichef Westerwelle, der erst am Sonntag kommen will. Dort sitzt vielmehr Hans-Dietrich Genscher, Ex-Parteichef, Ex-Außenminister, eine liberale Ikone im gelben V-Pullover.

Am Ende seiner Rede spricht Pinkwart den prominenten Gast direkt an. Und zwar mit einer Formulierung, die nicht nur eine Verbeugung vor dem Alten, sondern auch als Stichelei gegen dessen Nachfolger verstanden werden kann: "Wir kämpfen dafür, dass im größten deutschen Bundesland die Partei von Hans Dietrich Genscher regiert."

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