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NRW-Minderheitsregierung Kraft überholt sich selbst

Einfach nur irre: Am Mittwoch hat Hannelore Kraft noch erklärt, sie wolle in NRW in die Opposition gehen. Am Donnerstag bläst sie mit den Grünen zum Frontalangriff auf Rüttgers. Warum?
Von Christoph Cöln und Lutz Kinkel

Man muss sich ihren Frühstückstisch an diesem Donnerstagmorgen vorstellen. Darauf liegt vielleicht eine Ausgabe der "Welt". Schlagzeile: "Hannelore Kraft kann nicht einfach stehen bleiben". Oder die "Zeit". Schlagzeile: "Regiert jetzt!". Vielleicht auch die "taz". Schlagzeile: "Ein Land im Wartestand".

Irgendwann, zwischen 7-Minuten-Ei und Marmeladenbrötchen, muss es bei Hannelore Kraft Klick gemacht haben. Und es wurde ihr klar, dass ihre Strategie - Glaubwürdigkeit bewahren, in die Opposition gehen, abwarten - nicht durchzuhalten ist. Dass sie eher als Feigling gescholten, denn als Aufrechte gefeiert wird. Dass es in der Politik um Sieg oder Niederlage geht. Macht oder Ohnmacht.

Und dann sammelte Hannelore Kraft, Spitzenkandidatin der SPD in Nordrhein-Westfalen, nach einem kräftigen Schluck Kaffee kurzerhand alles ein, was sie keine 24 Stunden zuvor in Berlin verkündet hatte. Vergesst das mit der Opposition. Wir bilden eine Minderheitsregierung!

Pinkwarts Mitteilung

Wie gut, dass sie, und das ist sicher, auch die "WAZ" studiert hat. In der Donnerstagsausgabe steht ein kleiner Zweispalter. Überschrift: "Pinkwart beendet die Koalition". Darin steht, dass FDP-Chef Andreas Pinkwart, derzeit geschäftsführender Minister, mit seiner Partei künftig auf eigene Rechnung agieren will. Sollte die CDU versuchen, mit der SPD gemeinsam etwas durchzusetzen, zum Beispiel die volle Mitbestimmung in der Landesverwaltung wieder einzuführen, würden die Liberalen nicht mitmachen.

Diese Mitteilung Pinkwarts war, und deswegen ist die Überschrift irreführend, ein Warnschuss an den geschäftsführenden Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers, CDU. Motto: Wenn Du künftig die SPD umgarnen willst, um doch noch eine Große Koalition zu schmieden, werden wir Dir nicht helfen. Wir betreiben nun auch unser eigenes Geschäft. Es war ein Emanzipationsversuch Pinkwarts, der das politische Aus vor Augen hatte. Aber eben kein Bruch der geschäftsführenden Koalition.

Doch genau so ließe sich die Meldung verkaufen, muss sich Kraft gedacht haben. Es ließe sich ein Notstand deklarieren, der unverzügliche Maßnahmen erfordert.

Kraft, einmal umgefallen

Ein paar Telefonate und zwei hektische Abstimmungsrunden später traten Kraft und die grüne Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann um 15.30 Uhr in Düsseldorf vor die Presse. "Diese instabilen Verhältnisse für Nordrhein-Westfalen verlangen jetzt ein schnelles und konsequentes Handeln. NRW braucht jetzt eine stabilere Regierung, als sie Herr Rüttgers noch bieten kann", sagte Kraft. "Wir freuen uns darauf, die Zukunft in Nordrhein-Westfalen gemeinsam zu gestalten", strahlte Löhrmann.

Kraft war, gemessen an ihren eigenen Maßstäben, schlicht umgefallen. Löhrmann hatte kräftig mitgestupst. Und die SPD im Bund sah es nicht ohne Freude. "Wenn die sich jetzt aus der Verantwortung stehlen, dann müssen wir in die Verantwortung hinein", sagte der NRW-Landesgruppenvorsitzende Axel Schäfer zu stern.de. Schäfer schwört darauf, dass die Parteispitze keinen Druck auf Kraft ausgeübt habe. Aber "Fingerzeige" der SPD habe es schon gegeben, notierte ein Grüner genüsslich.

Die grüne Sicht auf die Macht

Die Grünen hatten es nicht bei Fingerzeigen belassen. Im Gegenteil. "Jetzt müsste Frau Kraft springen und traut sich nicht", hatte der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir dem "Hamburger Abendblatt" gesagt. "Eine Minderheitsregierung ist sicher nicht ideal, aber in der aktuellen Lage die ehrlichste und beste Lösung, um zumindest Nordrhein-Westfalen aus der schwarz-gelben Umklammerung zu lösen." Deutlicher lässt es sich nicht formulieren. Entsprechend groß war die Erleichterung an diesem Donnerstag. "Wir wollen jetzt den Politikwechsel in der Bildungs- und Energiepolitik umsetzen, für den die Wählerinnen und Wähler am 9. Mai gestimmt haben", sagte die nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn zu stern.de.

Aus der Sicht der Grünen ist die Lage klar: Lieber den Regierungsapparat unter die eigene Kontrolle bringen und mit rot-grüner Politik anfangen, als edel und rein in der Opposition vor sich hindämmern. Ebenso hat bei den Grünen die Befürchtung eine Rolle gespielt, dass Rüttgers ein Comeback gelingen könnte - indem er sich als Versöhner geriert, der öffentlich seine Fehler bereut, auf die Menschen zugeht, und im Landtag mit einer konsensorientierten Politik die Opposition in Watte packt. Diesen "schwarz-gelben Wiederaufbau", wie es ein Grüner formulierte, wollten sie dem Erzfeind Rüttgers nicht gönnen.

Das erprobte Gespenst

CDU und FDP waren zunächst vollkommen überrumpelt von Krafts Manöver. Aber dann holten sie das wahlkampferprobte "Kommunisten"-Gespenst aus der Gruft. Rüttgers sprach in Düsseldof von der "schlimmsten Wählertäuschung", die es in der Geschichte Nordrhein-Westfalens gegeben habe. Die SPD habe sich zur "Geisel" der Linkspartei gemacht. Was das bedeutet, haben seine Strategen bereits vorgedacht. "Wir gehen davon aus, dass Hannelore Kraft sich zur Ministerpräsidentin wählen lassen wird, und es könnte sein, dass die Linke ihr eins auswischt und sie im ersten Wahlgang mitwählt. Dann hätte sie schon das erste Problem", sagt ein CDU-Mann aus der Staatskanzlei zu stern.de. "Allerdings wird die Linke danach den Haushalt, den Rot-Grün einbringt, nicht mittragen. Dann hätte Frau Kraft das nächste Problem."

In der Berliner FDP-Führung heißt es, Krafts Begründung ihrer geplanten Minderheitsregierung sei "an den Haaren herbei gezogen". Sie brauche nur einen "Vorwand für ihr linkes Abenteuer." In Düsseldorf erklärte FDP-Landeschef Pinkwart, Kraft habe sich von den Grünen und dem SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel in die "Ypsilanti-Falle" treiben lassen. Geplant sei ein Linksbündnis in NRW - und später im Bund. Und dann erklärte Pinkwart noch, seine Partei werde in jedem Fall geschlossen Rüttgers wählen und keinesfalls Kraft. Damit drehte sich Pinkwart auch einmal um die eigene Achse - schließlich hatte er sich in der "WAZ" gerade deutlich von Rüttgers distanziert.

Stichtag: 13. Juli

Und nun? Am 13. Juli will sich Kraft aller Voraussicht nach zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Rüttgers, der Untote der NRW-CDU, strebt nach stern.de-Informationen den Fraktionsvorsitz an. Rot-Grün hofft, mit der Minderheitsregierung die Linkspartei vor sich her treiben zu können und die Schwarz-Gelbe Opposition mit vernünftiger Politik zu spalten. Im Bundesrat wollen sie Angela Merkel die rote Karte zeigen. CDU und FDP hoffen ihrerseits, Grüne und SPD in die linke Ecke treiben zu könne.

Der Machtkampf in Düsseldorf ist noch nicht beendet. Fortsetzung folgt.

Mitarbeit: Hans Peter Schütz

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