Kurz vor Weihnachten sorgt die rasante Ausbreitung der Omikron-Variante des Coronavirus in europäischen Ländern für große Beunruhigung auch in Deutschland – und erhöht den Druck auf die Politik. Der neue Corona-Expertenrat der Bundesregierung warnte vor einer dramatischen Lage (der stern berichtete), es gebe "Handlungsbedarf" bereits für die kommenden Tage. Noch vor Weihnachten beraten daher Bund und Länder über das weitere Vorgehen. Kommen nun strengere Beschränkungen?
"Werden um einen Lockdown nach Weihnachten vermutlich nicht herumkommen"
Bund und Länder wollen bei ihrem Spitzentreffen zur Coronakrise am Dienstag neue Kontaktbeschränkungen auch im privaten Bereich beschließen. Dies sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Montag im "Morgenmagazin" der ARD. Zudem solle ein "Notfallplan" verabschiedet werden, um das Land weiter am Laufen zu halten, wenn sehr viel Menschen am Coronavirus erkranken sollten. Auch die Fortsetzung und Beschleunigung der Booster-Impf-Kampagne stehe auf dem Programm. "Die Omikron-Variante mahnt zur absoluten Wachsamkeit", sagte Wüst. Er wollte nicht ausschließen, dass die Kontaktbeschränkungen auch für Geimpfte und Genesene gelten werden. "Wir sollten vorsichtig sein, irgend etwas auszuschließen", sagte er. Klar sei schon jetzt: "Die große Silvesterparty kann in diesem Jahr wieder nicht stattfinden."
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte den Sendern RTL und ntv, es zeichne sich ab, "dass die Kontaktmöglichkeiten auch bei Veranstaltungen nochmal reduziert werden". Weihnachtsfeiern im kleinen Kreise mit der Familie sollten möglich sein, aber "es gehen eben keine Silvesterpartys, es gehen keine Feiern im großen Kreis". Dies müsse "jetzt auch kommuniziert werden, und das wird sicherlich in den nächsten Tagen massiv erfolgen". Einen generellen Lockdown halte er derzeit noch für unwahrscheinlich, sagte der scheidende Regierungschef. Trotzdem müsse bei den Maßnahmen nun nachgeschärft werden: "Die Kontaktbeschränkungen sind ja kein Lockdown. Aber ich glaube, wir müssen da tatsächlich nochmal ran."
Nach der Stellungnahme des Corona-Expertenrats hat FDP-Fraktionschef Christian Dürr das Ziel bekräftigt, einen Lockdown zu vermeiden. "Sinnvolle Kontaktbeschränkungen, wenn sie nötig würden, muss man sich anschauen", sagte Dürr am Sonntagabend in der ZDF-Sendung "Berlin direkt". "Aber zum jetzigen Zeitpunkt sage ich: kein Lockdown und möglichst wenig Kontaktbeschränkungen." Dürr kündigte an, dass die FDP alle Maßnahmen mittragen werde, "die wirksam sind". Auf die Frage, ob er für Kontaktbeschränkungen schon vor Weihnachten sei, sagte er: "Da müssen wir jetzt drüber reden. Wir schauen uns das an, was Experten uns sagen, treffen dann politische Entscheidungen."

Wegen der Omikron-Variante rechnet Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) nach dem Jahreswechsel mit einer Ausweitung der Corona-Beschränkungen. "Ich bin mir sicher, dass Clubs und Diskotheken schließen werden, dass wir die Kontakte auch für Geimpfte in Innenräumen reduzieren werden", sagte er am Montagmorgen im Deutschlandfunk. Habeck geht nach eigenen Worten davon aus, dass dies Gegenstand der für Dienstag angekündigten Bund-Länder-Beratungen sein werde "und dass das dann auch verabredet wird für den Januar". Einen kompletten Lockdown, wie ihn sein Parteikollege Janosch Dahmen ins Gespräch gebracht hatte, hält Habeck nicht für erforderlich. Mit Vorschlägen, das private und öffentliche Leben vollständig lahmzulegen, solle man "nicht leichtfertig" umgehen, warnte der Bundeswirtschaftsminister.
Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen brachte einen Lockdown nach den Feiertagen ins Spiel. "Wir müssen mit unseren Maßnahmen vor die Omikron-Welle kommen. Unser heutiges Handeln bestimmt die morgige Pandemie-Lage", sagte Dahmen der Deutschen Presse-Agentur. "Angesichts der äußerst hohen Übertragbarkeit von Omikron werden wir um einen Lockdown nach Weihnachten vermutlich nicht herumkommen. Ein mögliches Szenario wäre ein gut geplanter Lockdown Anfang Januar."

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Einen Lockdown vor Weihnachten hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am Sonntag ausgeschlossen. Auf die Frage, was mit der Zeit nach den Festtagen sei, sagte der SPD-Politiker in der "Bild"-Sendung "Die richtigen Fragen": "Ich glaube, auch da werden wir keinen harten Lockdown haben." Er schrieb aber auf Twitter, man müsse eine offensive Booster-Impfkampagne fahren und "die Maßnahmen der Kontaktreduktion verschärfen".
Die Entwicklung der Omikron-Variante zeige, "dass wir uns auch hierzulande große Sorgen machen müssen hinsichtlich einer Überlastung unseres Gesundheitssystems und der Sicherstellung grundlegender öffentlicher Aufgaben", sagte die stellvertretende Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Marie Klein-Schmeink, der "Welt". "Deshalb müssen dringend weitere Vorkehrungen getroffen werden, um so gut wie möglich gegenzusteuern." Sollte es Verschärfungen brauchen, stehe die SPD-Fraktion im Bundestag bereit, kurzfristig Entscheidungen zu treffen, sagt die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dagmar Schmidt der Zeitung.
"Jeder zusätzliche, nicht notwendige Kontakt ist einer zu viel. Im schlimmsten Fall erwarten wir bis zu 700.000 Neuinfektionen pro Tag", sagte Unions-Fraktionsvize Sepp Müller (CDU) der "Welt". Deswegen brauche es jetzt "eine gesetzliche Grundlage auch für einen nationalen Lockdown". AfD-Fraktionschefin Alice Weidel sagte der Zeitung dagegen: "Lockdowns bringen nichts und sind kontraproduktiv, das haben die bisherigen Versuche hinlänglich gezeigt."
Städte- und Gemeindebund fordert erneute Feststellung der epidemischen Lage
Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, sagte der "Augsburger Allgemeinen" (Montag), er sehe "leider einen Lockdown auf uns zukommen, der uns alle betreffen wird". "Die ersten Berichte weisen darauf hin, dass selbst nach dem Boostern der Schutz vor einer Omikron-Infektion nur bei rund 75 Prozent liegen könnte, während er bei Delta nach der dritten Impfung bei weit über 90 Prozent liegt." Das würde bedeuten, dass sich viel mehr geimpfte Menschen mit Omikron anstecken könnten, betonte er. "Wir werden die bei Omikron hochschießenden Inzidenzen sehr stark runterbringen müssen, und das wird uns nicht jetzt wie in dieser vierten Welle mit Booster-Impfungen gelingen, sondern dann nur wieder mit Abstand und Kontaktbeschränkungen", sagte Watzl.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sagte dem "Tagesspiegel": "Die Gefahr besteht, dass wir in einen neuen Lockdown müssen." Wenn sich die Omikron-Variante in Deutschland trotz der Booster-Kampagne so schnell ausbreite wie gerade in England oder den Niederlanden, "werden weitere Kontaktbeschränkungen wahrscheinlich kaum zu vermeiden sein".
Angesichts der rasanten Ausbreitung der Omikron-Variante fordert der Städte- und Gemeindebund die erneute Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Bundestag. Es sei wichtig, zusätzliche Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung zu haben, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Das bedeutet, der Deutsche Bundestag müsste in einer Sondersitzung möglichst noch vor dem Jahreswechsel erneut die epidemische Lage feststellen." Diese war auf Wunsch der Ampel-Parteien im November ausgelaufen. Damit sind etwa ein flächendeckender Lockdown oder umfassende Schließungen von Schulen und Geschäften rechtlich nicht mehr möglich. Landsberg äußerte deswegen Bedenken. "Wir sind in großer Sorge, dass die vom Expertenrat empfohlenen Kontaktbeschränkungen nicht ausreichen könnten", sagte er den Funke-Zeitungen.