Das gab es noch nie auf einem Bundesparteitag der Liberalen: Sechs Stunden mindestens wollen sie in Frankfurt über die Grundsatzrede ihres Vorsitzenden Philipp Rösler diskutieren. Genug Zeit, um ihn fertig zu machen wegen seiner Führungsschwäche. Ihn runterzuputzen, weil er nichts Vernünftiges "geliefert" hat, wie er auf dem letzten Parteitag in Rostock im Mai versprochen hatte. Zu piesacken, weil die FDP seit Monaten in der Todeszone unter fünf Prozent rumhängt. Rösler muss Antworten geben: Weshalb die FDP in der Europa-Krisendebatte nicht stattfindet, wo denn sich der Außenminister Westerwelle versteckt, wo die vollmundig versprochenen Steuersenkungen bleiben.
Von wegen Bildungspolitik als Schwerpunkt, wie es einmal geplant war. Der Parteitag muss jetzt den Liberalen als Gruppentherapie zwecks Selbstfindung dienen. Wolfgang Kubicki, FDP-Fraktionschef im schleswig-holsteinischen Landtag, der nächstes Jahr im Mai bei der Landtagswahl ums politische Überleben kämpfen muss, sagte zu stern.de: "Unsere Leute brauchen etwas, woran sie sich festhalten können." Die Diskussion auf dem Parteitag sei "eine Chance, sich am eigenen Kopf aus dem politischen Sumpf zu ziehen."
Es gibt zumindest einen, der weiß, was er tut
Kubicki will endlich wissen, was denn die fünf FDP-Bundesminister politisch treiben. Derzeit seien sie "kaum wahrnehmbar." Westerwelle? Weggetaucht und unsichtbar. Rösler? Verantwortlich für die "existentielle Krise." Niebel? Totalausfall bei der FDP-Entwicklungshilfe. Leutheusser-Schnarrenberger? Findet nicht statt in der Rechtspolitik. Kubicki sieht nur einen "Fels in der Brandung": den FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle. Der wenigstens wisse, "wovon er redet und weiß, was er tut."
Neben den personellen Schwachstellen nistet längst eine inhaltliche Entleerung in der FDP, die in den vier Amtsjahren des Generalsekretärs Niebel und des Parteichefs Westerwelle systematisch betrieben wurde. Niebels Nachfolger Christian Lindner soll das jetzt blitzschnell durch ein neues Programm ausgleichen, Zeit für die dafür eigentlich notwendige intensive Diskussion bleibt ihm nicht. Manchmal stöhnt er mit Blick auf seine Lage: "Ich habe die Arschkarte gezogen." Intern wird er massiv kritisiert: Lindner brauche viel zu lange, um zu konkreten Ergebnissen in Sachen Programm zu kommen. Er habe nicht den Nerv, in der politischen Bundesliga mitzuspielen.
Keiner hört auf Rösler
Kubicki fragt sich, was seine Partei eigentlich vorzuweisen habe? Eine Steuerdebatte, die jetzt von der SPD blockiert, über Weihnachten bis ins neue Jahr gezogen werde. "Wer das als großen Erfolg verkauft, ist nicht ganz dicht." Und Finanzminister Wolfgang Schäuble, der sowieso keine Steuersenkung wolle, "der lacht sich eins."
Die sechs Stunden Debatte in Frankfurt werden für Parteichef Rösler ein Härtetest. Der erhoffte Neubeginn und Wiederaufstieg in der Gunst der Wähler mit ihm ist glatt ausgefallen. Noch einmal wird ihn die Partei nicht so sanft wohlwollend behandeln wie bei seiner Wahl in Rostock, es wird weitergestolpert. Die Wähler laufen weg, die Mitglieder auch. Bei Merkel hat er nichts zu sagen, bei Schäuble auch nicht. "Keine Lebenserfahrung", urteilt Kubicki. In Rostock hat Lindner die Delegierten mit dem Scherz begrüßt "Willkommen im Keller." Darüber kann jetzt auch in Frankfurt wieder gelacht werden.
Nichts ist besser geworden für die FDP. Sie kämpft ums Überleben. Raum für weiteren Abstieg ist nicht vorhanden. Unter dem Hoffnungsträger Rösler ist sie näher an den politischen Abgrund gerückt als jemals zuvor. Nach Frankfurt begleiten ihn Schlagzielen wie "Der Oberbestatter der Liberalen". Einer eben, der die Liberalen in sanfter Würde zu Grabe trage. Und ebenso sprachlos wie kleinmütig zusehe, wie die Kanzlerin einen Partnerwechsel vorbereitet. Siehe Mindestlohn, der bei den Liberalen ungefähr so erwünscht ist wie Hautausschlag. Verliert Rösler den vom Parteifreund Frank Schäffler angezettelten Mitgliederentscheid zum Euro, dann muss er gehen.

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1,8 Prozent zuletzt in Berlin - eine Splitterpartei. In Baden-Württemberg, einst liberales Stammland, aus der Regierung geflogen. Die dortige FDP-Landesvorsitzende Birgit Homburger wurde als FDP-Fraktionschefin in der Hauptstadt abserviert und nur mit matten 66 Prozent zur stellvertretenden Parteichefin gewählt, wo sie so gut wie nicht stattfindet. Sie wird, vermutlich erst am zweiten Tag des Kongresses, die bildungspolitische Debatte eröffnen, mit der die FDP die Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems erhöhen will, um Umzüge der Eltern zu erleichtern und die Bildungsstandards in der Bundesrepublik vergleichbarer zu machen.
Es geht der FDP nicht gut - das muss klar sein
Offen ist, ob die FDP ein Signal gegen den Ruf der CDU nach einem gesetzlichen Mindestlohn in Frankfurt setzt. Bis unmittelbar vor dem Parteitag lag kein entsprechender Antrag vor. Gelassen geht nur der FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle, der längst als "heimlicher Parteichef" gilt, in den Parteitag. Seine Ziele: "Wir müssen zeigen, dass wir auch in schwierigen Zeiten anständig miteinander umgehen." Und der Parteitag müsse mitwirken "beim Aufbau von Glaubwürdigkeit der FDP". Dazu gehört aus seiner Sicht vor allem: "Dass die Aussprache nicht unterdrückt wird darüber, dass es der FDP nicht gut geht." Bei der Bildungsdebatte muss die FDP nach Brüderles Sicht "wegkommen vom Bildungs-Postkutschenföderalismus." Und natürlich werde auch die Eurodebatte zum Parteitag gehören. Da will er ein "Ende der Tricksereien" erleben und zudem müsse der Kosmetikkoffer bei der Betrachtung der Lage weggepackt werden. "Wer künftig die Regeln nicht einhält, muss raus aus der engeren Eurozone."
Nur Brüderle bekommt in der FDP-Führung Kubickis vollen Segen. Nicht gerade ein Kompliment für die junge FDP-Führungsgarde rund um Rösler, die Brüderle vor nicht allzu langer Zeit zum Rücktritt als Wirtschaftsminister gezwungen haben.