Anzeige
Anzeige

Pendlerpauschale Steuergeschenke erhalten die Freundschaft

Der einzige Wahlkampf-Schlager der CSU ist die Pendlerpauschale. Mit 2,5 Milliarden Euro wollen sich die Bayern die Gunst der Autofahrer zurückkaufen. Und die zeigen sich durchaus anfällig. Ein Lehrstück über Politik in Zeiten knapper Mehrheiten und hoher Benzinpreise.
Von Franziska Reich

Es ist doch immer das gleiche Theater, ewig und drei Tage, und heute, an diesem heißen Juli-Mittwoch, wird es aufgeführt von Erwin Huber, dem CSU-Vorsitzenden. Steht auf einer Bühne in Aschaffenburg und erzählt, dass für die CSU "Sauberkeit, Fleiß und Nächstenhilfe" dazugehören und dass er sich bei der Blaskapelle für den schönen Empfang bedankt. Die Leute nicken. Und die CSU - das ruft Huber dann ein bisschen lauter -, die CSU vergesse auch nicht die "fleißigen Leut", die brav zur Arbeit fahren und denen der Staat die Pendlerpauschale wiedergeben soll. Ist doch so teuer geworden, das Benzin. Geht doch nicht, dass die Fleißigen immer weniger haben. Da, endlich, brandet Applaus auf. Wir schreiben das Jahr 2008, und Herr Huber spricht, als säße er schon in der Opposition.

Im September wird in Bayern der Landtag gewählt, und dieses Stück mit dem Titel "Piep piep piep, habt uns bitte wieder lieb!" wird inzwischen von allen Parteien aufgeführt - am abgefeimtesten aber von der CSU. Weil sie laut Umfragen mindestens elf Prozent ihrer Wähler verloren hat. Und so stürzt sie sich jetzt verzweifelt auf die Pendlerpauschale, das einzig populäre Thema weit und breit - und damit in den Kampf gegen die eigene Politik. Vor gerade einmal zwei Jahren hat sie selbst zusammen mit SPD und CDU die Pauschale von 30 Cent ab dem ersten Kilometer auf 30 Cent ab dem 21. Kilometer gekürzt. Und auch sie wusste damals genau, was das Wort "Kürzung" bedeutet. Weniger für die Pendler. Mehr für den Staat.

Die Panik der CSU ist übermächtig

Doch jetzt geht es um die Verteidigung der absoluten Mehrheit im Freistaat - da muss man eben etwas Hübsches versprechen. Die CSU möchte sich den Wahlsieg mit 2,5 Milliarden Euro erkaufen - und verkauft die Pendlerpauschale als Heilsalbe gegen die Pest. 85 Prozent aller Deutschen sprechen sich für die Wiedereinführung aus, obwohl nur etwa 42 Prozent der 27 Millionen Arbeitnehmer von der Kürzung betroffen sind - davon rund die Hälfte mit weniger als elf Euro pro Monat. Doch Geld ist Geld und aus Sicht eines wahlkämpfenden Erwin Huber also ein Straßenfegerthema, bei dem jeder vielleicht ein bisschen gewinnt: Die CSU gewinnt Profil, Sympathie und Stimmen, die Pendler gewinnen die Hoffnung auf höhere Rückzahlungen vom Finanzamt. Mögen die Krankenkassenbeiträge noch so stark steigen! Sei der Staat mit 1,5 Billionen Euro verschuldet! Alles egal.

Die Panik der CSU ist übermächtig. Und so tut man eben weiterhin so, als könnten 2,5 Milliarden Euro für Pendler die stetig steigenden Energiekosten aller Deutschen wettmachen. Spielt voller Hingabe den Rächer der Entrechteten, obwohl längst nicht alle und Geringverdiener am wenigsten von der alten Pauschale profitieren. Denn wer zu wenig verdient, um überhaupt Steuern zu zahlen, kann noch so weit pendeln - vom Finanzamt bekommt er niemals einen Cent zurück. Und überhaupt, wo dann die fehlenden 2,5 Milliarden Euro eingespart werden: bei der Bildung oder bei der Infrastruktur? In der Kinderbetreuung oder im Sozialsystem? Darüber verliert die CSU kein Wort.

"Aufs richtige Pferd gesetzt"

Nach seiner Rede steht Erwin Huber neben der Bühne und freut sich ausgiebig über die schöne Stimmung. "Das Ding mit der Pauschale läuft richtig gut für uns", sagt er, "genau in dem Moment, als die Energiepreise explodierten, habe ich im Interview am Ostersonntag die alte Pauschale gefordert." Dann lächelt er voll Selbstgefallen und erklärt: "Konnte ja keiner ahnen, dass das Thema so einschlägt. Aber manchmal hat man eben Glück. Und schlau, wie wir sind, haben wir genau aufs richtige Pferd gesetzt." Für Huber heißt das richtige Pferd zum Beispiel: Lothar Hemrich.

Jeden Morgen zwischen sechs und halb sieben verlässt dieser Lothar Hemrich sein Einfamilienhaus im Neubaugebiet von Großrinderfeld und setzt sich in den silbernen Kia Carens Van. Dann fährt er 27 Kilometer über schön ausgebaute Bundesstraßen, immer im Strom, diesem nie versiegenden Strom der Pendler. 350 Millionen Kilometer legen die Deutschen Tag für Tag zur Arbeit zurück. Hemrich, der 40- jährige Bautechniker, ist bei der Versorgungs- und Verkehrs-GmbH in Würzburg für Wasserschutzgebiete zuständig.

Wettkampf ums beste Versprechen

Damals, als er sich zusammen mit seiner Frau Manuela den Lebenstraum vom Eigenheim erfüllen wollte, schlugen sie auf der Karte einen 20-Kilometer-Radius um seine Arbeitsstelle und fanden schließlich das Grundstück in Großrinderfeld, zwar sieben Kilometer weiter, aber dafür günstig. Lothar und Manuela, die sechsjährige Lara, der dreijährige Marvin und Lennox, der Hund. Die Hemrichs waren eine der ersten Familien, die 2002 ihr hellblaues Häuschen bezogen. Inzwischen drängen sich ringsherum die Träume anderer Familien, die meisten hellgelb, manche hellblau - und drinnen überall Pendler. Pendler an Pendler. "Ich liebe das Dorfleben. Wo man wohnt, ist doch jedermanns freie Entscheidung", sagt Lothar Hemrich. Er weiß, dass jeder Wahlkampf ein Wettkampf ums beste Versprechen ist. Aber die Streichung trifft ihn wirklich. Alles ist teurer. Lebensmittel, Energie, Benzin - "da schaut man sehr genau aufs Geld". Dann blickt er hoch und sagt: "Wenn sie die alte Pauschale wieder einführen, werden sie es sich an anderer Stelle wiederholen. Da mache ich mir nichts vor." 229 Euro pro Jahr kostet ihn die Kürzung der Pauschale, die 2007 mit dem Steueränderungsgesetz in Kraft trat.

Andere sind härter getroffen: Nicole Köstner, alleinstehende Erzieherin in einem Behindertenheim in Freising, fährt jeden Tag 40 Kilometer zur Arbeit und muss mit 380 Euro weniger pro Jahr auskommen. Christian Jakob Huber, Verwaltungsbeamter in München, wohnt 79 Kilometer vom Job entfernt und hat am Ende 468 Euro weniger. Werner Bäumler, Betriebsschlosser in Peiting, legt 50 Kilometer zurück, ihn kostet die Kürzung 399 Euro. Natürlich hätten diese Pendler gern die alte Regelung zurück. Bei ihnen trifft die CSU mit ihrer Kampagne tatsächlich einen schmerzenden Nerv.

Politik nach Gutdünken

Doch eigentlich hatte sich die Große Koalition aus vielerlei und aus guten Gründen dazu durchgerungen, das "Werkstorprinzip" in Deutschland einzuführen - ein Prinzip, das besagt: Die Arbeit beginnt am Werkstor, der Arbeitsweg ist Privatvergnügen und damit nicht mehr steuerlich geltend zu machen. Warum sollte der Staat weiterhin die vollkommen private Entscheidung subventionieren, dass jemand lieber auf dem Land leben als teure Mieten in der Stadt bezahlen will? Warum weiterhin die Zersiedlung der Landschaft fördern? Warum nicht möglichst viele Subventionen streichen und dafür endlich die Staatsschulden zurückzahlen? Außerdem, so befand die Große Koalition, würden die Belastungen bereits durch den Werbungskosten-Pauschalbetrag in Höhe von 920 Euro berücksichtigt. Damit werden bei 30 Cent pro Kilometer umgerechnet immerhin 14 Kilometer Fahrtweg weiterhin steuerlich abgegolten.

All diese Argumente - eigentlich doch gar nicht so schlecht! Doch am Rednerpult im Bundestag machte damals kein einziger Abgeordneter den Rücken gerade und erklärte den Wählern diese unpopuläre Botschaft. Kein einziger sagte: "Ja, es ist wahr, diese Entscheidung kostet euch Geld - aber wir brauchen es, um in die Zukunft zu investieren." Stattdessen duckte man sich möglichst tief und beschloss, um trotzdem nicht allzu viele Wähler vor den Kopf zu stoßen, eine Härtefallregelung. Diejenigen, die mehr als 20 Kilometer von der Arbeitsstätte entfernt wohnen, dürfen weiterhin subventioniert pendeln. Politik nach Gutdünken. Ohne Mut. Ohne Konzept.

Glücklich über das gefundene Fressen

Inzwischen prüft das Bundesverfassungsgericht die Rechtmäßigkeit der Regelung. Im Herbst steht die Entscheidung an, und eigentlich erübrigt sich also bis dahin jedes Wort der Politik. Doch für die bedrängte CSU ist das kein Grund, das Thema nicht trotzdem im Wahlkampf hochzuziehen. Und so spricht Generalsekretärin Christine Hadertauer in Talkshows auch schon mal von den drohenden "schlimmen Zuständen" in deutschen Städten, wenn alle Pendler wegen der fehlenden Pauschale in die Städte ziehen müssten. "Wie in Kalkutta!", ruft sie dann. Auf jedem Marktplatz, in jedem Saal sammelt ihre Partei inzwischen Unterschriften wie verrückt. Seit der Hesse Roland Koch diese Art Mobilisierung im Kampf gegen die doppelte Staatsbürgerschaft entdeckte, lieben Politiker diese Listen des gesammelten Volkszorns. Am Rande von Hubers Auftritt in Aschaffenburg jubelt ein Jung-Unionist: "Vier Blatt voll in zwei Stunden! Der Hammer!" Vor allem die nicht betroffenen Rentner drängen in Trauben an die Tische. Zum Dank legt die CSU ein Tütchen Gummibären obendrauf.

Man ist so glücklich über das gefundene Fressen. Die Partei sei in den vergangenen Monaten furchtbar verkrampft gewesen, sagt ein CSU-Spitzenpolitiker aus Berlin, "das Thema dient als Muskelentspanner. Das lassen wir uns nicht mehr nehmen". Bankenskandal, Rauchverbot, ungenügendes Bildungssystem - die CSU hofft inständig, mit der Pauschale den Schleier des Vergessens über all diese hausgemachten Probleme zu ziehen. Darum also die Parteiparole: ganz viel Verständnis für die Sorgen und Nöte des "kleinen Mannes". Zu diesen "kleinen Männern" gehören Menschen wie Ulrike Schramm-de Robertis. Fünffache Mutter, Filialleiterin von Lidl in Bamberg und Hausbesitzerin im 15 Kilometer entfernten Priesendorf. 32 000 Euro verdient sie im Jahr. Sie kommt so gerade eben hin - wenn sie peinlich genau darauf achtet, dass die Kinder die Lichter in den Zimmern löschen und der Urlaub an der Costa Brava kürzer ausfällt. Die Steuererklärung für 2007 hat sie bisher nicht abgegeben. Sie traut sich nicht so recht. Sie sagt, dass natürlich auch ihre Wahlentscheidung davon abhänge, wer die Pendlerpauschale in alter Höhe wieder einführe. "Die Leute haben immer weniger im Geldbeutel - denen muss doch mal etwas zurückgegeben werden!"

Pendler mit hohem Einkommen profitieren

Auf die Versprechen der CSU, das weiß Frau Schramm-de Robertis genau, braucht sie nicht zu hoffen. Von einer Rückkehr zur alten Regelung hätte eine wie sie, eine Geringverdienerin ohne sonstige Werbungskosten, ohnehin keine Entlastung zu erwarten. Zwar konnte sie früher die 15 Kilometer Fahrtweg absetzen. Doch dank der Werbungskostenpauschale werden ihr noch immer 14 Kilometer erstattet. Es sind vor allem Pendler mit hohem Einkommen, die vom CSU-Versprechen profitierten. Wer viel verdient, weit fährt und dabei mit einem modernen, spritsparenden Fahrzeug unterwegs ist, würde bei der alten Pauschalenregelung am meisten gewinnen - Höchstverdiener bis zu 600 Euro pro Jahr. Aschaffenburg an diesem heißen Mittwoch im Juli. Die Blaskapelle schwitzt noch immer unter dem Sonnenschirm mit der Bierreklame "Schlappe Seppel - seit 100 Jahren in aller Munde". Erwin Huber zupft sich am Ärmel seines weiß-blau karierten Hemdes und kriegt sich immer noch nicht ein: "Was für ein Thema! Jeden Tag spüren die Menschen an der Zapfsäule den Benzinpreis mit schmerzenden Fingern." Seine CSU steigt in den Umfragen wieder. Endlich müssen ihn auch die Damen und Herren in Berlin ernst nehmen. Wenigstens das ist neu.

Mitarbeit: Mathias Rittgerott print

Mehr zum Thema

Newsticker