Flugblatt-Affäre "Eine Schande Bayerns": Politiker reagieren auf Söders Rückendeckung für Aiwanger

Hubert Aiwanger bei einem Wahlkampfauftritt in einem Bierzelt in Grasbrunn
Während Söder seinen Wirtschaftsminister Aiwanger vom Haken lässt, macht der Freie-Wähler-Chef macht in einem Bierzelt in Grasbrunn Wahlkampf
© Tobias Schwarz / AFP
Markus Söder hat ein Machtwort gesprochen: Trotz des Skandals um ein antisemitisches Flugblatt hält Bayerns Ministerpräsident an seinem Vize Hubert Aiwanger fest. Dass der Chef der Freien Wähler glimpflich davonkommt, löst in der Opposition teils Entsetzen aus. 

Nach einem tagelangen Hin und Her sorgte Markus Söder nun für Klarheit: Der bayrische Ministerpräsident hält an seinem Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger fest – trotz der Affäre um ein antisemitisches Pamphlet aus dessen Schulzeit.

Eine Entlassung wäre aus seiner Sicht nicht verhältnismäßig, sagte Söder bei einer für Sonntagvormittag kurzfristig einberufenen Pressekonferenz in München. Vor seiner Entscheidung habe er ein langes Gespräch mit Aiwanger geführt. Dessen Krisenmanagement sei zwar "nicht glücklich" gewesen. Aiwangers Entschuldigung sei aber "nicht zu spät" gekommen. Damit sei die Angelegenheit aus seiner Sicht vom Tisch, stellte der CSU-Chef klar.

Dass Söder die Affäre rund einen Monat vor der Landtagswahl in Bayern vom Tisch haben wollte, kam nicht überraschend. In der Opposition sorgt Söders Entscheidung freilich für heftige Kritik. Die Reaktionen im Überblick. 

Bayerns SPD-Chef spricht von "traurigen Tag für das Ansehen von Bayern"

Bayerns SPD-Chef Florian von Brunn hat den Verbleib des Vize-Ministerpräsidenten als "traurigen Tag für das Ansehen von Bayern in Deutschland und der Welt" bezeichnet. "Dass die CSU unter Markus Söder einen aktiven Rechtspopulisten und früher auch rechtsradikal tätigen Aktivisten als Stellvertreter in der Regierung akzeptiert, ist ein negativer Höhepunkt in der Geschichte von Nachkriegsdeutschland", schrieb der SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl auf X (vormals Twitter).

Die Bedingungen von Markus Söder seien klar gewesen: "Es muss ein Einzelfall sein. Die letzten Tage zeigen jedoch keinen Einzel-, sondern einen Regelfall." Die Entschuldigungen von Herrn Aiwanger seien zu spät, zu unvollständig und auch zu uneinsichtig gewesen. Die Angriffe und Vorwürfe gegen Medien seien unvereinbar mit der Pressefreiheit und mit der bayerischen Verfassung. "So jemand ist kein Stellvertreter, sondern eine Schande Bayerns." Den Bürgerinnen und Bürgern in Bayern sei nun klar, dass die CSU unter Markus Söder nicht nur rechts blinke, sondern auch nach rechts winke, sagte von Brunn. "Die BayernSPD war, ist und bleibt das Bollwerk gegen Rechts im Freistaat Bayern."

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat die Entscheidung  als Schaden für das Ansehen Deutschlands bezeichnet. "Herr Söder hat nicht aus Haltung und Verantwortung entschieden, sondern aus schlichtem Machtkalkül", sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Der Umgang mit Antisemitismus dürfe keine taktische Frage sein, sagte Faeser und fügte hinzu: "Herr Aiwanger hat sich weder überzeugend entschuldigt noch die Vorwürfe überzeugend ausräumen können." Stattdessen erkläre er sich "auf unsägliche Weise" selbst zum Opfer. Dabei denke er "keine Sekunde an diejenigen, die noch heute massiv unter Judenfeindlichkeit leiden. So verschieben sich Grenzen, die nicht verschoben werden dürfen." Faeser weiter: "Dass Herr Söder dies zulässt, schadet dem Ansehen unseres Landes."

Grüne und FDP wettern gegen Söders Entscheidung

Ganz ähnlich sehen das die Grünen. Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze ging Söder scharf an. Schließlich sei es die Aufgabe des Ministerpräsidenten, Schaden vom Land abzuwenden. "Allein der Anschein von Antisemitismus in der Staatsregierung schadet dem Ansehen Bayerns", twitterte sie. Ihr Ko-Vorsitzender Ludwig Hartmann formulierte es knapper: "Taktik geht bei Markus Söder vor Haltung", schrieb er bei X:  

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Vizekanzler Robert Habeck hat Söders Entscheidung ebenfalls scharf kritisiert. "Sich als Jugendlicher möglicherweise zu verlaufen, ist das eine, sich als verantwortlicher Politiker zum Opfer zu machen und der Inszenierung wegen an den demokratischen Grundfesten zu rütteln, ist das andere", sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Da ist eine Grenze überschritten." Vor diesem Hintergrund sei die Entscheidung Söders "leider keine gute", erklärte Habeck. "Es geht hier nicht um Jugendsünden seines Koalitionspartners, sondern am Ende um den Grundkonsens dieser Republik, den jede Regierung in Bund und Ländern voll und ganz schützen muss."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Auch Bayerns FDP-Chef Martin Hagen ist alles andere als zufrieden mit Söders Rückendeckung für Aiwanger. Dem Ministerpräsidenten "fehlt offenbar die Kraft für eine klare Entscheidung", schrieb er. Er sei gespannt, was Aiwanger mit einem solchen "Freifahrtsschein" anfange. Dessen Antworten auf den von Söder zuvor gestellten Fragenkatalog überzeugten ihn zudem nicht. "Statt Aufrichtigkeit und Reue erleben wir Erinnerungslücken und trotzige Medienschelte", so Hagen weiter. Die bayerische Staatsregierung hatte die 25 Fragen samt Antworten nach der Pressekonferenz veröffentlicht. 

CSU steht hinter Söder

Zustimmung erhält Söder derweil aus den eigenen Reihen. "Die Entscheidung des Ministerpräsidenten ist richtig – eine Entlassung wäre unverhältnismäßig gewesen. Ich hätte mir eine deutlich bessere Krisenkommunikation von Hubert Aiwanger gewünscht", ließ CSU-Politikerin und Landtagspräsidentin Ilse Aigner mitteilen. "Zeitnahe, klare, ehrliche Aussagen – auch zu einer noch so dünnen Verdachtsberichterstattung – und eine schnellere Distanzierung von diesem ekelhaften Pamphlet hätten nicht zu dieser unsäglichen Hängepartie geführt, die Bayern insgesamt geschadet hat." 

Weiter sagte Aigner: "Seine Aussagen zur Demokratie im Vorfeld der Flugblatt-Affäre waren auch nicht gerade hilfreich für eine Einordnung der Geschehnisse von vor 36 Jahren." Aiwanger hatte im Juni auf einer Kundgebung in Erding gesagt, dass die schweigende Mehrheit sich die "Demokratie zurückholen" müsse

Aiwanger selbst sieht sich als Opfer einer politischen Hexenjagd

Aiwanger selbst bezeichnete die Vorwürfe im Zuge der Flugblatt-Affäre fast zeitgleich als gescheiterte politische Kampagne gegen ihn. Es gebe keinen Grund, ihn zu entlassen, schrieb er auf X. "Wir müssen jetzt "wieder zur Tagesarbeit für unser Land zurückkehren", so Aiwanger weiter: 

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"Das war ein schmutziges Machwerk", hatte Aiwanger kurz zuvor bei einem Wahlkampfauftritt in einem Bierzelt in Grasbrunn (Landkreis München) gesagt. "Die Freien Wähler sollten geschwächt werden." Doch die Partei sei durch die Vorwürfe "gestärkt worden", sagte Aiwanger. "Wir haben ein sauberes Gewissen." Seine Gegner seien mit ihrer "Schmutzkampagne gescheitert".

Die Landtagsfraktion der Freien Wähler begrüßte Söders Rückendeckung wenig überraschend. "Wir sind froh, dass die Bayernkoalition für unser Land stabil und in Einmütigkeit weiterarbeiten wird", sagte Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl laut einer Mitteilung.  "Wir sind der Auffassung, dass Hubert Aiwanger für das unverantwortliche und vollkommen inakzeptable Handeln eines Familienmitglieds vor mehr als drei Jahrzehnten keinerlei politische Verantwortung trägt."

Am 8. Oktober wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. CSU und Freie Wähler hatten bisher stets erklärt, ihre Koalition nach der Wahl fortsetzen zu wollen. Das bekräftigte Söder am Sonntag erneut.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde aktualisiert.

DPA
yks