Umstrittener "Palästina-Kongress" Sie wollten Deutschland den Prozess machen – doch die Polizei hatte was dagegen

Polizei löst Palästina-Kongress auf
Drei Tage lang sollte der Kongress gehen, nach zwei Stunden ist schon Schluss: Die Polizei löst die Versammlung auf
© Sebastian Christoph Gollnow/dpa
Noch bevor es richtig losging, war schon wieder Schluss: Die Polizei hat am Freitagabend den "Palästina-Kongress" in Berlin verboten – so kam es dazu.

Die Germaniastraße führt durch ein trostloses Gewerbegebiet nahe der Stadtautobahn, Containervermietungen und Autowerkstätten reihen sich aneinander, Lastwagen donnern vorbei. In dieser Germaniastraße, benannt nach der Frauengestalt, die als Statue und auf Gemälden die deutsche Nation verkörpern soll, wollen hunderte Menschen Deutschland den Prozess machen. "Wir klagen an", unter diesem Motto wurde zum "Palästina-Kongress" aufgerufen. Der Vorwurf: Israel begehe einen Genozid an den Palästinensern – und Deutschland mache sich mitschuldig. 

Der geplante Kongress sorgte in den vergangenen Wochen für Diskussionen und Kritik, auch die Sicherheitsbehörden waren mit ihm beschäftigt. Es wurde befürchtet, dass es zu antisemitischen Parolen und Terrorverharmlosung kommen könnte. Nach Angaben der Senatsinnenverwaltung mobilisierten zu dem Kongress vor allem Gruppen, die dem israelfeindlichen "Boykott-Spektrum" zuzuordnen seien.

"Palästina-Kongress": Sie wollen einen Nahen Osten ohne Israel

Auf der Website des Kongresses heißt es: "Wir kämpfen für ein Ende des zionistischen Siedlerkolonialismus und seiner Apartheidpolitik vom Jordanfluss bis zum Mittelmeer." In anderen Worten: Für einen Nahen Osten ohne Israel.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, sagte: "Diese Veranstaltung ist ein Schaulaufen des Antizionismus und wird ganz sicher keine Antworten auf das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza finden." Politiker verschiedener Parteien meldeten sich zu Wort, manche forderten gar ein Verbot. Zunächst vergeblich.

Der dreitägige Kongress beginnt am Freitagmorgen wie geplant mit einer Pressekonferenz im Stadtteil Wedding. Am Eingang sitzt eine Frau und kontrolliert Presseausweise. "Für welches Medium?", fragt sie.

Für den stern.

"Keine Springerpresse. Da ist die Tür!"

Der Axel Springer Verlag, zu dem die Zeitungen "Bild" und "Welt" gehören, ist bei den Aktivisten besonders verhasst. Der Verlag hat fünf Essentials, eines davon lautet: "Wir unterstützen das jüdische Volk und das Existenzrecht Israels." Klar, dass die pro-palästinensischen Aktivisten deshalb nicht gut auf die "Springerpresse" zu sprechen sind. Nur: Der stern hat mit dem Springerverlag nichts zu tun. Ein Missverständnis, das sich schnell aufklären lassen dürfte. Oder?

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"Ist mir egal. Tschüss."

Die Medien lügen, sagt eine Frau

Kein Zutritt. So geht es mehreren Journalisten. Draußen vor der Tür feixen deshalb zwei junge Frauen, auf ihren Schultern tragen sie Palästinenserschals. Die Medien würden sowieso nur lügen und hetzen, sagt eine der Frauen. "Zeigen Sie mir einen Bericht, den ich inhaltlich unterschreiben würde."

Ist es das, was sie unter Pressefreiheit versteht?

Sie sagt: "Verleumdung ist keine Pressefreiheit."

Ein paar Meter weiter steht Miriam, 41. Sie hält eine Israelflagge in der Hand und sagt, sie sei da, um an die Geiseln zu erinnern. "Der Kongress richtet sich dezidiert gegen die Existenz Israels", sagt sie. "Der 7. Oktober hat gezeigt, wie wichtig ein wehrhafter jüdischer Staat ist."

Ein kleiner Lastwagen fährt vor, an der Seite großflächig die Botschaft: "In Berlin ist auch Platz für Shalom aleichem und Salam alaikum! Nicht für Antisemitismus!" Es ist eine Aktion der Berliner CDU. Vor dem Laster steht der Fraktionsvorsitzende Dirk Stettner. "Wir brauchen in Berlin keinen Hass und keine Spalter", sagt er. "Dieser Kongress ist nicht pro-palästinensisch, er ist nicht pro-menschlich."

Veranstalter des "Palästina-Kongresses" beklagen "Hetze"

Lange hatten die Aktivisten den Veranstaltungsort geheim gehalten, die "Hetze seitens Rassisten und Genozid-Befürwortern" mache dies nötig. Auch Polizei und Innenbehörde wussten nicht, wo die Veranstaltung stattfinden soll. Um 10 Uhr, zwei Stunden vor dem geplanten Beginn des Kongresses, war dann klar: Die Aktivisten sind in einem Saal im Stadtteil Tempelhof untergekommen, in dem sonst Hochzeitsfeiern stattfinden. Grauer Teppichboden, weiße Stühle, stickige Luft. 

Die Organisatoren haben nach eigenen Angaben 850 Tickets verkauft, schon seit Wochen sind sie vergriffen. Ganz so viele Leute sind es dann nicht, aber ein paar hundert Menschen warten am Freitagmittag vor den Absperrgittern der Polizei auf den Einlass. Die Feuerwehr hat entschieden, dass der Saal aus Brandschutzgründen nur von 250 Menschen betreten werden darf.

Die Wartenden schwenken Palästina-Fahnen und rufen "Deutschland finanziert – Israel bombardiert." Ein Organisator hält eine Ansprache; der Beginn werde sich verzögern, aber die Hauptsache sei, dass der "Palästina-Kongress" stattfinden könne, trotz all der Hetze und all der Politiker, die versucht hätten, ihn zu verhindern: "Am Tag der Befreiung Palästinas werden sie zur Rechenschaft gezogen!"

Deutschland verhängt Einreiseverbot gegen Redner des "Palästina-Kongresses"

Heftige Kritik hatte es im Vorfeld auch am Programm des Kongresses gegeben. Den Eröffnungsvortrag sollte Salman Abu Sitta halten. Der 86 Jahre alte palästinensische Autor leugnete die Gräueltaten der Hamas und nannte die Terroristen "Widerstandskämpfer". Wäre er jünger gewesen, schrieb Abu Sitta, hätte er einer von denen sein können, die am 7. Oktober den Zaun durchbrachen. Der Gazastreifen ist für ihn ein "Konzentrationslager", das "in Dauer und Größe die Lager in Auschwitz, Treblinka und Dachau" übertreffe.

Am Mittag erfuhr der stern aus Sicherheitskreisen, dass die Behörden Einreiseverbote gegen Salman Abu Sitta und weitere Redner erlassen hatten.

Eigentlich wollten die Aktivisten die Presse gar nicht dabeihaben, lieber unter sich bleiben. Dass Journalisten an dem Kongress teilnehmen, sei "leider nicht vorgesehen", sagten die Veranstalter im Vorfeld. Das Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz aber sagte etwas anderes.

Die Polizei hat den Kongress rechtlich als öffentliche Versammlung in geschlossenen Räumen eingestuft. Und von einer solchen Versammlung dürfen Pressevertreter nicht ausgeschlossen werden. Polizisten in Kampfmontur führen deshalb einen Tross Journalisten in den hinteren Bereich des Saals und stellen sich schützend davor. Die Teilnehmer wollen nicht gefilmt und fotografiert werden, halten ihre Palästinensertücher vor die Linsen der Kameras. Wer ihnen eine Frage stellt, wird ignoriert oder angeschrien: "Sie sind ein Hetzer!"

Teilnehmer des "Palästina-Kongresses" versperren Fotografen die Sicht
Keine Fotos, bitte! Teilnehmer des "Palästina-Kongresses" versperren Fotografen die Sicht
© Sebastian Christoph Gollnow / DPA

Die Polizei ist mit 900 Einsatzkräften vor Ort. Sie hat Auflagen erlassen, wie sie das sonst auch bei pro-palästinensischen Demonstrationen tut: Es ist verboten, Flaggen zu verbrennen. Zu Gewalt und zur Vernichtung Israels aufzurufen. Die Hamas zu verherrlichen. Dolmetscher sind im Einsatz, um gegen strafbare Parolen auf Englisch oder Arabisch vorgehen zu können.

Mit Verspätung beginnt der Kongress. Salman Abu Sitta, der Mann mit dem Einreiseverbot, ist per Video zugeschaltet, das mit einem Beamer an die Wand geworfen wird. Nach ein paar Minuten stoppt die Polizei das Video und kappt den Strom. Denn Salman Abu Sitta hat in Deutschland ein politisches Betätigungsverbot.

Die Aktivisten rufen: "Shame on you", schämt euch.

Die Polizei verbietet den Kongress schließlich doch

Der Polizeiführer bewertet die Lage neu und entscheidet: Die Gefahr, dass es im weiteren Verlauf des Kongresses zu antisemitischen oder gewaltverherrlichenden Aussagen kommt, sei so hoch, dass die Versammlung verboten wird. Nicht nur am Freitag, sondern das ganze Wochenende.

Am Sonntag, zum Abschluss des Kongresses, hätten die Aktivisten eigentlich ein symbolisches "Tribunal" gegen Deutschland errichten wollen. Die Mitglieder des deutschen Bundessicherheitsrats und ihre Helfershelfer sollen "verurteilt und bestraft" werden, schrieben die Aktivisten – "unter dem Tatbestand der Unterstützung des Völkermords".

Ein wäre wohl ein Tribunal gewesen, bei dem das Urteil schon feststeht.