Thüringen will aus den Coronabeschränkungen aussteigen und SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach fordert die Bundesregierung aufgefordert, ein Signal gegen die angekündigten Lockerungen zu setzen. "Mit der Entscheidung in Thüringen droht ein bundesweiter Wettlauf der Länder, der aus medizinischer Sicht katastrophal wäre", sagte er der "Rheinischen Post". "Das Corona-Kabinett sollte an diesem Montag unbedingt ein Gegensignal setzen, um das zu verhindern."
Thüringens Corona-Pläne in dem Medien
Die Reaktionen auf den Vorschlag aus Erfurt fallen auch abseits der Politik verhalten bis ablehnend aus, wie ein Blick in die Kommentare der Presse zeigt:
"Freie Presse", Chemnitz
Selbst wenn Ramelow statt achtsamer Schritte jetzt zuviel Getrappel zulässt, selbst wenn Thüringen abrutschen sollte, solange der Rest der deutschen Seilschaft den Absturz verhindern kann, sind Fehltritte des Einzelnen, sogar hilf-, weil lehrreich.
Man könnte es sich leicht machen und den Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow als Wahnsinnigen beschimpfen, der mit Menschenleben spielt. Dafür hat sich Karl Lauterbach entschieden: Das Vorhaben Ramelows, alle Corona-Beschränkungen, also Kontakt- und Abstandsregeln sowie die Maskenpflicht, in 14 Tagen aufzuheben, sei der 'reine Wahnsinn', so der SPD-Politiker. Doch so einfach ist die Sache nicht. Wer wollte widersprechen, wenn der Regierungschef eine Rückkehr zu einem regulären Kita- und Schulbetrieb fordert, um die Doppelbelastung der Eltern durch Arbeit und Kinderbetreuung zu beenden. Auch sein Argument, der Staat dürfe nicht längerfristig mit Zwangsmaßnahmen durchregieren, sondern müsse so schnell wie möglich wieder auf das verantwortungsbewusste Handeln der Bürger setzen, ist richtig. Und dennoch ist Ramelows Vorstoß grundfalsch. Es ist eine Sache, den Alltag so weit wie möglich wiederherstellen zu wollen, eben durch eine Rückkehr von Kitas und Schulen zum Normalbetrieb. Es ist aber höchst fahrlässig, in Kauf zu nehmen, dass durch Aufhebung aller Restriktionen der Eindruck erweckt wird, die Gefahr sei vorüber."
"Märkische Oderzeitung", Frankfurt/Oder
Die Zahlen geben Bodo Ramelow ja auch recht: Die Gefahr, sich irgendwo zwischen Altenburg und Eisenach anzustecken, ist tatsächlich gering. Nun, dagegen spricht, dass auch in Thüringen die Pandemie noch nicht vorbei ist. Sie ist lediglich - und das ist viel wert - unter Kontrolle. Ramelow nutzt diesen Zustand, um die Verantwortung für die Eindämmung nach unten weiter zu reichen. Kommunalpolitiker und Mitarbeiter in Gesundheitsämtern müssen nach den Plänen künftig entscheiden, ob und in welcher Form das öffentliche Leben wieder eingeschränkt wird, falls es zu neuen Ausbrüchen kommt.
"Hannoversche Allgemeine Zeitung"
Es ist eine Sache, den gewohnten Alltag so weit wie möglich wieder herzustellen zu wollen. Es ist aber höchst fahrlässig, in Kauf zu nehmen, dass durch Aufhebung aller Restriktionen der Eindruck erweckt wird, die Gefahr sei vorüber. Es muss befürchtet werden, dass die Menschen das jetzt genau so verstehen wollen und den zweiten Teil der Botschaft überhören, nämlich die Aufforderung Ramelows nach einem "selbstverantworteten Maßhalten". Wenn das Leben anderer gefährdet wird, reichen Appelle an die Vernunft nicht aus.
"Süddeutsche Zeitung", München
Auch wenn sich Ramelows Vorpreschen anhand der Zahlen nicht erklären lässt, wird es doch politischen Druck auf die anderen Ministerpräsidenten ausüben, erst recht, wenn es in deren Ländern wenige Neuinfektionen gibt. Ohne Not heizt er damit den Wettbewerb um die lockersten Regelungen an. Dabei verlangt gerade das Abstandhalten den Menschen eher wenig ab, während es sie umso mehr schützt. Ein Landesvater sollte das eigentlich erkennen."
"Rhein-Zeitung", Koblenz
Die Fakten verhindern keineswegs regional differenzierte Lockerungen, um die oft existenziellen Wünsche und Sehnsüchte von Wirtschaft und Bürgern zu erfüllen. Sie rechtfertigen aber keine Abkehr von den grundsätzlichen Corona-Regeln - zumal der Nachahmereffekt in anderen Bundesländern und die psychologische Wirkung auf viele Menschen extrem riskant sein dürfte. Die Ausbrüche in Leer und Frankfurt, die ihren Ursprung in geschlossenen Räumen haben, werfen ein grelles Schlaglicht auf die Gefahren in der dunklen und kalten Jahreszeit. Sollten jetzt weitere Bundesländer dem Beispiel Thüringens folgen, dann dürfte es fast unmöglich werden, das Virus noch zu kontrollieren und einen zweiten Lockdown durchzusetzen. Dann haben wir keine Debatte mehr über Fakten und Wünsche, sondern über Leben und Tod.
"Pforzheimer Zeitung"
Eigentlich hat Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow ja recht, denn die Zahl der Corona-Infizierten in seinem Bundesland ist gering. Die Entscheidung des Linken Ramelow, den Bürgern und Regionen die Verantwortung zu übertragen und die "von oben" verordneten Beschränkungen zu kippen, ist eine zutiefst liberale. Doch es ist zugleich höchst riskant, schon in wenigen Tagen die Kontaktbeschränkungen, Abstandsregelungen und die Pflicht, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, aufzuheben. Das Ende des "Lockdowns" verleitet zu der Annahme, das Virus sei besiegt.. Das ist ein Trugschluss. Darum ist es verständlich, dass die anderen Bundesländer mit der Aufhebung der Beschränkungen zurückhaltend sind. Sie werden die Entwicklung in Thüringen genau beobachten. Die Bürger sind gut beraten, unabhängig von den staatlichen Vorgaben weiter Abstand zu halten und sich und andere zu schützen.

"Heilbronner Stimme"
Die Gefahr ist noch nicht gebannt. Wie schnell die Kurve steigen kann, zeigen jüngste Infektionsherde in Gastronomie und Kirche. Bodo Ramelow wird bei steigenden Zahlen hoffentlich ebenso schnell handeln wie jetzt, denn eines muss allen klar sein: Bevor ein Impfstoff verfügbar ist, könnte ein zweite Welle verheerende Folgen haben.