Die SPD will entgegen den Forderungen der Union weiter mit Bundeskanzler Gerhard Schröder in Koalitionsverhandlungen gehen - trotz dessen Rückzugs-Signals. "Es geht nicht um meine Person, es geht um den politischen Führungsanspruch meiner Partei, und über den kann nur die Parteiführung entscheiden", sagte Schröder am Sonntag vor einer Sitzung des SPD-Präsidiums. Er wolle der Bildung einer stabilen Regierung nicht im Wege stehen. SPD-Chef Franz Müntefering sagte nach der Sitzung, die Kanzlerfrage sei zwar Verhandlungssache. Sie könne aber nur im Laufe formaler Koalitionsverhandlungen entschieden werden, nicht vor Beginn, wie die Union forderte. Da die Union diese Bedingung umgehend bekräftigte, zeichnete sich im Kernstreit vor der für Mittwoch geplanten Sondierung von Union und SPD weiter keine Bewegung ab.
Müntefering leht Unionsanspruch ab
Schröder sagte, die Entscheidung über seine Rolle könne nur die Partei treffen. Er werde jede Entscheidung akzeptieren, "weil ich der Auffassung bin, dass es darum geht, dass der von mir eingeleitete Reformprozess fortgesetzt werden kann. Und ich will und werde keiner Entscheidung im Wege stehen, die zur Fortsetzung dieses ... Reformprozesses führt und die zu einer stabilen Regierung führt." Müntefering hatte bereits am Sonntagabend Schröders Führungsanspruch relativiert, indem er ihn zur Verhandlungssache erklärte. Diese Verhandlungen sollten möglichst bald beginnen.
Müntefering machte aber klar, Schröders Signale bedeuteten keinen Rückzug vor den Verhandlungen. "Wir haben als Partei den Anspruch, sozialdemokratische Politik zu machen, und die mit Gerhard Schröder zu machen. Das ist die Grundlage, mit der wir in die Verhandlungen gehen." Die Bedingung der Union, vor Verhandlungen auf den Anspruch zu verzichten, lehnte er ab: "Diese Erklärung wird es nicht geben."
Union sieht sich durch Nachwahl bestärkt
CDU-Generalsekretär Volker Kauder reagierte auf die Aussagen der SPD indes mit einer Bekräftigung der Unionsforderung. Das Ergebnis der Nachwahl in Dresden habe noch einmal gezeigt, "dass (CDU-Chefin) Angela Merkel, den Auftrag erhalten hat, eine Regierung zu bilden", sagte er im ZDF. "Da gehe ich davon aus, dass die SPD dies jetzt auch erkennt." Dies sei Vorbedingung für Verhandlungen. Das CDU-Präsidium beriet am Abend in einer Telefon-Konferenz über die Lage.
Mit den Äußerungen Schröders und Münteferings rückte die SPD stärker den Führungsanspruch der Partei als den des Kanzlers in den Vordergrund. Damit wollte sie offenbar den Eindruck vermeiden, der Kanzler verhindere durch persönliches Machtinteresse eine Einigung mit der Union. Durch die Absage an eine Entscheidung vor Beginn der Koalitionsverhandlungen wollte sie zudem die Einschätzung verhindern, sie gebe den Forderungen der Union nach. Müntefering bekräftigte, beide Seiten träfen sich in den Gesprächen auf Augenhöhe.

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Bald grünes Licht für Verhandlungen
Die Streitfrage um die Kanzlerschaft sollte nach dem Willen der SPD möglichst bald geklärt werden. Müntefering sagte: "Die Verhandlungen könnten diese oder in der kommenden Woche beginnen." Die SPD könne nach der Sondierung am Mittwoch im Vorstand grünes Licht für Verhandlungen geben. Er stellte mit Blick auf die Verhandlungen erneut den Führungsanspruch der SPD als Partei in den Vordergrund. Auch nach der Nachwahl in Dresden sei die SPD die größte Partei im Bundestag.
Die FDP brachte angesichts der gegensätzlichen Positionen von Union und SPD erneut die so genannte Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen ins Gespräch. Wenn die Hängepartei zwischen den großen Parteien weitergehe, müsse noch einmal über andere Optionen nachgedacht werden, sagte FDP-Chef Guido Westerwelle. Dass die SPD offenbar den Regierungsauftrag Merkels nicht akzeptiere, zeige "dass Gespräche mit anderen Optionen aufgenommen werden sollten. Das ist die Konsequenz aus dem heutigen Tag." Die FDP werde darüber im Laufe der Woche beraten.
Stoiber für zügigen Verhandlungsbeginn
CSU-Chef Edmund Stoiber hat sich für eine rasche Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der SPD ausgesprochen. Die Gespräche sollten spätestens in zwei Wochen, besser noch in der kommenden Woche beginnen, sagte der bayerische Ministerpräsident der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Angesichts der wirtschaftlichen Lage in Deutschland müsse eine neue Regierung noch in diesem Herbst die Arbeit aufnehmen, sagte er und betonte, dass sich eine große Koalition nicht als Übergangslösung verstehen dürfe, die nur unter dem parteitaktischen Kalkül eingegangen werde, sich eine gute Ausgangsposition für eine Neuwahl zu sichern.
Schon in den bisherigen Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD habe Einvernehmen geherrscht, dass ein Bündnis auf vier Jahre angelegt sein müsse, sagte Stoiber. Einer großen Koalition müsse es gelingen, ein Stück Hoffnung zu vermitteln, dass Deutschland die Herausforderungen der demographischen Entwicklung und der Globalisierung meistere. Stoiber ließ offen, welches Ressort er in Berlin übernehmen wolle, wies aber auf seine lange Regierungserfahrung in Bayern hin. Als Beispiel nannte er dabei den Weg seines Landes zu einem Haushalt ohne neue Schulden und die Förderung der Hochtechnologie. Eine der vorrangigen Aufgaben einer großen Koalition sei die Konsolidierung des Bundeshaushalts.
Böhr will SPD Finanzressort überlassen
Zur Gesundheitspolitik sagte er, es sei klar, dass es weder eine Bürgerversicherung, wie sie die SPD anstrebe, noch das Prämienmodell der Union geben werde. Es müsse "ein dritter Weg" gefunden werden. Außerdem plädierte er dafür, bei den Koalitionsverhandlungen als "wuchtigen Einstieg" eine Reform des Föderalismus zu beschließen. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Christoph Böhr rief die SPD auf, in einer großen Koalition den Bundesfinanzminister zu stellen. Man müsse fragen, "ob nicht die SPD, die den Haushalt gegen die Wand gefahren hat, jetzt auch die Zuständigkeit für die Sanierung des Haushalts übernehmen muss", wird Böhr im "Handelsblatt" zitiert. Für die Union reklamierte Böhr Ressorts im sozialpolitischen Bereich: Die sozialpolitische Kompetenz der Union müsse sichtbar werden, "sowohl von den Köpfen wie von den Ressorts her".