Video als Befreiungsschlag? Die Wiederauferstehung des Robert H.

Robert Habeck bei einem Pressestatement
Robert Habeck: So viel Begeisterung ist der Wirtschaftsminister nicht mehr gewöhnt.
© Michael Kappeler/dpa
Nach einer Video-Ansprache scheint in Deutschland die Robert-Habeck-Liebe zurück. Ist das nach Monaten des Elends sein Befreiungsschlag? 

Vielleicht traut Robert Habeck seinen eigenen Augen kaum. Falls der Wirtschaftsminister am Donnerstag die soziale Plattform "X" geöffnet haben sollte, dann hat er da lesen können vom "Anker, den das Land braucht", von einer "anderen Liga", von Kanzlerqualitäten.  

Und ja, damit ist er gemeint, Robert Habeck, grüner Wirtschaftsminister und Vizekanzler. Am Mittwochabend hat sein Team ein Video hochgeladen, in dem er den Angriff der Hamas auf Israel emotional einordnet, Judenhass verurteilt, den Schutz Israels in einer Weise zur Staatsräson erklärt, die hängen bleibt, die einen packt, der das übliche Phrasenhafte fehlt. Ein Appell an die ganze Nation, nicht den Kompass zu verlieren, wenn man so will. Selbst die Opposition ist begeistert.

Das ist Habeck nicht mehr gewöhnt. Von seiner Entzauberung war zuletzt die Rede, als er sich mit dem Heizungsgesetz verzockte. Seine Beliebtheitswerte rauschten in den Keller, er musste Schmähungen über sich ergehen lassen, Beschimpfungen, für viele war er auf einmal eine Art Feindbild. Der Wirtschaftsminister hat in der Koalition, in der Partei und auch in der öffentlichen Wahrnehmung ein eher schwieriges Jahr hinter sich. Jetzt aber scheint die Habeck-Liebe wieder ausgebrochen zu sein. Ein Video als Befreiungsschlag, als Zeichen seiner politischen Wiederauferstehung? Kann das sein? Es ist nicht nur das Video. Seit Wochen schon stabilisiert er sich, erst im Hintergrund, jetzt wieder öffentlich. Aber der Reihe nach. 

Mit der Zeit kamen die Schwierigkeiten

Eigentlich war Habeck als beliebtester Politiker in die Regierung gestartet, blieb das über Monate auch. Er war einer, der seine Entscheidungen für viele verständlich erklärte. Der pragmatisch handelte, auch mal gegen die eigene Parteiräson entschied, als es darum ging, die Energieversorgung nach Wladimir Putins Angriffskrieg auf die Ukraine zu sichern.

Doch mit der Zeit kamen die Schwierigkeiten. Er musste Mängel bei der sogenannten Gas-Umlage zugeben. Die Diskussion um einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke kostete ihn Sympathien. Mit dem sogenannten Gebäudeenergiegesetz stürzte er im Ansehen regelrecht ab. Rasch wurde er hingestellt wie jemand, der am liebsten persönlich in den Keller hinabsteigen würde, um Menschen die Öl- und Gasheizungen rauszureißen.

Der Ton war gesetzt und bewegte sich zwischen "Heiz-Hammer" und "Atombombe für unser Land". Und Habeck machte Fehler, schwere sogar. Dass der Gesetzentwurf den sozialen Ausgleich nicht von Beginn an mitbedachte, war solch ein Fehler. Für den Wirtschaftsminister ließ sich von da an nichts mehr gewinnen – das Gesetz kam nur stark abgeschwächt durch den Bundestag. 

In dieser für ihn ohnehin schon turbulenten Zeit kam eine Affäre um persönliche Verflechtungen und Vetternwirtschaft in seinem Ministerium hinzu. Im Zentrum: Staatssekretär Patrick Graichen, der seinen Trauzeugen für den Job an der Spitze der Deutschen Energie-Agentur empfohlen hatte, die dem Ministerium unterstellt ist. Lange versuchte Habeck, an Graichen festzuhalten, denn der galt nicht nur als Architekt des Heizungsgesetzes, sondern unter Beobachtern auch als derjenige, der die Gaskrise im Winter abgewendet hatte. Am Ende musste er ihn doch entlassen. Ein Tiefpunkt. Der Wirtschaftsminister? Schwer angeschlagen.  

Habeck: "Das sollte mir eigentlich nicht passieren"

Fortan mied er stärker die Öffentlichkeit, sprach mit seinen Vertrauten, soll – so ist zu hören – viel nachgedacht haben, über den Kurs der Regierung, sich selbst. Schritt eins seiner Comeback-Strategie: Er suchte die Schuld für das Schlamassel ums Heizungsgesetz nur eingeschränkt bei anderen, sondern vor allem bei sich selbst. Er habe die Stimmung in der Gesellschaft falsch eingeschätzt, sagte er im August im Interview mit der "Zeit" über das Gebäudeenergiegesetz. Und: "Das sollte mir eigentlich nicht passieren". Öffentlich vollzog er auf einmal eine Läuterung. Das fiel auf.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Antisemitismus: "Die Bedrohung existiert leise, manchmal wird sie sehr laut – so wie jetzt"
Im zweiten Teil der Videoserie erzählen drei Juden und Jüdinnen, wie sie der Angriff der Hamas vor drei Wochen geprägt hat und mit wie viel Antisemitismus sie bereits konfrontiert wurden.
Antisemitismus in Deutschland: "Die Bedrohung existiert leise, manchmal wird sie sehr laut – so wie jetzt"

Schritt zwei: Auch parteiintern festigte sich nach dem Sommer seine Position wieder. Ausschlaggebend dafür war ausgerechnet ein Vorfall, der den Vizekanzler eigentlich düpierte. Die grüne Familienministerin Lisa Paus verweigerte nach der Sommerpause im Kabinett einem Gesetz die Zustimmung, das von Habeck bereits abgesegnet worden war. Das löste eine Führungsdebatte aus. Wer hat eigentlich das Sagen in der Partei?

Es gibt zwar ein informelles Führungsgremium, die sogenannte Sechserrunde. Neben Habeck sind das Außenministerin Annalena Baerbock, die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie die Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann. Diese stimmen sich zu den wichtigen Fragen ab, sind sich aber auch oft – das hat die Vergangenheit gezeigt – nicht einig.

Weiteres Großprojekt vorangetrieben

Nach dem Paus-Vorfall versammelten sich zahlreiche mächtige Grüne demonstrativ hinter Habeck, machten ihm auch öffentlich ihre Unterstützung deutlich. Selbst Baerbock, die sich 2021 beim Kampf um die Kanzlerkandidatur der Grünen gegen Habeck durchgesetzt hatte, sagte in einem Interview auf die Frage, wo das Machtzentrum in der Partei sei: "Beim Vizekanzler, Robert Habeck natürlich." Und der Minister selbst soll intern klargestellt haben: Mein Wort in der Regierung muss gelten – sonst brauchen wir gar nicht weitermachen.

Schritt drei: Er machte sich an neue Inhalte. Seit dem Debakel um das Heizungsgesetz hat der Grüne ziemlich geräuschlos ein weiteres Großprojekt seines Ministeriums vorangetrieben. Eine Industriestrategie war bereits im Koalitionsvertrag angekündigt, Ende Oktober hat Habeck sie nun vorgestellt. Diese soll den Standort Deutschland stärken und für mehr wirtschaftliche Sicherheit sorgen.

Auch wenn das Papier in der Bundesregierung noch nicht abgestimmt ist und absehbar für Konflikte mit SPD und FDP sorgen dürfte, etwa was einen subventionierten Strompreis für große Industriebetriebe angeht – aus der Wirtschaft bekam er viel Lob. Von einem "klaren Bekenntnis des Wirtschaftsministers zur Industrie als Basis des Wirtschaftsstandorts Deutschland", sprach etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie.  

Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln sieht die Strategie zwar nicht als den "ganz großen Befreiungsschlag". Doch heißt es da auch: "Lob, wem Lob gebührt." Mit der neuen Industriestrategie stelle Habeck unter Beweis, dass er die Sorgen der Unternehmen in Deutschland verstehe und ernst nehme. Nach den Erfahrungen mit dem Heizungsgesetz hätte das wohl schlechter laufen können.

Es gibt sie also – einige erste Anzeichen dafür, dass das jüngste Video nicht nur ein Strohfeuer, sondern auch eine nachhaltige Wende für Habeck markieren könnte. Dass er den Tiefpunkt überwunden hat, wieder kraftvoller nach vorne schauen kann. Schritt vier, wenn man so will.

Wie nachhaltig die Schritte zur Wiederauferstehung sind, wird sich zeigen, Politik ist schnelllebig. Aber seit dieser Woche ist klar: Mit Habeck ist wieder zu rechnen. Bei den Grünen und darüber hinaus.