Zoff in der Linkspartei Experte zum Streit um Sahra Wagenknecht: "Die Spaltung der Linken ist quasi vollzogen"

Sahra Wagenknecht
Sahra Wagenknecht, hier als Rednerin auf einer Friedenskundgebung im Februar in Berlin, liebäugelt mit der Gründung einer eigenen Partei
© Steffi Loos / Getty Images
Die Linke zeigt sich komplett zerrüttet. Sahra Wagenknecht denkt offen über die Gründung einer eigenen Partei nach. Der Politikwissenschaftler Constantin Wurthmann hat untersucht, warum das vor allem der AfD schaden würde.

Herr Wurthmann, ist die Spaltung der Linkspartei noch aufzuhalten? 
Die Spaltung ist quasi schon vollzogen. Es fehlt nur noch die formelle Trennung, der letzte Schlussstrich unter einem schon lange währenden Prozess.   

Was würde denn so eine Parteispaltung für die "Rest"-Linken bedeuten?   
Das kann eine Chance für die Partei sein. Ohne die Gruppe um Sahra Wagenknecht könnte die Linke aktiv Regierungsbündnisse eingehen, ohne internen Widerstand befürchten zu müssen Es war zuletzt gerade der Wagenknecht-Flügel, der sich kritisch gegenüber Regierungsbeteiligungen geäußert hat.  Die Spaltung kann auch ein inhaltlicher Befreiungsschlag werden. Wagenknecht und ihre Anhänger haben teilweise starke nationalistische Tendenzen und haben sich pro-russisch geäußert. Ohne sie kann sich die Linke als sehr linksliberale, progressive politische Partei positionieren und zum Beispiel auch zum Ukraine-Krieg eine eindeutige Position finden.    

Kann es sein, dass es in zwei Jahren keine Linkspartei mehr gibt?   
Nein, auf gar keinen Fall. Wenn die Linke in Zukunft wieder zu einer inhaltlichen Position kommt und sich ändert, sich von dieser politischen Geiselhaft von Sahra Wagenknecht befreit, kann sie auch wieder Erfolge feiern.   

Sahra Wagenknecht Experte: Constantin Wurthmann
Constantin Wurthmann arbeitet als Politikwissenschaftler am GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Mannheim. Er lehrt an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
© Privat

Von der Linken zur AfD gab es auch zuletzt schon Wählerwanderungen. Warum sind die Wege zwischen den Linken und den extrem Rechten so kurz?   
Ich würde nicht sagen, dass die Wege kürzer sind als zwischen anderen Parteien. Aber es gibt in der Gesellschaft Menschen, die populistische Einstellungen teilen und im Zweifel für die größte "Dagegen"-Partei stimmen. Das war eine Zeit lang die Linke. Durch verschiedene Regierungsbeteiligungen, zum Beispiel in Berlin, Bremen oder auch in Thüringen, ist die Partei aber zunehmend etabliert. Jetzt suchen manche Wählerinnen und Wähler offensichtlich eine andere Partei, die am ehesten dieses "Dagegen"-Narrativ vertritt – und das ist meistens die AfD.   

Sie haben untersucht, wie viele Wähler eher eine Wagenknecht-Partei als andere Parteien wählen würden. Was sind denn laut Ihren Ergebnissen die Hauptgründe?   
Wir konnten zum Beispiel feststellen, dass vor allen Dingen Menschen Wagenknecht wählen würden, die über ein gefestigtes konservatives Weltbild verfügen. Die sich eine Begrenzung von Migration wünschen. Es passt eigentlich nicht zu Sahra Wagenknecht, aber es sympathisieren vor allem Menschen mit ihr, die wirtschaftsliberale Positionen vertreten. Wagenknecht ist zuletzt vor allen Dingen mit gesellschaftspolitischen Themen aufgetreten, hat sich gegen die positioniert, die sie "Lifestyle-Linke" nennt.  Gleichzeitig hat sie ihre wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen eher weniger pointiert nach außen kommuniziert. Eine kluge Strategie, würde ich sagen. 

Laut Ihrer Studie sind etwa 54 Prozent der AfD-Wähler Sahra Wagenknecht sehr zugeneigt. Wie viele tatsächlich eine mögliche Wagenknecht-Partei wählen würden, können Sie nicht sagen?
Genau, das bleibt noch abzuwarten. Wir wissen nur, dass viele Menschen in Deutschland eine sehr strikte Begrenzung von Zuwanderung wollen. Sie wünschen sich, dass sich die Gesellschaft nicht weiter verändert. Aber sie haben nach ihrem eigenen Selbstverständnis nichts mit Rechtsextremen oder Neonazis gemein. Wählerinnen und Wähler könnten also zu Wagenknecht überlaufen, um eine Partei aus dem demokratischen Spektrum wählen zu können, die aber ähnliche Positionen vertritt wie die AfD.   

Was würde denn eine Wagenknecht-Partei für die AfD bedeuten?   
Für die AfD wäre eine Wagenknecht-Partei in vielerlei Hinsicht ein sehr großes Problem.  Wagenknecht ist eine sehr charismatische Politikerin, die auch glaubwürdig genau die Themen anspricht, die vielen Wählerinnen und Wählern der AfD wichtig sind.   

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Also würde Sahra Wagenknecht der AfD die Wähler streitig machen.  
Gerade zuletzt hat sich die AfD immer stärker von Forderungen nach einer liberaleren Marktwirtschaft entfernt. Sie fordert einen starken Sozialstaat, aber bitte nur für Deutsche. Wenn Wagenknecht eine Partei gründen würde, dann macht der Schritt der AfD in diese Richtung strategisch überhaupt keinen Sinn mehr, weil Wagenknecht diese politische Position schon ausfüllt. Sie könnte gerade Leuten wie Björn Höcke die Zukunft versauen, die sie für die AfD geplant haben.   

Wie wahrscheinlich ist es denn, dass Sahra Wagenknecht eine Partei gründet und wann?   
Man kann sich da nur auf das beziehen, was Wagenknecht selbst gesagt hat: Dass bis Ende des Jahres geklärt ist, ob sie mit einer eigenen Partei ins Rennen geht oder nicht.