"Bündnis Sahra Wagenknecht" Zwischen "Trümmerfrau" und Hoffnung: So reagiert die Presse auf Wagenknechts neue Partei

stern-Chefreporterin analysiert: Welche Positionen könnte Sahra Wagenknechts neue Partei vertreten?
Miriam Hollstein – Chefreporterin vom Hauptstadtbüro des stern – analysiert, welche Inhalte die neue Partei vertreten und welche Gefahren für den BSW lauern könnten. 
Sehen Sie im Video: Welche Positionen könnte Sahra Wagenknechts neue Partei vertreten? stern-Chefreporterin Miriam Hollstein klärt auf. 
Sahra Wagenknecht will mit ihrer neuen Partei auch der AfD Wähler abspenstig machen. Sie hofft auf Zehntausende Mitstreiter, räumt aber auch ein, dass ihr Projekt nicht ohne Risiko ist. So kommentieren deutsche Medien das "Bündnis Sahra Wagenknecht".

Sahra Wagenknecht macht Nägel mit Köpfen. Die 54-Jährige hat am Montag mit mehreren Mitstreitern das "Bündnis Sahra Wagenknecht" vorgestellt. Der Verein soll 2024 in die Gründung einer neuen Partei münden. Wagenknecht war zuvor mit neun weiteren bisherigen Abgeordneten der Linken aus der Partei ausgetreten. Die 38-köpfige Linksfraktion im Bundestag steht damit vor ihrer Auflösung, sie könnte nur als Gruppe mit weniger Rechten weitermachen. Die Forderung der Parteispitze, die Mandate zurückzugeben und Nachrücker zum Zuge kommen zu lassen, lehnte Wagenknecht mit dem Hinweis ab, dass sie ihr Mandat über die Linke auch aufgrund ihrer Person errungen habe. 

So kommentiert die Presse das politische Erbeben in der linken Ecke.

Sahra Wagenknecht "ist einerseits die Trümmerfrau der Linkspartei. Andererseits gilt: Aus Trümmern lässt sich etwas bauen"

"Kölner Stadtanzeiger": "Während Wagenknecht milde lächelnd ihre bisherige politische Heimat, die Linken, zertrümmert, schiebt sie mit viel Geschick eine neue Partei an den Start. Vernunft und Gerechtigkeit schreibt sie auf die Fahnen ihres Bündnisses. Wer kann dazu schon Nein sagen? Wagenknechts Bündnis könnte das einstige Versprechen von Friedrich Merz einlösen, die AfD zu halbieren. Es zielt auf jene Wählerschichten, die sich von den staatstragenden Parteien Union, SPD, Grünen und FDP nicht mehr vertreten sehen, aber auch nicht beim Rechtsausleger AfD ihre neue politische Heimat sehen."

"Rhein-Zeitung" (Koblenz): "Die Wahl-Saarländerin ist einerseits die Trümmerfrau der Linkspartei. Andererseits gilt: Aus Trümmern lässt sich etwas bauen. Die Frage ist dann aber, was. Nun glauben oder hoffen sogar viele Beobachter, dass Sahra Wagenknecht mit ihrer Partei vor allem der AfD Wähler abjagen könnte. Das mag sogar sein, denn die Positionierungen, die sie bislang eingenommen hat, sind bei vielen Themen nicht weit weg von dem, was die Rechtspopulisten vertreten. Wagenknecht gilt dabei vermutlich vielen Wählern als das kleinere Übel – weil sie längst nicht so radikal ist wie die AfD, weil sie die soziale Frage weitaus offensiver in ihre Rhetorik einbaut." 

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Der Vorteil Wagenknechts ist, dass ihr nicht so einfach das in Deutschland unpopuläre Etikett 'rechtspopulistisch' angehängt werden kann. Das macht ihr Projekt so unberechenbar auch für die anderen Parteien. Die SPD wird darunter mehr zu leiden haben als die CDU/CSU. Wagenknecht spricht im Westen konservative SPD-Klientel an, die teilweise schon in Richtung AfD unterwegs ist. Im Osten wird sich zeigen, ob es der AfD nun so ergeht wie der Linkspartei, die in den vergangenen Jahren Pegida-Wutbürger nach rechts verlor. Die könnten nun wieder nach links wandern. Wie groß das Bedürfnis danach ist, zeigen Umfragen. Fast hat es den Anschein, als sei in fast allen Parteien damit die Hoffnung verbunden, endlich ein Mittel gegen die AfD gefunden zu haben. Ein Ausweis für eigene Stärke ist das nicht."

"Nürnberger Zeitung": "Zum Jahreswechsel wird es dann Zeit für einen Nachruf auf die Linke, deren größtes Versagen darin bestand, dass sie den Osten kampflos den Rechten überlassen hat. Die demokratischen Parteien dürfen sich jetzt nicht zurücklehnen, als wäre das nur ein Phänomen an den Rändern des politischen Spektrums. Das haben sie viel zu lange getan und dabei das stets wachsende Potenzial der Nichtwähler in seiner Brisanz unterschätzt. Dazu kommt, dass die Begriffe 'rechts' und 'links' immer weniger zur Beschreibung des deutschen Parteienspektrums taugen. Es geht vielmehr um die Begriffe 'demokratisch" und antidemokratisch'. Denn sowohl die Linke als auch die AfD und Wagenknecht betreiben das Geschäft Wladimir Putins, ob nun von ihm finanziert oder nicht.

"Die Linke spielt auf Bundesebene schon lange keinerlei Rolle mehr"

"Handelsblatt" (Düsseldorf): "Einen Schuss Marxismus, raus aus der Westbindung, maximale Distanz zur Nato und natürlich die gewaltige Umverteilung von oben nach unten, das ist der verquere Mix, mit dem Wagenknecht tatsächlich punkten könnte. Wenn es nicht so aberwitzig wäre, müsste man ihr sogar für einen kurzen gedachten Moment Erfolg wünschen. Dass die Linkspartei sich damit endgültig in der Abwicklung befindet, fällt nicht mehr groß ins Gewicht. Die Linke spielt auf Bundesebene schon lange keinerlei Rolle mehr. Was anderes ist es aber bei der AfD. Mit dem gleichen politischen Giftcocktail sammeln die Rechtspopulisten inzwischen in Ost und West ihre Wähler ein. Was Friedrich Merz bundesweit und CSU-Chef Markus Söder in Bayern nicht hinbekommen, könnte Wagenknecht gelingen: die Halbierung der AfD."

"Allgemeine Zeitung" (Mainz): "Über allem schwebt aber die Frage, ob sich das neue Bündnis auch schnell und gut organisieren kann. Unabhängig davon, dass Wagenknecht zugibt, keine gute Organisatorin zu sein: Wer bundesweit und in allen 16 Ländern antreten will, benötigt mehrere Hundert tatkräftige und willige Mitglieder, die Wahlkämpfe organisieren und Ämter besetzen können. Woher sollen sie alle kommen vor den Landtagswahlen im Osten 2024 und der Bundestagswahl 2025? Wahrscheinlich ist der Zeitpunkt der Gründung deshalb nicht zufällig: Für die Europawahl 2024 braucht es keine flächendeckende Organisation. Aber ein Erfolg hier könnte einen wahren Sog auslösen – sowohl auf Wähler als auch auf potenzielles politisches Personal aus den Reihen anderer Parteien." 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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"Die Rheinpfalz" (Ludwigshafen): "Niemand kann Wagenknecht und ihren Freunden verwehren, eine neue Partei zu gründen. Doch ihr Bundestagsmandat haben sie mit Hilfe der Linkspartei und auf der Basis des Programms der Linken erworben. Mit den meisten Grundsätzen dieser Partei hat Wagenknechts Bewegung gebrochen. Die Gruppe sollte den Anstand besitzen, die jeweiligen Mandate niederzulegen und Nachrücker der Linken zum Zuge kommen zu lassen."

"Leipziger Volkszeitung": "Die zentralen Fragen ließ Wagenknecht leider offen: Zu welcher Wahl möchte sie denn selbst antreten? Will sie ins Europaparlament? Will sie mit einer Spitzenkandidatur in Thüringen dem dortigen AfD-Chef Björn Höcke die Stirn bieten? Oder zielt ihr Ehrgeiz abermals auf den Bundestag? Bisher zieht Wagenknecht ihre politische Stärke aus ihren rhetorisch geschliffenen Auftritten in Talkshows und der daraus folgenden Projektion auf ihre Person. Dass sie auch in der praktischen Politik über Wucht verfügt, den Beweis hat Wagenknecht noch nicht erbracht."

"Sie greift die Sorgen der kleinen Leute auf, die Angst um ihren Job oder vor zu viel Migration haben"

"Schwäbische Zeitung" (Ravensburg): "Dass ihre Partei Erfolg haben könnte, ist auch die Folge zahlreicher Entscheidungen der Ampel und ihrer Vorgängerregierungen: viel Ideologie, wenig Bürgernähe. Union und SPD – zwei Volksparteien, die ihr Volk allzu oft aus den Augen verloren hatten – gerade beim Thema Migration. Nun sind vor allem Union und SPD gefordert, den Parolen eine überzeugende, bürgernahe Realpolitik entgegenzusetzen. Sonst könnte in Teilen der Republik passieren, was sich keiner auszumalen wagt: Die Randstreifen werden breiter als die Mitte."

"Mitteldeutsche Zeitung" (Halle): "Vor allem in den ostdeutschen Landesverbänden gibt es eine ausgeprägte Loyalität zur eigenen Partei. Das dürfte zum Teil aus der Geschichte herrühren. Als die Partei noch SED hieß und diktatorisch herrschte, war Zweifel an der Führung gefährlich. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus wurde die Partei in PDS unbenannt, war nun aber in allen Parlamenten der Paria, mit dem niemand zu tun haben wollte. Auch das schweißt die aus jener Zeit verbliebenen Mitglieder zusammen. Abwerben kann Wagenknecht daher vor allem jene Aktiven, die erst in den vergangenen Jahren dazugestoßen sind, nach der Vereinigung mit der WASG." 

"Neue Osnabrücker Zeitung": "Wagenknechts Analyse der aktuellen politischen Lage trifft den Nerv vieler Menschen. Sie greift die Sorgen der kleinen Leute auf, die Angst um ihren Job oder vor zu viel Migration haben. Mit ihrer geschickten Mischung aus linker Sozialpolitik und härterer Flüchtlingspolitik spricht sie viele an. Zudem hat die Person Wagenknecht zweifellos Talent. Sie hat eine hervorragende analytische Intelligenz, kann aber trotzdem klar und verständlich formulieren und nennt die Dinge beim Namen – genau das, was anderen Politikern bis hin zum Bundeskanzler schwerfällt. Damit füllt Wagenknecht eine Lücke. So funktioniert Demokratie. Wenn neue Themen aufkommen, auf die die Parteien keine zufriedenstellenden Antworten geben, gründen sich neue." 

"Südwest Presse" (Ulm): "Sahra Wagenknechts Bündnis BSW – natürlich nach ihr benannt – will die politische Landschaft in Deutschland aufmischen. National soll das Programm werden und sozial – da lässt schon die Wortkombi nichts Gutes ahnen. Hinter der bunten Wagenknecht-Verpackung lauern einige heftige Nebenwirkungen: Verstaatlichungen, Planwirtschaft, wirres Anbiedern an Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Und was uns außenpolitisch noch erwartet, hat sie mit der Bemerkung vom 'Freiluftgefängnis Gaza' schon kundgetan. Wer erleichtert ist, dass die AfD Stimmen an das neue Bündnis verlieren könnte, sollte überlegen, ob er nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreibt."

DPA
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