Ende April ließ Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen Leitantrag für die Agenda 2010 von den Spitzengremien der SPD absegnen. Nichtsdestotrotz hagelt es harsche Kritik aus den eigenen Reihen, viele halten das Konzept für unsozial. Die Kritiker halten Änderungen an der Agenda für notwendig, um sie sozialverträglich zu gestalten, die Lasten gerecht zu verteilen und eine Fortschrittsperspektive aufzuzeigen. Die unterschiedlichen Positionen des Leitantrags und der Kritiker sind im folgenden übersichtlich zusammengefasst.
Arbeitslosen- und Sozialhilfe
Laut Agenda sollen Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum so genannten "Arbeitslosengeld II" zusammengelegt werden. Im Leitantrag heißt es dazu, dass eine "armutsfeste Regelung" angestrebt werde, die den Unterhalt sichert und Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, sozialen Pflege- und zur Rentenversicherung sowie für Eingliederungsleistungen gewährleistet. Gemeint ist, dass die Arbeitslosenhilfe auf das Niveau der Sozialhilfe absackt. Dazu kommt, dass diejenigen, die sich "nicht ausreichend um Eingliederung" bemühen "oder eine zumutbare Arbeit" ablehnen, "mit einer Reduzierung der Leistung bis hin zum Wegfall" rechnen müssen.
Die Kritiker sehen hierin 'Wahlbetrug'. Vor der Bundestagswahl 2002 wurde zwar die "Verzahnung" von Arbeitslosen- und Sozialhilfe angekündigt, Erstere sollte aber weiterhin oberhalb der Sozialhilfe liegen. Auch Clements Vorschlag, die Arbeitslosenhilfe in mehreren Schritten auf Sozialhilfeniveau abzusenken, wird als unzureichend zurückgewiesen.
Arbeitslosengeld
Die Agenda 2010 sieht vor, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf 12 Monate zu begrenzen. Eine Ausnahme wird für Personen, die 55 Jahre und älter sind, gemacht: Sie können 18 Monate lang Arbeitslosengeld erhalten. Es ist eine Übergangsphase von zwei Jahren geplant. Zur Zeit beziehen 57-Jährige bis zu 32 Monate Arbeitslosengeld.
In den Augen der Kritiker ist diese Regelung unsozial, besonders der niedersächsische SPD-Politiker Sigmar Gabriel fordert hier Änderungen. Nach der in der Agenda vorgestellten Regelung würden Personen, die jahrelang in das Versicherungssystem eingezahlt haben, binnen 18 Monaten auf das Sozialhilfeniveau herabgestuft. Den Kritikern schwebt vor, die Kürzungen für Ältere noch einmal zu prüfen. Denkbar wäre, die Bezugsdauer an die Anzahl der Beschäftigungsjahre zu knüpfen. Zudem seien Sonderförderungen für strukturschwache Regionen wie beispielsweise Ostdeutschland zu erwägen.

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Kündigungsschutz
"Der Kündigungsschutz bleibt erhalten", so steht es im Leitantrag zur Agenda. Ebenso bleibt der Schwellenwert von fünf Arbeitnehmern in kleinen Betrieben erhalten. "Kleine Betriebe, die heute nicht unter das Kündigungsschutzgesetz fallen, können künftig in begrenztem Umfang befristet Beschäftigte einstellen." Eine wesentliche Änderung ist, dass betriebsbedingte Kündigungen um die Alternative von Abfindungen ergänzt werden .
Den Kritikern ist der Kündigungsschutz unantastbares Element des Arbeitsrechts, da er dem Arbeitsplatzerhalt dient. Besonders der Bezirk Hessen-Süd kündigt Widerstand gegen die angestrebte Änderung an. Ein Teil der Kritiker verlangt die Überprüfung der in der Agenda festgelegten Regelungen nach fünf Jahren.
Krankengeld
Die Agenda 2010 sieht vor, das Krankengeld aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung herauszunehmen, um so die Lohnnebenkosten zu senken. Für die Arbeitnehmer bedeutet das, dass sie sich zukünftig selbst versichern müssen.
Die Kritiker lehnen diesen Vorschlag kompromisslos ab. Die Umsetzung würden den Ausstieg aus der von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam finanzierten Sozialversicherung bedeuten.
Haushalt
Laut Agenda 2010 werden neue Schulden in Kauf genommen, um konjunkturbedingte Mindereinnahmen des Staates zu finanzieren. An der Strategie zur Haushaltskonsolidierung wird unverändert festgehalten, ebenso an dem Plan einer Zins-Abgeltungssteuer.
Die Kritiker verlangen eine gerechte Lastenverteilung. Am weitesten reichen bisher die Forderungen der Saar-SPD. Ihr Chef Heiko Maas hält vor allem eine andere Steuerpolitik für notwendig und will Reiche und ihre Erben stärker zur Finanzierung der Staatsausgaben heranziehen. Sein Vorschlag sieht zudem vor, dass auch Beamte und Selbständige in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen sollen. Sigmar Gabriel von der SPD-Braunschweig will den besser Verdienenden das Kindergeld streichen. Darüber hinaus stellt er sich gegen die Zinsabgeltungssteuer, weil sie vermögende Aktienbesitzer durch die Pauschalsteuer bevorteile.
Ausbildung
Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen, fordert die Agenda die Wirtschaftsakteure auf, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Um dies zu erleichtern, wird die Ausbildereignungsverordnung für fünf Jahre ausgesetzt. Sollten nicht genügend Ausbildungsplätze geschaffen werden, würde eine Ausbildungsabgabe für alle Unternehmen eingeführt. Zugleich wird in Ostdeutschland das diesjährige Ausbildungsplatzprogramm mit 14.000 Plätzen verstetigt. Und für 100.000 jugendliche Sozialhilfeempfänger ist ein Sonderprogramm zu ihrer Integration in den Arbeitsmarkt vorgesehen.
Den Kritikern geht die Androhung einer Ausbildungsabgabe nicht weit genug, sie fordern sie in jedem Fall. Darüber hinaus verlangen sie, das geprüft werde wie eine Verstetigung des Ausbildungsplatzangebots im Gesetz festgeschrieben werden kann.
Birgit Helms