Rede des Kanzlers Scholz formuliert überraschend rote Linien im Haushaltsstreit

Scholz verspricht für Haushalt 2024: "Kein Abbau des Sozialstaats in Deutschland"
Scholz verspricht für Haushalt 2024: "Kein Abbau des Sozialstaats in Deutschland"
© Michele Tantussi
Sehen Sie im Video: Scholz-Rede bei SPD-Bundesparteitag – "Kein Abbau des Sozialstaats in Deutschland".
 
 
 
 
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) "Wir stehen nicht vor einer unlösbaren Aufgabe. Es müssen sich jetzt nur alle verständigen, und wir tun das in intensiven Gesprächen, diese Verständigung voranzubringen. Aber für mich ist ganz klar Es wird in einer solchen Situation keinen Abbau des Sozialstaats in Deutschland geben." "Ein Gesetz, das der Deutsche Bundestag beschlossen hat mit den Stimmen der CDU, CSU. Ein Gesetz, das der Bundesrat gebilligt hat, in dem eine Formel drinsteht, die gesetzeskonform durchzusetzen ist, ist ein Gesetz, das für sich eine ganz große Legitimationswirkung hat. Und man muss in solchen Situationen auch mal widerstehen." "Natürlich ist das ein Problem, denn wenn die Zeiten unsicher sind und wenn es darauf ankommt, Zuversicht und Perspektive zu vermitteln, dann ist das zunächst mal keine gute Idee. Und das will ich gerne hier auch für mich sagen: Manches von dem, was da so passiert ist, hätte ich echt nicht gebraucht. Aber was Deutschland nicht braucht, ist Leute, die dann nicht weiter ihre Arbeit machen." "Und wir sorgen dafür, dass es eine Zukunft gibt für unser Land und für jeden Einzelenen, das es besser wird und gerecht. Schönen Dank."
Der Kanzler erhöht im Haushaltsstreit den Druck auf die FDP – seine Partei dankt es ihm.

Der Applaus am Ende ist lang, die Delegierten wirken erleichtert. Eine knappe Stunde hat Olaf Scholz auf dem SPD-Parteitag gesprochen – und tatsächlich wissen seine Partei und die Öffentlichkeit jetzt mehr. Vor allem die Linie des Kanzlers im lähmenden Haushaltsstreit der Ampel-Koalition ist nach diesem Auftritt klarer. Vor allem in der FDP wird das keine Begeisterung hervorrufen. 

Normalerweise lässt sich Scholz bei schwierigen Verhandlungen ungern in die Karten schauen. Wer sich nicht festlegt, muss hinterher keine Konzessionen erklären, so seine Devise. Doch in der Debatte um den Bundeshaushalt für 2024 zieht der Kanzler in seiner Rede auf dem Parteitag eine rote Linie und stellt eine klare Forderung, die vor allem an seinen Finanzminister Christian Lindner gerichtet ist.

Wink mit einem riesigen Zaunpfahl

Etwa 20 Minuten hat Scholz gesprochen, hat die Geschlossenheit seiner Partei gelobt, hat einige Leistungen seiner Regierung aufgezählt, vor allem das Krisenmanagement nach Beginn des Ukraine-Krieges. "Wir haben das Land durch diesen Winter gebracht." Dann kommt er auf die Ukraine selbst zu sprechen. Der Krieg werde nicht so schnell vorbei sein, wie man sich das wünschen würde, sagt Scholz, und stellt klar: "Wir unterstützen die Ukraine weiter in ihrem Verteidigungskampf." Dafür aber müsse man "Entscheidungen treffen, die uns in der Lage halten, das tun zu können".

Der Zaunpfahl, mit dem der Kanzler da winkt, hat die Größe eines Hinkelsteins. Offenkundig strebt Scholz in den Verhandlungen mit FDP und Grünen an, auch im Haushalt 2024 eine Notlage zu erklären, die es der Regierung erlaubt, die Schuldenbremse zu umgehen. Auch andere Redner aus der SPD-Spitze haben diese Forderung auf dem Parteitag bereits mehr oder weniger unverhohlen erhoben, vorneweg die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil.

Schuldenbremse aussetzen – das ist Konsens in der SPD

Ein solcher Schritt wäre wohl nicht nur mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vereinbar, er wäre auch von der Opposition politisch schwer zu kritisieren, zumindest von den Unionsparteien, die in der Ukraine-Politik die Regierung bislang unterstützt haben. Allein die bisherigen Zusagen an die Ukraine für das nächste Jahr belaufen sich auf acht Milliarden Euro. Hinzu kämen Kosten für die ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland. Würde dieses Geld jenseits der Schuldenbremse über Schulden aufgenommen, wäre zumindest ein bedeutender Teil der 17 Milliarden Euro aufgebracht, die Christian Lindner für den Etat 2024 fehlen. 

Der Finanzminister hat eine erneute Notlage nicht ausgeschlossen, sich allerdings auch nicht wirklich begeistert gezeigt. Die Frage ist, welchen Preis er dafür verlangen wird, auch mit Blick auf die koalitionsskeptische Stimmung in seiner Partei. Das weiß natürlich auch Scholz. Er steuert das Thema in seiner Rede mit sanfter Ironie an: Die Aufstellung des Haushalts sei nach dem Urteil aus Karlsruhe "wie soll ich sagen: nicht einfacher geworden", witzelt der Kanzler über die tiefe Krise der Ampel hinweg. Es sei eine "sehr schwere Aufgabe, vor allem wenn man es nicht so machen kann, wie man es selber machen möchte und sich noch mit anderen einigen muss". Seit gut drei Wochen ringt Scholz bereits mit Lindner und dem grünen Vizekanzler Robert Habeck um die Konsequenzen aus dem Urteil. Eine rechtzeitige Aufstellung des neuen Haushalts bis zum Jahresende ist bereits gescheitert, was das Ansehen der Regierung nicht verbessert hat.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Sozialabbau? "Man muss auch mal widerstehen können", fordert der Kanzler

Eines aber macht Scholz auf dem Parteitag sehr zur Freude der Delegierten klar: "Es wird in einer solchen Situation keinen Abbau des Sozialstaats in Deutschland geben", ruft der Kanzler. Der Vorwurf, der Sozialstaat sei zu üppig, tauche immer wieder auf. "Das sehe ich nicht so", sagt Scholz. Es sei über Jahrzehnte "etwas gewachsen, was zur DNA unseres Landes gehört und die Grundlage unseres Wohlstands ist", so der Kanzler.

Scholz verteidigt vehement die Erhöhung des Bürgergeldes. Die Debatte über Kürzungen finde er "sehr merkwürdig". Sie leite sich aus geltenden Gesetzen ab. "Man muss in solchen Situationen auch mal widerstehen", sagt der Kanzler. Die Kritiker wollten das System an sich angreifen, "weil sie immer schon finden, dass diejenigen zu viel Geld bekommen, die gerade keine Arbeit haben".

Zuversicht, das ist eins der Schlüsselwörter in Scholz‘ Rede. "Man muss daran glauben können, dass es gut wird für die Kinder und Enkel." Darüber werde natürlich gestritten, überall in Europa, aber eben auch in Deutschland. Und der Kanzler räumt mit Blick auf manchen Koalitionskrach ein: "Manches von dem, was da passiert ist, hätte ich echt nicht gebraucht." Und dann fügt er noch einen Satz hinzu, der durchaus als Mahnung an den liberalen Koalitionspartner verstehen kann: "Was Deutschland nicht braucht, sind Leute, die dann nicht ihre Arbeit machen."