SPD-Bundesparteitag Klare Ansagen an Scholz, aber keine Abrechnung: Fünf Thesen zum Treffen der Kanzlerpartei

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
© Jonas Walzberg/ / Picture Alliance
Die Sozialdemokraten treffen sich zur Selbstvergewisserung in Berlin. Zu erwarten: Drei Tage SPD pur – und ein Kanzler, der in Erklärungsnot geraten könnte.   

These 1: Scholz muss keine Revolte fürchten, aber klare Worte seiner Partei

Was wird Olaf Scholz sagen? Stand jetzt: Nicht das, was seine Partei von ihm hören will. Am Samstagmorgen spricht der Bundeskanzler auf dem SPD-Bundesparteitag in Berlin. Anders als von seinen Genossen erhofft, ist es Scholz bislang nicht gelungen, eine Lösung für den Haushalt 2024 zu präsentieren. Aus SPD-Kreisen heißt es, dass der Haushalt 2024 nicht mehr in diesem Jahr verabschiedet werden kann. "Obwohl wir von unserer Seite alles dafür getan haben", schrieb SPD-Fraktionsmanagerin Katja Mast nach stern-Informationen am Donnerstag in einer Nachricht an Abgeordnete. 

Das erhöht den Druck auf Scholz. Kann der Kanzler nicht einmal einen politischen Konsens mit den Koalitionspartnern verkünden, gerät Scholz vor den 600 Delegierten mindestens in Erklärungsnot. Sollte er auch noch Einsparungen bei Sozialleistungen in Aussicht stellen – ein rotes Tuch für die SPD –, wird es richtig ungemütlich. Problematische Anträge könnten Scholz‘ Verhandlungsspielraum erheblich einschränken. Mit der Folge, dass die zähen Gespräche mit Grünen und FDP noch viel zäher würden. 

Eine Palastrevolution muss Scholz zwar nicht fürchten, einen düpierten Kanzler kann sich die strauchelnde Kanzlerpartei nicht leisten. Für die Genossen ist Scholz ganz einfach too big to fail. Allerdings muss er Klarheit schaffen und seiner Partei einen Weg aus der Misere weisen, der über seine bisherigen Worthülsen der Zuversicht hinausreicht. Andernfalls wird sich das Rumoren in der SPD ein Ventil suchen – womöglich in der Aussprache im Anschluss seiner Rede. Das Mindeste sind deutliche Warnungen der Basis vor einem Kahlschlag des Sozialstaats.

These 2: Die Parteivorsitzenden müssen zittern – der Kanzler nicht

Beide versprachen den Aufbruch, beide müssen nun rechtfertigen, was daraus geworden ist: Saskia Esken und Lars Klingbeil stellen sich am Freitag zur Wiederwahl als Doppelspitze. Das "sozialdemokratische Jahrzehnt", das die Co-Vorsitzenden vor zwei Jahren ausgerufen hatten, wird bei den aktuellen Umfragewerten ein jähes Ende nehmen: Die SPD war bei der Bundestagswahl 2021 mit 25,7 Prozent stärkste Kraft geworden, heute kommt sie bestenfalls auf 17 Prozent – weit hinter der AfD und sehr weit hinter der Union. 

Die pausenlose Krisenbewältigung, auch innerhalb der rauflustigen Ampel, und die Scheu mit dem eigenen Kanzler in den Konflikt zu gehen, haben das Parteiprofil in Mitleidenschaft gezogen. Generalsekretär Kevin Kühnert, der ebenfalls zur Wiederwahl antritt, sagt: Es gebe in der SPD "ein großes Bedürfnis, vom Reagieren ins Agieren zu kommen". Man wolle wieder Themen setzen. Das wollen Esken und Klingbeil mit ihrem Leitantrag auch. Eine höhere Belastung für Spitzenverdiener etwa soll die roten Herzen höherschlagen lassen. Doch: Dass sich die Genossen überhaupt nach Selbstvergewisserung sehnen, sich mehr Sozialdemokratie in der "Fortschrittskoalition" wünschen, geht auch auf ihr Konto. Die Parteiführung hat die Konfrontation zum Regierungskurs bislang gemieden. Die (Un-)Zufriedenheit mit ihrer Spitze wird sich in den Wahlergebnissen widerspiegeln. 

These 3: Der heimliche Star des Parteitags könnte Rolf Mützenich heißen

Nach der blassen Regierungserklärung von Scholz zur Haushaltskrise ergriff auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich das Wort – und holte das nach, was der Kanzler zuvor vermissen ließ: Eine klare Ansage, nach innen (an die SPD-Fraktion) wie nach außen (die Koalitionspartner). Durch die Reihen der SPD-Fraktion ging ein anerkennendes und erleichtertes Raunen, als ihr Vorsitzender die Position der SPD absteckte: Die Schuldenregel im Grundgesetz brauche "grundsätzliche Korrekturen", sagte Mützenich, die "wahllos gegriffene politische Größe" dürfe nicht als "Monstranz" vor sich hergeführt werden. Schon kurz nach dem Karlsruhe-Urteil hatte sich Mützenich aus der Deckung gewagt. Während Scholz noch im Stillen die Lage sondierte, schaltete der SPD-Fraktionschef auf Angriff – in Interviews, in Reden. Und möglicherweise am Samstagmittag auf dem Parteitag. 

These 4: Reiche sollten nicht zum Parteitag kommen (und die FDP lieber auch nicht)

Wofür steht die SPD? Das soll von Freitag bis Sonntag ausgiebig erörtert werden. Ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Koalitionspartner. Höhere Abgaben für Reiche, eine Anhebung des Mindestlohns, die Reform der Schuldenbremse – folgt man der Antragslage, wird sich die SPD lauter Ziele ins Programm schreiben, die mit ihrem Koalitionspartner von der FDP praktisch nicht zu machen sind. Ein Abschied von der Ampel? "Wir positionieren uns als SPD", sagte Co-Parteichef Klingbeil im stern-Interview, ohne näher auf die Diskrepanz zwischen Partei- und Regierungskurs einzugehen. Die Botschaft zwischen den Zeilen: Auf die Rolle der Mittlerin und Moderatorin hat die Partei keine Lust mehr.   

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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These 5: Zwei Schlüsselthemen werden für mächtig Streit sorgen: Migration und Schuldenbremse

Insbesondere zur Migrationspolitik steht der SPD eine harte Debatte ins Haus. Die Losung von Kanzler Scholz, nun "endlich" und "im großen Stil" abschieben zu wollen, hatte bei vielen Sozis teils schwere Irritationen hervorgerufen. Die Parteispitze versucht den Unmut nun offenbar zu adressieren: Wie der "Tagesspiegel" berichtete, will die SPD-Führung am Samstag einen Antrag einbringen, der auf Distanz zum Regierungskurs geht. Darin sollen viele Aspekte aus kritischen Anträgen der Basis aufgegriffen werden, etwa zur Seenotrettung oder dem Familiennachzug. Nicht weniger kontrovers dürfte die Diskussion um die Schuldenbremse geführt werden. Die SPD-Spitze strebt eine Reform an, dem Parteinachwuchs geht die aber nicht weit genug. "Wir als Jusos wollen einen Schritt weitergehen und die Schuldenbremse komplett aus dem Grundgesetz streichen", kündigte Juso-Chef Philipp Türmer in der "Süddeutschen Zeitung" an. Das werde sich auch in Anträgen widerspiegeln.

Die SPD wird ihren Standort bestimmen, sich ihren Prinzipien vergewissern. Aber ebenso sicher ist: Ein Kuschelparteitag wird’s nicht.