Gerhard Schröder und die SPD. Das war keine harmonische Beziehung. Eher eine Hassliebe. Mit Schlägen, mit Gewalt und Erpressung, mit Streit und gefühlvollen, ekstatischen Versöhnungsszenen. An diesem Montag, dem ersten Tag ihres Parteitags in Karlsruhe, haben sich die Sozialdemokraten und ihr Ex-Vorsitzender und Noch-Kanzler nun getrennt wie es sich gehört: Mit Lob, mit Gefühl und mit einem herzlichen "Macht’s gut."
"Die SPD und Gerhard Schröder, das ist eins"
Schröders Abschiedsrede hält ausgerechnet einer, der selbst ein wenig Abschied nimmt: Der scheidende Partei-Chef Franz Müntefering. Um kurz vor zwölf tritt Müntefering an das Rednerpult in der Kongresshalle der Neuen Messe. Eigentlich will er für das Koalitions-Programm werben, verabschiedet zunächst aber Schröder.
Der sitzt, wie im Bundestag auch, links vom Rednerpult, in der ersten Reihe, ganz rechts. "Lieber Gerd", hebt Müntefering an, "du hast es nicht immer leicht gehabt mit uns - aber wir auch nicht mit Dir. Aber im Wahlkampf war unmissverständlich: Die SPD und Gerhard Schröder, das ist eins." Die Agenda 2010, die Friedenspolitik - das, so Müntefering, sei Schröders bleibendes Erbe. "Diese beiden großen Dinge, die bleiben und das macht uns alle miteinander stolz", sagt der Mann, der Schröder lange den Rückhalt in der Partei sicherte.
Und dann macht Müntefering das, worauf viele, vielleicht sogar Gerhard Schröder, gehofft hatten. Er heizt die Stimmung an, er lässt Schröder noch einmal jene Nestwärme spüren, die ihm die Partei so lange vorenthalten hat. Es ist wie ein langer, inniger Abschiedskuss. "Du hast dich um Deutschland und die Sozialdemokratie verdient gemacht", sagt Müntefering. "Wir alle, die deutsche Sozialdemokratie, sind stolz auf Dich, wir danken Dir von Herzen. Bleib' präsent."
Schröder und die Genossen sind quitt
Es ist 11.59 Uhr, die mehr als 500 Delegierten klatschen, sie stehen auf. Auch Schröder erhebt sich. Er geht auf Müntefering zu, schüttelt ihm zunächst nur die Hand, zögert eine Sekunde, und umarmt ihn dann, den knorrigen Mann aus dem Sauerland. Die Delegierten klatschen weiter. Schröder und Müntefering, Arm in Arm, gehen vor, bis an den Rand der Bühne. Plötzlich kommt auch Matthias Platzeck hinzu, der Neue. Er hat das Sakko ausgezogen, die Ärmel seines weißen Hemdes hat er hochgekrempelt.
Die Delegierten, sie klatschen weiter. Drei, vier Minuten lang. Schröder reckt die Arme in die Höhe. Es ist sein Zeichen des Sieges, sein Zeichen dafür, dass er seinen Job - und diesen Parteitag - erhobenen Hauptes verlässt. Schließlich war er es, Gerhard Schröder, der diesen Sozialdemokraten trotz aller Unkenrufe ihre Macht-Hälfte in Berlin erwahlkämpft hat. Schröder und seine Genossen sind quitt, das wissen hier alle.

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"Solidarisch, aber frei"
Später, nachdem Müntefering für den Koalitionsvertrag geworben und sich aus seinem Amt verabschiedet hat, nachdem sie einen kleinen Best-of-Gerd-Film gezeigt haben, darf Schröder dann selbst zu den SPD-Delegierten reden - zum letzten Mal als Kanzler. Es ist keine leidenschaftliche, es ist eine nüchterne Rede.
Schröder spricht wenig über sich, aber viel über Franz Müntefering, die große Koalition. Etwas skurril: Er fordert seine Partei auf, doch auch Künstlern eine Heimat zu geben. Zu seinem eigenen Vermächtnis hält er sich kurz. Nur das Ende, natürlich, widmet er dem Abschied: "Wir sind die letzten sieben Jahre einen guten Weg gegangen", sagt der Kanzler. "Ich möchte diesen Weg mit meiner SPD weitergehen - solidarisch, aber frei."
Die Delegierten haben begriffen, was sie Schröder schulden. Jetzt feiern sie ihn ein letztes Mal. Sie springen auf, wieder klatschen sie, bleiben sie stehen, länger und länger. Es ist wie nach einer Theatervorstellung. Schröder, Müntefering und Platzeck, immer wieder gehen sie vor zum Bühnenrand. Es ist Schröders letzte Show in der Partei. Um 14.20 Uhr ist sie vorbei.
"Ich bin nicht traurig, dass er geht"
Nicht alle lassen sich von der Stimmung mitreißen. "Ich bin nicht traurig, dass er geht", sagt etwa Isolde Ries, Delegierte aus dem Saarland. "Mit seiner Politik ist einiges schief gelaufen", moniert sie. Auch ein bayerischer Delegierter mit weißem Rauschebart weint Schröder nicht nach. "Hätte er keine Neuwahlen ausgerufen, hätte er ja noch ein Jahr weitermachen können", schimpft er. Die stehenden Ovationen sieht er nicht als Beleg der Begeisterung für den scheidenden Kanzler. "Das ist zum Teil eine Dynamik, bei der man einfach mitmacht", sagt der Delegierte nüchtern, während um ihn herum der Beifall tost.
Die Delegierte Tanja Sagasser aus Baden-Württemberg ist anderer Meinung. "Der Applaus zeigt, dass die Partei ihm deutlichen Dank für seine Leistung ausspricht - auch wenn es zwischendurch einmal auf und ab ging. Er hat Sachen angestoßen, die notwenig waren." Eine Abgeordnete aus Schröders Heimatstadt Hannover bedauert Schröders Abgang: "Klar sind wir traurig, dass Schröder nicht mehr unser Bundeskanzler ist. Er war sehr mutig. Er hat es im Wahlkampf geschafft, das Ruder noch einmal herumzureißen. Ich wünsche ihm, dass er seinen Platz in seiner Familie findet - auch in der Partei wird er weiter eine starke Rolle spielen." Die Zeit einer grundsätzlichen Runderneuerung der Partei, gar die Geburtsstunde einer neuen SPD, sieht sie noch nicht gekommen. "Nein", sagt die Delegierte aus Hannover, "dafür bleiben zu viele Probleme - auch mit dem Koalitionsvertrag."