Für Peer Steinbrück ist es, als ob er schon Kanzler wäre. Jeder soll wissen, dass der SPD-Herausforderer von Angela Merkel vom Staatschef des wichtigsten Partnerlands auf Augenhöhe empfangen wird. Oder fast. "Es ist herauszustellen, dass ein sozialdemokratischer Politiker Zugang hat zur französischen Führung", sagt Steinbrück. Die durch norddeutsches Understatement gespreizte Formulierung kann Steinbrücks Stolz kaum kaschieren. Kurz zuvor hat er den Pariser Elysée-Palast verlassen, nach einem gut einstündigen Gespräch mit Präsident François Hollande.
Dabei ist der Empfang Steinbrücks durch den sozialistischen Staatschef naheliegend. Beide Männer eint der eine, der ganz große Wunsch: Angela Merkel loszuwerden. Steinbrück, weil er selbst Kanzler werden will. Hollande, weil er das Spardiktat Merkels in der Euro-Krise ablösen will durch eine mehr auf Wachstum ausgerichtete Politik. Nicht zuletzt mit Blick auf das eigene Land, das in der Rezession zu versinken droht. Beide arbeiten sich bisher vergeblich an Merkel ab. Denn geeint sind sie auch durch dramatisch schlechte Zustimmungswerte für ihre Politik, während die Sparkanzlerin im Umfragehoch schwebt.
Steinbrück nimmt Steueridee mit
"Keineswegs verzagt und larmoyant" seien er und Hollande deswegen, berichtet Steinbrück. Der SPD-Kandidat nutzt seinen Auftritt in Paris und die aktuelle Aufregung um Geldwäsche in Steuerparadiesen lieber für scharfe Attacken gegen Merkel: Der Umgang der schwarz-gelben Regierung mit Schwarzgeldoasen zeuge von "Scheinheiligkeit". Das mit der Schweiz geschlossene Doppelbesteuerungsabkommen etwa schütze Straftäter, wettert Steinbrück. Mit Hollande sei er sich einig, dass Kapitalflucht viel schärfer bekämpft werden müsse. Dass Frankreichs Präsident gerade in einer schweren Regierungskrise steckt, weil zwei seiner Vertrauten Geld in Steuerparadiese geschafft haben, ist nur eine ironische Fußnote.
Überhaupt, die Fiskalpolitik. Da ist die SPD dem Steuererhöher Hollande – der Frankreich 2013 rund 20 Milliarden Euro an Mehrbelastungen zumutet - inzwischen sehr nahe: Wie der Franzose will sie Spitzenverdiener stärker zur Kasse bitten, um Investitionen für die Jugend zu finanzieren. Genau genommen ist die SPD teilweise radikaler: Hollandes umstrittene Reichensteuer von 75 Prozent ist tatsächlich eine vom Arbeitgeber zu zahlende Steuer von 50 Prozent auf Einkommensteile über einer Million Euro, zuzüglich 25 Prozent Sozialabgaben. Steinbrück dagegen fordert einen Steuersatz von 49 Prozent schon auf Einkommen von über 100.000 Euro für Alleinstehende und 200.000 Euro für Ehepaare. Die Frage, ob das SPD-Steuerprogramm in Wahrheit nicht strenger ist als das des Franzosen, wischt Steinbrück mit nur einem Wort beiseite: "Nein."
Steinbrück gibt sich einfühlsam
Vor einem Jahr noch hatte Steinbrück Hollandes Forderung nach einer Neuverhandlung des von Merkel erzwungenen EU-Fiskalpakts als "naiv" bezeichnet. Nun wirkt der SPD-Mann fast so, als sei Hollande, inzwischen Staatschef, ein alter politischer Freund. Steinbrück bittet "um etwas mehr Verständnis" in Deutschland, wo Regierung und Medien dazu neigen, dem Sozialisten allein die Schuld für Nullwachstum, Schulden, verfehlte Defizitziele und ständig steigende Arbeitslosigkeit zu geben.
"Ein Staatspräsident, der seit zehn Monaten im Amt ist, kann nicht das beheben, was seine zwei konservativen Vorgänger in 15 Jahren zu verantworten haben", sagt Steinbrück. Oder: "Für Hollande ist die Organisation eines sozialen Dialogs viel schwieriger. Er hat es nicht mit einer Einheitsgewerkschaft zu tun, sondern mit fünf oder acht konkurrierenden Gewerkschaften." Aber er habe Hollande so verstanden, dass er sich an den Agenda-2010-Reformen des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder orientiere. Hollande gebe sein Ziel der Haushaltskonsolidierung ja nicht auf. Der Merkel-Gegner zeigt in Paris eine ungewohnte Seite: Nicht Steinbrück, den Schneidigen. Sondern Steinbrück, den Einfühlsamen.
Was er – außer der Anerkennung seiner Wichtigkeit – von dem Besuch hat, bleibt unklar. Mag Hollande gezeigt haben, wie man einen erfolgreichen Wahlkampf gegen den Finanzkapitalismus führt, strahlt von ihm als Präsidenten jetzt keineswegs Glanz ab. Im Gegenteil: Es sei "bemerkenswert, dass Herr Steinbrück nach Frankreich reist, um sich dort Rat zu holen", stichelt zum Beispiel Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP). Steinbrück nimmt das Risiko, unter dem Negativ-Image Hollande zu leiden, bewusst in Kauf. "Das wird natürlich die Musik sein, die diesen Wahlkampf begleitet." Er setzt trotzdem auf seinen neuen Freund im Elysée. Bei der 150-Jahr-Feier der SPD im Mai in Leipzig wird Hollande "eine herausragende Rolle spielen", kündigt Steinbrück an.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Hollande übt sich Zurückhaltung
Der Überschwang des deutschen Kanzlerkandidaten kontrastiert auffällig mit der Zurückhaltung des Elysée: Von dort gibt es kein Kommuniqué zum Gespräch mit Steinbrück. In Hollandes Umfeld beeilt man sich auch zu erklären, dass Angela Merkel natürlich zuvor über den Termin informiert worden sei. Der Präsident mag kürzlich von "freundschaftlichen Spannungen" mit der Kanzlerin gesprochen haben – der Empfang ihres SPD-Rivalen soll jedoch offenkundig eine kleine Provokation bleiben. Eine späte Rache dafür, dass Merkel 2012 den Konkurrenten Nicolas Sarkozy unterstützt hatte.
Hollandes offizieller Kalender aber weist den Termin mit Steinbrück nur als Zusammentreffen mit einem einfachen "parlementaire" der SPD aus. Vorsichtshalber. Für den Fall, dass nichts wird aus dem großen, einenden Wunsch, Merkel loszubekommen.