Stoibers Schicksalstage Revolte an den Stammtischen (I)

Hat CSU-Chef Edmund Stoiber noch eine Chance? stern.de hörte sich an bayerischen Stammtischen um - und stieß auf überraschende Meinungen. Teil I der Reportage führt zur alten CSU-Garde ins Nürnberger "Posthorn".

Als wir am Montagabend in Nürnberg das Lokal "Goldenes Posthorn" betreten, riecht es draußen nach Kälte und drinnen nach frischem, auf alt gemachtem Holz. Hinten in der Ecke, auf der Seite, die zur Sankt-Sebaldus-Kirche hinausgeht, sitzen sie: Fünf Nürnberger Stadträte a.D., allesamt CSU, mitsamt einer Fraktions-Sekretärin a.D.. "Der Erich" ist dabei, 55 Jahre Partei-Mitglied, und "der Roland", 48 Jahre Partei-Mitglied und für kurze Zeit sogar Bundestags-Abgeordneter. Jeden zweiten Monat treffen sie sich hier, zum "Stammtisch der ehemaligen Mandatsträger", wohl gekleidete, streitlustige alte Herren, die Weißbier "leicht" trinken und Nürnberger Bratwürste von Zinntellern essen. Bestellt man zehn Stück werden die Würste liebevoll in ein Zinn-Herz gebettet.

Stammtisch mit Dame

Kaum haben wir uns gesetzt, legen sie los, wettern, analysieren: Sie sind Franken, also eher stoiber-kritisch, nein, sie verstehen Stoiber nicht, den Partei-Chef, den "souveränen Herrscher", aber: ihn vollends verteufeln, das wollen sie auch nicht. Sicher, er habe sich vertaktiert, analysieren sie, als führungsschwach erwiesen. Das alles seien Fehler. Er habe lauter mächtige Schergen um sich geschart ("Der darf nichts mehr alleine entscheiden"). Aber Stoiber stürzen? Zumal zum jetzigen Zeitpunkt, jetzt, wo die Krise offenbar ist? Nein, das wollen sie nicht.

Einig sind sich die Herren - die Dame spricht wenig - über folgende Dinge: Günther Beckstein, Ihren Abgeordneten, hätten sie gerne als Regierungschef oder Minister in Berlin gesehen, dass er jetzt beides nicht wird, nehmen sie Stoiber übel; CSU-Generalsekretär Markus Söder, obgleich Franke, ist nicht ihr Liebling ("Wenn der Nürnberger Bürgermeister wollen würde, würde ich das erste Mal in meinem Leben nicht CSU wählen"); Ex-Partei-Chef Theo Waigel halten sie für einen unfairen Nachtreter ("Unmöglich was der macht"); und Franz-Josef Strauß wäre trotz allem in Berlin geblieben ("Der hätte nicht gekniffen").

"Nachtreten ist feige"

Der Konflikt zwischen treuen Stoiberisten und Stoiber-Dissidenten tritt erst zu Tage, als plötzlich die Tür aufgeht und die halbe Nürnberger CSU-Stadtratsfraktion mit lautem "Hallo" ins "Posthorn" einzieht. Kaum sitzen die fränkischen Honoratioren, haben sich zwei sofort in der Wolle. "Stoiber hat für uns alles gewonnen", wirft der stimmgewaltige Weißbier-Trinker einem Espresso-Genießer entgegen. "Nichts ist feiger, als jetzt nachzutreten - jetzt, wo er uns braucht."

Der Kaffee-Trinker will das nicht auf sich sitzen lassen. Sein Ortsverband, verteidigt er sich, habe Stoiber - anders als behauptet - nicht zum Rücktritt aufgefordert. Es gehe hier darum, dass sich etwas ändern müsse. Im Stil der Partei, dass das alles nicht so weitergehen dürfe, wie es bisher war. Deshalb habe man Stoiber in einem Beschluss auf drei oder vier Punkte hingewiesen, bei denen sich etwas ändern müsse. Das müsse doch erlaubt sein. Mit Feigheit, jedenfalls, habe das nun wirklich gar nichts zu tun.

Die Partei will gehört werden

Es scheint weniger das ewige Hin und Her zwischen Berlin und München zu sein, das sie an Stoiber stört, als vielmehr sein Führungs-Stil, die fehlende Offenheit gegenüber der Partei, die Verschlossenheit der Spitze gegenüber Basis und Bürgern. Es geht um das Gehörtwerden.

Wie die Argumente sich wiederholen - und zwar parteiübergreifend. Ähnliches war noch vor zwei Wochen aus der SPD zu hören. Damals peinigte die SPD-Vorstandsmitglieder die Frage, ob Partei-Chef Franz Müntefering seinen Adjudanten Kajo Wasserhövel einfach per Dekret durchsetzen dürfe, ob die Partei nicht gehört werden müsse. Das Gehörtwerden-Wollen scheint derzeit eine unheimliche Macht zu entfalten in den Volksparteien, eine, die die Chefs ernsthaft gefährdet.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"Es wäre ein Fehler, ihn jetzt einfach zu entsorgen

Dennoch: Die Nürnberger CSU-Stadträte scheinen keine Lust zu verspüren, Stoiber jetzt wegzufegen, ihm ein Schicksal zu bescheren wie jüngst Müntefering, gewollt oder nicht. Andererseits zweifeln sie daran, dass sie mit Stoiber tatsächlich eine weitere Landtagswahl siegreich werden bestehen können. "Man muss ihm die Chance geben, selbst abzutreten", sagt einer, der den Franken und Fraktionschef Joachim Herrmann schon als legitimen Nachfolger sieht. "Ich glaube nicht, dass wir mit Stoiber 2008 in die Landtagswahl ziehen", pflichtet ein anderer nachdenklich bei.

Irgendwann an diesem Abend, die letzte Runde ist schon bestellt, meldet sich einer zu Wort, der bis dahin still war, ein elegant gekleideter Weißwein-Trinker. Kein Stadtrat, sondern Gastronom, das "Posthorn" gehört seiner Familie. "Man darf nicht vergessen", warnt er, "Stoiber hat diese Partei verändert, er hat sie moderner gemacht. Er hat die Partei von den alten Strauß-Seilschaften gesäubert, sie transparenter gemacht. Die CSU ist keine dumpfe 'Mir-san-mir'-Veranstaltung. Es wäre ein großer Fehler, ihn jetzt einfach zu entsorgen."