Einen Tag später, am Dienstag, sitzen wir wieder an einem Stammtisch. Diesmal in Augsburg, diesmal nicht bei den Alten, sondern bei den Jungen. Vor ein paar Wochen hat die Junge Union die Chefs von CDU und CSU hier bei ihrem "Deutschlandtag" kräftig geärgert. Eine sofortige Analyse des miesen Wahlergebnisses haben die Jungspunde von Angela Merkel und Edmund Stoiber gefordert, den Merkel-Gegner und Vorzeige-Liberalen Friedrich Merz haben sie hier frenetisch gefeiert, mit La Ola und alldem.
An diesem Abend geht es stiller zu in Augsburg. Zehn oder zwölf Jungpolitiker sind in das Zac’s in der kleinen Kapuziner-Gasse gekommen. Es ist ein Tex-Mex-Lokal mit langen Holztischen, ein idealer Stammtisch. Auch diskutieren lässt sich's hier gut. An diesem Dienstag sind die Jungpolitiker fast die einzigen Gäste.
Wir haben eine scharfe, einhellige Abrechung mit Stoiber erwartet. Und uns getäuscht. Auch hier klafft die Kluft zwischen Stoiber-Dissidenten einerseits und Stoiberisten andererseits. Einer trägt einen Anzug und hat Wut im Bauch. "Der hat sich zickig benommen", urteilt er scharf. Stoiber habe sich vor der Verantwortung in Berlin gedrückt und dadurch genau jene Werte wie Mut, Standhaftigkeit und Verlässlichkeit verraten, die dem bürgerlichen Lager doch eigentlich heilig sind. Stoiber habe nun genau das gemacht, was er den 68ern immer vorgeworfen habe: Sich als verantwortungsloser Geselle erwiesen. "Er hat sich benommen wie eine Memme", schimpft der JU-Mann.
Eine junge Frau im hellen Pullover widerspricht. Sie habe Verständnis für Stoiber, sagt sie. Der habe ja Recht mit seiner Behauptung, dass die SPD nach Münteferings Rückzug unberechenbarer, linker geworden sei. Sie argumentiert bestimmt. Nein, beschädigt wurde der Partei-Chef nicht, darauf beharrt die Stoiber-Anhängerin.
Die Kälte in der eigenen Partei
Aber auch die Jung-Unionisten in Augsburg, so scheint es, treibt weniger die Debatte über die Personalie Stoiber um, als vielmehr die gefühlte Temperatur in der Partei. "Wir müssen wieder näher ran die Menschen", bemängeln sie unisono. "Wir müssen den Menschen vermitteln, dass wir uns um sie kümmern." Der Abstand zur Bevölkerung sei zu groß geworden, warnen sie. Wir sind erstaunt: Fundamentalkritik an der fernsehgerechten Inszenierung der CSU.
"Der Aschermittwoch in Passau etwa", schimpft einer, "der wird nur noch fürs Fernsehen gemacht. Es geht darum, dass alles gut ausgeleuchtet ist, dass die Bilder stimmen, nicht mehr darum, dass die Leute, die in der Halle sitzen, etwas mitbekommen." Offenbar ist selbst dem als liberal verschrienen CSU-Nachwuchs, die eigene Partei zu kalt geworden, zu durchorganisiert. Dass dies eine Entwicklung ist, die theoretisch auch Partei-Chef Stoiber angelastet werden könnte, das scheint selbst die überzeugten Stoiberisten nicht zu stören.
Begeisterung für Schwarz-Grün
Aber die Jung-Unionisten bieten noch mehr Überraschendes. Plötzlich, als wir mit ihnen über die Reformfähigkeit der großen Koalition diskutieren, bricht es aus einem heraus, der ganz am Ende des Tisches sitzt: "Mir wäre eine Jamaika-Koalition viel lieber gewesen als die große Koalition", sagt er. "Mit den Grünen hätte man mehr bewegen können als mit der SPD."

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Fast alle nicken, fast jeder meldet sich zu Wort. Plötzlich, ohne Vorwarnung, dreht sich alles um den Begriff "Nachhaltigkeit", um die Bedeutung des "Faktors Ökologie". Auf die Grünen, so wirkt es, sind sie hier eher neugierig als dass sie sich von ihnen abgestoßen fühlen würden. Das Bild einer polit-kulturellen Kluft zwischen stereotyp-zotteligen Links-Ökologen und stereotyp-geschniegelten Jung-Karrieristen kann jedenfalls selbst in der konservativen Bastion Bayern endgültig verworfen werden.
Hier, in Augsburg, sitzt Stoibers Nachwuchs am Tisch und redet einem schwarz-grünen Bündnis das Wort. "Ausprobieren sollte man das erst einmal auf kommunaler Ebene", sagt einer, "und dann ist es vielleicht etwas für den Bund." Die energische Frau, die zuvor für Stoiber in die Bresche gesprungen ist, steuert die realpolitische Erklärung bei: "Die Volksparteien verlieren Zustimmung", sagt sie. "Sie müssen sich neue Partner suchen. Die Grünen darf man da nicht ausschließen."
Fraktion-Chef rügt Stoiber
Als wir diesen Stammtisch gegen zehn Uhr verlassen und auf der Autobahn A8 Richtung München brausen, sind wir immer noch etwas konsterniert, von den Veränderungen, die sich hier in den Volksparteien ankündigen. Irgendwie, so scheint es, haben sie nicht nur in der SPD genug vom diktatorischen Herrschaftsgebaren der Spitze. Auch die CSU-Basis wehrt sich dagegen, dass ihr gesagt wird, was sie zu tun und zu denken hat. Wir drehen das Radio an und schalten auf "B5", den Infosender des Bayerischen Rundfunks.
Ein Bericht zitiert die "Süddeutsche Zeitung". Diese schreibe, dass der CSU-Fraktionschef im Landtag, Joachim Herrmann, Stoiber auffordere, seinen Regierungsstil zu ändern. Es solle transparenter, offener geherrscht werden in Bayern, soll Herrmann gesagt haben. Eine ungewöhnlich offene Kritik ist das. Wie wird Stoiber reagieren? Wir werden es bald wissen. Am Mittwoch jedenfalls muss sich Stoiber der CSU-Fraktion im Landtag stellen - und erklären, wie er sich den Stil der Zukunft vorstellt. Wir werden das genau verfolgen - und einen Termin mit Hermann haben wir auch schon avisiert, am Abend, an der Basis im tiefsten Oberbayern. Wir treten aufs Gas.