Die Mordserie der Neonazi-Terrorzelle NSU hätte nach Einschätzung des Thüringer Untersuchungsausschusses verhindert werden können, wenn die Ermittlungsbehörden vorher nicht so gravierende Fehler gemacht hätten. Es habe Fehlleistungen bei der Fahndung nach den drei Hauptverdächtigen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" gegeben - in einem erschreckenden Ausmaß. Das sagte die Vorsitzende des Thüringer Landtagsausschusses, Dorothea Marx (SPD), bei der Vorlage des Abschlussberichts in Erfurt.
Wenn die Ermittler bereits nach einem Fund von Sprengstoff 1998 in Jena richtig gehandelt hätten, wäre "der weitere Verlauf" mit hoher Wahrscheinlichkeit anders gewesen. "Das ist die schwere Schuld, die auf Thüringen lastet."
Landtag bittet Angehörige um Entschuldigung
Polizei und Nachrichtendienste waren der Bande aus Thüringen, die für zehn Morde sowie für Sprengstoffanschläge und Banküberfälle bundesweit verantwortlich gemacht wird, jahrelang nicht auf die Spur gekommen. Sie flog erst Ende 2011 auf.
Der Thüringer Landtag bat die Angehörigen der Opfer um Entschuldigung. "Wir bitten Sie für die Verdächtigungen und für die lange Zeit fehlende Empathie um Verzeihung", sagte Landtagspräsidentin Birgit Diezel nach Entgegennahme des Berichts. Marx sagte, Thüringen trage als Land, aus dem die mutmaßlichen Täter stammten, "eine besondere Verantwortung und eine besondere Schuld".
Die Liste der Verfehlungen:
Dubios erscheint die Rolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Die Abgeordneten haben festgestellt, dass ein V-Mann des Bundesamtes "als Kontakt auf der Garagenliste des Uwe Mundlos" gestanden habe. Was der Verfassungsschutz von diesem V-Mann erfahren habe, sei ebenso wenig aufzuklären gewesen wie andere offene Fragen. "Das Bundesamt verweigerte die erbetene Amtshilfe weitgehend", heißt es dazu. Unverständlich sei, warum das Bundesamt behaupte, bis zum Auffliegen des Trios im November 2011 von nichts gewusst zu haben.
Beim
thüringischen Landesamt für Verfassungsschutz

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sieht der Untersuchungsausschuss eine zentrale Verantwortung für das Behördenversagen. Zentrale Figuren der Neonazi-Szene seien als V-Leute mit "übermäßig hohen Prämien" finanziert worden. Wichtige Informationen seien nicht an die Polizei weitergegeben worden.
Die
Polizei
war der Ermittlungsarbeit offenbar über weite Strecken nicht gewachsen. Der Organisationsgrad und die Gefährlichkeit der rechtsextremen Szene wurde nicht durchschaut. Der damalige Innenminister Richard Dewes (SPD) wird in dem Bericht mit der Aussage zitiert, 90 Prozent der Thüringer Polizisten seien ehemalige DDR-Volkspolizisten gewesen. Die Beamten hätten zunächst "in den Stand versetzt werden müssen, erkennen zu können, was rechtsradikal ist".
Die zuständige
Staatsanwaltschaft Gera
wird als zu passiv kritisiert. Ihr früherer Chef Arndt Koeppen klagte zudem, die in seinem Auftrag tätigen Zielfahnder seien immer wieder "verraten worden". Wenn die sich irgendwo angepirscht und versucht hätten, jemanden festzunehmen, seien die Zielpersonen vorher offenbar gewarnt worden.
Das
Landeskriminalamt
soll zwar fachlich bestens qualifiziert gewesen sein, wurde aber nach Überzeugung des Ausschusses von wichtigen Informationen abgekoppelt und möglicherweise vorsätzlich ausgebremst. Ein Zielfahnder sagte als Zeuge vor dem Ausschuss, er habe etwa die besagte Liste mit den Namen von Unterstützern nie zur Verfügung gehabt.