Der Bundestag hat sich mehrheitlich für die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausgesprochen. Ein entsprechender Antrag der rot-grünen Koalition wurde am Donnerstag gegen die Stimmen der FDP und der Union angenommen. Ziel der Verhandlungen sei es, den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union vorzubereiten. Die EU-Staats- und Regierungschefs entscheiden am Freitag in Brüssel über die Aufnahme von Verhandlungen. Allerdings müssen die nationalen Parlamente der einzelnen EU-Mitgliedsländer noch grünes Licht geben.
Die Union hatte zuvor ihre erheblichen Bedenken gegen Verhandlungen über einen EU-Beitritt bekräftigt. Die Türkei erfülle nicht die Kriterien für die Aufnahme von Verhandlungen. Ein Antrag von CDU und CSU, in dem eine Vollmitgliedschaft der Türkei als "schwerwiegender Fehler" bezeichnet wird, fand jedoch keine Mehrheit. CDU-Chefin Angela Merkel betonte, eine "privilegierte Partnerschaft" der Türkei zur EU sei die einzige Alternative. Die Union habe jedoch keine Illusionen darüber, dass beim EU-Gipfel die Aufnahme von Gesprächen mit der Türkei beschlossen werde, sagte Merkel.
Wahlkampfthema Türkei
Die CDU-Vorsitzende kündigte indirekt an, die Debatte um die Türkei auch zum Wahlkampfthema zu machen. "Wir werden 2005 diese Debatte weiterführen, wir werden 2006 diese Debatte weiterführen." Im kommenden Jahr wird in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein gewählt, 2006 wird ein neuer Bundestag gewählt. Die Bundesregierung nehme die Sorgen der Bürger nicht ernst, sagte Merkel. Eine Unions-geführte Bundesregierung werde den Verhandlungsprozess neu bewerten. Sie sprach aber nicht davon, dann die Verhandlungen stoppen zu wollen.
Es müsse einen dritten Weg geben, so die CDU-Chefin weiter. "Es ist nicht redlich, so zu tun, als könne man fünf, zehn Jahre verhandeln, um dann nur das eine oder andere zu haben, Vollmitgliedschaft oder nichts." Ein Scheitern der Verhandlungen wäre dann eine Katastrophe für die Türkei, aber auch für die EU. Der FDP-Außenpolitik-Experte Werner Hoyer sagte, es sei sinnvoll, das Partnerschaftsmodell weiter zu diskutieren.
Eine Vollmitgliedschaft der Türkei in die EU sei nicht sinnvoll, da die Türkei dann die von der Bundesregierung beschworene Brückenfunktion in die islamische Welt nicht wirklich wahrnehme, so Merkel weiter. Eine Brücke sei "ein Konstrukt, das niemals voll zu einer Seite gehört". Auch mit strategischen Gesichtspunkten sei eine EU-Aufnahme der Türkei nicht zu begründen. Zuständig für die Sicherheitspolitik in Europa sei die Nato, in der die Türkei Mitglied ist. Sie fügte hinzu, die Türkei erfülle bei weitem nicht die notwendigen Kriterien für eine EU-Aufnahme. So sei die Folter nicht abgeschafft und es gebe keine Religionsfreiheit.
"Tief sitzende Aversion"
Minister Fischer warf der Union eine tief sitzende Aversion gegen die Türkei vor. Die Bundesregierung werde sich mit Nachdruck für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen einsetzen, die ergebnisoffen geführt würden. "Wir entscheiden heute über die Modernisierung der Türkei", sagte Fischer und wandte sich gegen das Unions-Modell: "Ihre Position wird in der Türkei als Nein gesehen." Die privilegierte Partnerschaft sei ein Modell, das schon jetzt zwischen EU und Türkei praktiziert werde. So sei die Türkei in allen wichtigen EU-Gremien beratendes Mitglied. SPD-Chef Franz Müntefering sagte, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei würden für andere Länder ein Ansporn zu demokratischen Reformen sein.

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Unterdessen sind führende Christdemokraten vom Begriff einer "privilegierten Partnerschaft" für die Türkei in der EU abgerückt. "Der Begriff "privilegierte Partnerschaft" ist zweitrangig", sagte der CDU-Europaabgeordnete und Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses im EU-Parlament, Elmar Brok, zum Auftakt eines Treffens des konservativen Regierungs- und Parteichefs in Meise bei Brüssel.
Auch der stellvertretende EVP-Vorsitzende Peter Hintze (CDU) hält den Begriff "privilegierte Partnerschaft" innerhalb der konservativen Parteifamilie nicht für durchsetzbar. "Wir werden von der privilegierten Partnerschaft sprechen, aber eine andere Formulierung finden", sagte Hintze vor dem Treffen in Meise. Das zentrale Ziel sei, das Ergebnis der EU-Verhandlungen mit der Türkei offen zu halten und andere Optionen als den Beitritt zu ermöglichen. Hintze betonte, auch eine CDU-geführte Bundesregierung würde die anstehenden Beschlüsse des EU-Gipfels zu Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht grundsätzlich in Frage stellen. "Wir halten uns selbstverständlich an die Verpflichtungen, die eine Vorgängerregierung eingegangen ist", sagte Hintze.