Anzeige
Anzeige

Verfassungsschutzbericht Wie "Querdenken" und Co. unseren Staat zersetzen wollen

Demonstration in Dresden im Februar 2022
Die Grenze zwischen Rechtsextremisten und Protestierenden gegen die Coronavirus-Schutzmaßnahmen ist laut Verfassungsschutz mancherorts fließend (Demonstration in Dresden im Februar 2022)
© Sebastian Kahnert / DPA
Angriffe auf Politiker, Beleidigungen von Wissenschaftlerinnen, Gewalt und Aufrufe zum Umsturz: Teile der Protestbewegung gegen die Coronavirus-Schutzmaßnahmen haben sich laut Verfassungsschutz radikalisiert. Das macht "Querdenken" und Co. so gefährlich.

Es gibt ein neues Kapitel im Verfassungsschutzbericht – eine neue Bedrohung für unsere Demokratie. "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" ist die etwas sperrige Bezeichnung des Abschnitts. Sie meint: die zunehmende Radikalisierung der Proteste gegen die Coronavirus-Schutzmaßnahmen. Sie gipfelte im vergangenen September in der Ermordung eines 20-jährigen Tankstellen-Mitarbeiters in Idar-Oberstein.

Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) machten bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2021 in Berlin deutlich, dass es Teilen der Bewegung um deutlich mehr geht als um die Ablehnung von Maskenpflicht, Abstandsregeln und Co. "Der Staat und seine Institutionen wurden in ihrer Legitimität infrage gestellt", sagte Faeser. Es sei damit die Aufgabe des Verfassungsschutzes, auch diese Szene in den Blick zu nehmen, ergänzte Haldenwang.

Verfassungsschutz warnt vor radikalen "Querdenkern"

Eine Zuordnung der selbsternannten "Querdenker" zu den etablierten Phänomenbereichen Rechts- oder Linksextremismus sei nur schwer möglich, betonten beide. Zu diffus seien die Strukturen, die handelnden Personen und ihre Ziele. So werde die Bewegung beispielsweise in Sachsen von Rechtsextremisten geprägt, in Süddeutschland dagegen seien etwa Esoteriker tonangebend, auch "Reichsbürger", "Selbstverwalter" und Antisemiten mischen in verschiedenen Regionen mit. Dazu, wie groß die Szene "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" ist, gibt es noch keine Einschätzung.

Thomas Haldenwang und  Nancy Faeser bei der Präsentation des Verfassungsschutzberichtes 2021
Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Präsentation des Verfassungsschutzberichtes 2021
© John MacDougall / AFP

Doch einem Teil ihren Protagnisten sei gemein, dass sich "eine fundamentale Ablehnung der bestehenden staatlichen Ordnung und ihrer Institutionen" entwickelt habe, heißt es im Bericht des Inlandsgeheimdienstes. "Die Angehörigen des Phänomenbereichs versuchen, das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie, in staatliche Institutionen sowie in Wissenschaft und Medien zu untergraben. Sie zielen dabei auf die Radikalisierung und Mobilisierung von Teilen der Bevölkerung, um ihre eigene Agenda voranzubringen."

Haldenwang betonte: "Unser Interesse gilt nicht einer kritischen Haltung von Protestteilnehmern gegenüber den Bundes- und Landesregierungen, sondern den Gewaltaufrufen und Angriffen auf unsere Demokratie."

Denn die Proteste gegen die Coronavirus-Schutzmaßnahmen haben sich nach Beobachtung des Verfassungsschutzes im vergangenen Jahr immer weiter radikalisiert. So seien Demonstrationen immer konfrontativer geworden. Auseinandersetzungen mit der Polizei seien von der Szene als Beleg für einen "rigoros agierenden Unrechtsstaat" gewertet und Demonstrationsverbote bewusst missachtet worden. Als einer der propagandistischen "Höhepunkte" der "Querdenken"-Bewegung gilt die zeitweise Besetzung der Treppen des Reichstagsgebäudes in Berlin am 29. August.

Klimapolitik neues Protestziel?

Besonders bedrohlich: Immer wieder wurden im Zuge der Corona-Proteste (Lokal-)Politiker, Wissenschaftlerinnen, Polizisten oder Journalistinnen sogar mit dem Tod bedroht oder gar an ihrem Wohnhaus aufgesucht. "Diesen Vorhaben liegt offenbar nicht allein der Wille zur Protestäußerung zugrunde; sie können vielmehr als gezielter Versuch der Einschüchterung verstanden werden", so der Verfassungsschutz. Desinformationen, Aufrufe zur Gewalt und zum Umsturz der bestehenden politischen Ordnung sind in der Szene an der Tagesordnung, insbesondere Messengerdienste und soziale Netzwerke spielen hierbei eine besondere Rolle. 

Dass die "Querdenken"-Bewegung sich mit dem möglichen Ende der Coronavirus-Pandemie ebenfalls am Ende sein wird, glaubt Verfassungsschutz-Präsident Haldenwang nicht. "Denn das extremistische Personenpotenzial in diesem neuen Phänomenbereich ist thematisch flexibel und wird sich nach der Corona-Pandemie neuen anschlussfähigen Themen zuwenden." Als Beispiel nannte er die Klimapolitik der Bundesregierung, die zu neuen Protesten dieser Szene führen könnte.

Weitere Erkenntnisse aus dem Verfassungsschutzbericht 2021, unter anderem zum Links- und Rechtsextremismus, lesen Sie hier.

Quellen: Bundesamt für Verfassungsschutz, Bundesministerium des Innern und für Heimat, Nachrichtenagenturen DPA und AFP

wue

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel