Vertrauensfrage Nicht alle Grünen geloben Enthaltsamkeit

Damit es im Herbst wie gewünscht zu Neuwahlen kommt, muss der Bundeskanzler das Vertrauen seiner Partei verlieren. Dazu sollen sich auch die Abgeordneten ihrer Stimme enthalten. Die Grünen sehen das Vorgehen noch skeptisch.

SPD-Partei- und Fraktionschef Franz Müntefering will den SPD-Abgeordneten empfehlen, sich am Freitag im Bundestag bei der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers zu enthalten. In der Fraktionssitzung am Dienstag in Berlin wolle er diesen Vorschlag für die Abstimmung im Parlament unterbreiten, sagte Müntefering. Der Fraktionsvorstand hatte dem geplanten Verfahren zuvor mit großer Mehrheit zugestimmt.

Die Abstimmung am Freitag wird voraussichtlich namentlich erfolgen. SPD und Grüne verfügen über 304 von 601 Sitzen im Bundestag. Schon vier Enthaltungen oder Nein-Stimmen aus der Koalition würden reichen, um den Vertrauensbeweis scheitern zu lassen und eine Neuwahl auf den Weg zu bringen.

Allerdings könnte Bundespräsident Horst Köhler das Vorhaben wegen verfassungsrechtlicher Bedenken noch stoppen. Das letzte Wort hat voraussichtlich das Bundesverfassungsgericht. Kleinere Parteien haben bereits Klagen angekündigt, auch einzelne Abgeordnete werden möglicherweise nach Karlsruhe ziehen.

Bisher galt eine Enthaltung der neun Minister mit Bundestagsmandat als wahrscheinlichste Strategie bei der Vertrauensabstimmung. Der stellvertretende Fraktionschef Gernot Erler sagte, wenn sich etwa mehr als 200 SPD-Abgeordnete der Stimme enthielten, dann sei dies "überzeugender und leichter für den Bundespräsidenten, aber auch für das Bundesverfassungsgericht". Damit werde deutlich, "da ist kein Trick dabei, die sind tatsächlich nicht bereit, dem Kanzler das Vertrauen auszusprechen", so Erler im ARD-Morgenmagazin.

Die Grünen-Bundestagsfraktion hat sich noch nicht auf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten bei der Vertrauensfrage von Schröder verständigt. Bei einem Frühstück der Fraktionsspitzen von SPD und Grünen am Dienstagmorgen war das Verfahren bei der Abstimmung am Freitag Thema.

Auch Grünen-Chefin Claudia Roth schloss eine Enthaltung ihrer Fraktion nicht aus. Die Grünen würden alles tun, damit es zu einer Neuwahl komme, sagte Roth. "Die Enthaltung ist eine Option, aber bei uns ist guter grüner Usus, dass das zuerst einmal in der Fraktion diskutiert wird, und dann wird entschieden."

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Krista Sager sagte der Nachrichtenagentur DPA: "Wir haben uns noch nicht festgelegt und werden das in Ruhe besprechen." Sager hatte zuvor gesagt, sie persönlich werde dem Kanzler am Freitag sicher das Vertrauen aussprechen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Vertrauensfrage durchaus mit Ja oder Nein zu beantworten

Die Vize-Fraktionsvorsitzende Thea Dückert nannte diesen Plan im Deutschlandradio Kultur "sehr befremdlich". Die Vertrauensfrage sei eine Frage, "die man durchaus mit Ja oder Nein beantworten kann".

Der Grünen-Abgeordnete Werner Schulz bekräftigte seine Kritik an dem Vorgehen Schröders. Es dürfe nicht hingenommen werden, "dass die Politik oder einzelne Politiker sich das Grundgesetz hinbiegen, wie es ihnen gerade passt", sagte er der Chemnitzer "Freien Presse". Wenn der Kanzler den Weg für eine Neuwahl frei machen wolle, "dann bleibt als rechtlich nicht zu beanstandende Form der Rücktritt". Schulz hatte bereits zuvor erklärt, dass er sich eine Klage in Karlsruhe vorbehalte.

Nach Einschätzung des Parlamentarischen Geschäftsführers der Unionsfraktion, Norbert Röttgen, ist die Vertrauensfrage nicht fingiert. Es gebe ein "täglich wahrnehmbares Bild der Auflösung der Koalition", sagte er. Die Unionsfraktion werde Schröder nicht das Vertrauen aussprechen. Auch FDP-Generalsekretär Dirk Niebel hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Bundespräsident werde bei seiner Entscheidung die Stimmung in der Bevölkerung für einen Wechsel berücksichtigen, sagte Niebel der "Freien Presse".

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