Der Visa-Untersuchungsausschuss hat in der Nacht zum Freitag seine rund 17-stündige Marathonsitzung beendet. Als letzter Zeuge sagte der Ex-Büroleiter von Außenminister Joschka Fischer, Martin Kobler, aus. Nach dessen Worten spielte die Visa-Politik 1999 und 2000 auf Grund internationaler Großereignisse eine eher untergeordnete Rolle. Zuvor waren Ex-Staatsminister Ludger Volmer und der frühere Außenstaatssekretär Gunter Pleuger vor laufenden Kameras vernommen worden.
Kobler verwies auf den enormen Arbeitsaufwand im Auswärtigen Amt unter anderem durch den Kosovo-Krieg, das Hochwasser in Mosambik und die Entführung des Ehepaars Wallert in Südostasien. Zudem habe Deutschland im ersten Halbjahr 1999 die Präsidentschaft bei EU und G8 übernommen, sagte der heutige Botschafter in Kairo. Mit Blick auf den so genannten Volmer-Erlass ("Im Zweifel für die Reisefreiheit") vom März 2000 sagte Kobler, es sei darum gegangen, die vorherige restriktive Auslegung des Visa-Verfahrens zu ändern.
Die frühere Büroleiterin Volmers, Martina Nibbeling-Wrießnig, betonte, die Formulierung "Im Zweifel für die Reisefreiheit" sei eher ein Nebensatz gewesen. Hauptanliegen der Weisung sei eine stärkere Berücksichtigung von Artikel 6 des Grundgesetzes gewesen, der den Familienschutz und die Verhältnismäßigkeit festschreibe. Durch den Erlass von März 2000 sollten humanitäre Härten vermieden werden. Unklar blieb, wer der Urheber der Formulierung "in dubio pro libertate" ist.
Immer eine Ermessensfrage
Nach Worten Pleugers sollte der "Volmer-Erlass" nicht zu Änderung des Ausländerrechts führen. Ziel sei gewesen, das Visumverfahren "bürgerfreundlicher, moderner und transparenter" zu gestalten. Der Kernsatz, "Im Zweifel für die Reisefreiheit", habe sich nur auf die Prüfung der Rückkehrbereitschaft des Antragstellers bezogen. Dies sei immer eine Ermessensfrage, "weil man den Leuten nicht ins Hirn schauen kann". Pleuger war von Oktober 1999 bis Ende 2002 AA- Staatssekretär.
Volmer übernahm in seiner mehr als zehnstündigen Vernehmung Mitverantwortung für den von ihm initiierten und von Fischer abgezeichneten Erlass von März 2000, mit dem die Visa-Politik liberalisiert wurde. "Ich war einer der Initiatoren", sagte Volmer. "Ich habe ihn aber nicht geschrieben und nicht verfügt." Volmer hatte erklärt, er halte die Lockerung der Einreisebestimmungen vor fünf Jahren "auch im Nachhinein" für richtig. "Dieser Erlass war nicht ursächlich für die Schleuserkriminalität", sagte er. Er vermied dabei jede Schuldzuweisung gegen Fischer. Der Außenminister wird dem Visa-Ausschuss am kommenden Montag vor laufenden Kameras Rede und Antwort stehen.
Nach dem früheren Staatsminister Ludger Volmer hat auch UN-Botschafter Gunter Pleuger die Visa-Reform vom März 2000 verteidigt. Mit dem damaligen Erlass wollte man das Einreiseverfahren bürgerfreundlicher, moderner, effizienter und transparenter machen, sagte der damalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt am Donnerstagabend im Untersuchungsausschuss des Bundestags. Mit den späteren Missbrauchsfällen habe damals niemand gerechnet.
Volmer und Pleugen erklärten, dass zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Innenministerium Konsens über den Erlass hergestellt worden sei. Innenminister Otto Schily habe Fischer zwar zunächst "einen wütenden Brief" geschrieben, in dem er bemängelt habe, dass sein Haus mit der Sache nicht befasst worden sei, sagte Pleuger. In Gesprächen auf Minister- und Staatssekretärsebene sei das aber geklärt worden. Der UN-Botschafter betonte, dass es eine gute Zusammenarbeit zwischen den Ministerien gegeben habe und das Verhältnis zwischen den Ministern "rau aber herzlich" gewesen sei.
Volmer und Pleuger sagten als erste Zeugen vor TV-Kameras aus. Am Montag soll auch die Vernehmung Fischers im Fernsehen übertragen werden. Die Anhörung Volmers dauerte mehr als zehn Stunden, Pleuger wurde rund drei Stunden vernommen.
Ein guter Tag für den Untersuchungsausschuss
Der Grünen-Obmann Jerzy Montag sprach nach den Anhörungen von einem guten Tag für den Untersuchungsausschuss und die rot-grüne Bundesregierung, "weil die Wahrheit ans Tageslicht gekommen ist". Beide Zeugen hätten dargestellt, dass die Erlasse des Auswärtigen Amts weder gegen deutsches noch gegen europäisches Recht verstoßen hätten und die Schleusungsfälle damit nichts zu tun gehabt hätten. Montag wertete auch die Fernsehübertragung als Erfolg. „Diese neue Übung hat die Bewährungsprobe bestanden und kann auch in Zukunft mit großem Erfolg angewendet werden.“
Auch SPD-Obmann Olaf Scholz hatte sich zuvor mit der Anhörung Volmers zufrieden gezeigt. Sie habe gezeigt, dass sich "die großen Erwartungen an dramatische Enthüllungen nicht bewahrheiten". CDU/CSU-Obmann Eckart von Klaeden sagte dagegen, Volmer sei nicht in der Lage gewesen, die Folgen des Erlasses aus dem Jahr 2000 zu beurteilen. Die politische Verantwortung für Missstände bei der Visa-Erteilung liege aber bei Fischer, da Volmer in den Monaten vor der Weisung krankheitsbedingt nicht im Dienst gewesen sei.