Visa-Affäre Fischer hat an Rücktritt gedacht

In einem Zeitungsinterview hat Außenminister Joschka Fischer zugegeben, an Rücktritt gedacht zu haben. Er sei aber zum Weitermachen entschlossen. Erneut stellte sich Fischer vor die Mitarbeiter seiner Visa-Abteilungen.

Außenminister Joschka Fischer hat indirekt eingeräumt, dass seine Versäumnisse in der Visa-Affäre Rücktrittsforderungen rechtfertigen. Andere Minister seien bereits wegen weniger zurück getreten, sagte der Grünen-Politiker in einem am Freitag vorab verbreiteten Interview der "Frankfurter Rundschau". Er habe diese Frage jedoch mit sich und anderen abgewogen und sei zu dem Schluss gekommen: "Ich mache weiter." Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) warf Fischer vor, er habe den Visa-Missbrauch "tatkräftig gefördert". Beckstein bezog sich dabei auf einen Zeitungsbericht, wonach das Auswärtige Amt im Januar 2003 unter anderen den Botschaften in Moskau und Kiew direkte Kooperation mit Bundesgrenzschutz und Bundeskriminalamt untersagt habe.

Ministerium verweigerte Botschaften Zugriff auf Visa-Dateien

Das Auswärtige Amt wies den Bericht der Zeitung "Die Welt" zurück. Die enge Kooperation mit den Innenbehörden sei ausdrücklich erwünscht. Datenschutzbestimmungen müssten aber eingehalten werden. Das Ministerium hatte nach einem Schriftwechsel im Januar 2003 mehrere Botschaften angewiesen, Beamten von BGS und BKA aus Datenschutzgründen keinen automatischen Zugriff auf ihre Visa-Dateien zu erlauben und bestimmte Anfragen nur über das Ministerium zu beantworten. Die Moskauer Botschaft warnte daraufhin, dies würde "de facto zu einer Lähmung (...) bei allen Bemühungen führen", wirksam gegen illegale Einreise und Schleusertätigkeit vorzugehen.

Fischer sagte auf die Frage, ob es richtig sei, dass Minister schon wegen weniger zurück getreten seien: "Ja, dem würde ich zustimmen." Aber andere seien auch schon mit größeren Versäumnissen im Amt geblieben. Dies sei eine Abwägungsfrage. "Die habe ich mir selbst und einigen anderen vorgelegt und dann meine Entscheidung getroffen", sagte Fischer.

"Probleme in den Griff bekommen"

Er wiederholte, dass er mit Blick auf die Situation an der Botschaft in Kiew in den Jahren 2000 bis 2002 nicht umfassend, entschlossen und schnell genug gehandelt habe. "Wir haben aber dann (...) reagiert und das Problem Schritt für Schritt bis Anfang 2003 in den Griff bekommen." Der Minister ließ offen, wann er vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages aussagen wird. "Sobald es auf der Basis der Beweiserhebung des Ausschusses möglich ist", sagte Fischer dazu.

Die Union wirft dem Außenminister vor, durch die Visa-Politik einen massenhaften Missbrauch von deutschen Einreise-Visa ermöglicht zu haben. Er habe damit ein Einfallstor für Schleuser, Schwarzarbeit und Zwangsprostitution geschaffen.

Kritik von der Opposition

Beckstein erklärte, der Schriftwechsel vom Januar 2003 zeige, dass vom Auswärtigen Amtes heraus systematisch die Aktivitäten von Bundeskriminalamt und Grenzschutzbehörden behindert und der massenhafte Visa-Missbrauch gefördert worden seien. "Mein Vorwurf an Außenminister Joschka Fischer lautet jetzt nicht mehr nur im Kampf gegen kriminelle Visa-Schiebereien versagt zu haben, sondern diese tatkräftig gefördert zu haben." Der FDP-Obmann im Visa-Untersuchungsausschuss, Hellmut Königshaus, sprach von einem "Maulkorb-Erlass", der schon 2001 gegriffen habe.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Die Zeitung "Die Welt" berief sich auf interne Weisungen und Schriftwechsel des Amtes vom Januar 2003, deren Existenz vom Auswärtigen Amt nicht bestritten wurde. In dem Schriftwechsel waren mehrere Botschaften, unter anderem in Moskau und Kiew, angewiesen worden, keine so genannten Einladerdateien zu führen. Der Datenschutz lasse dies nicht zu. In einer solchen Datei wären Vieleinlader aufgefallen, die möglicherweise bei der Visa-Erschleichung halfen.

Es sei einhellige Rechtsauffassung, dass es bisher für Einladerdateien keine Rechtsgrundlage gegeben habe, sagte der Ministeriumssprecher. Diese sei erst mit dem Zuwanderungsgesetz Anfang 2005 geschaffen worden. "Einladerdateien werden heute an allen Auslandsvertretungen geführt", sagte der Sprecher weiter.

In einer Weisung des Auswärtigen Amts vom 24. Januar 2003 werden die Botschaften zudem aufgefordert, Anfragen deutscher Polizei- und Grenzschutzbehörden zu Visum-Antragstellern oder Einladern nicht selbst zu beantworten, sondern an das Auswärtige Amt zu richten. Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) und des Bundesgrenzschutzes (BGS) vor Ort hätten zudem nicht automatisch Zugriff auf die allgemeine Visa-Datei, sondern auf Grund von Datenschutzbestimmungen nur bei Ersuchen in jedem Einzelfall.

Fischer stellt sich vor seine Mitarbeiter

Nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" stellte sich Außenminister Joschka Fischer auch innerhalb seines Hauses klar vor die Mitarbeiter der von der Visa-Affäre betroffenen Abteilungen. In einem Brief habe er erneut die Verantwortung für frühere Fehler bei der Visavergabe übernommen.

Die "FAZ" zitiert aus einem ihr vorliegenden Brief des zuständigen Staatssekretärs Jürgen Chrobog "an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" des Amtes. Unter Bezug auf Fischers Auftreten bei einer Mitarbeiterversammlung der Rechtsabteilung schreibe Chrobog, der Minister habe dort "in unmissverständlicher Form" klargestellt, "dass er für alle in seiner Amtszeit getroffenen Entscheidungen die Verantwortung trägt und alle Fehler, die in dieser Zeit passiert sind, als seine eigenen Fehler betrachtet".

Reuters/DPA