Visapflicht Deutschland macht dicht

Wo sind eigentlich die 23 "Handballer" aus Sri Lanka, die nach Schwaben einreisten und spurlos verschwanden? Wegen zahlreicher Missstände bei der Visa-Vergabe greift das Auswärtige Amt jetzt durch.

Tirana, Kiew, Algier, Colombo - das sind nur wenige der 194 Städte, in denen deutsche Konsulate jährlich rund drei Millionen Reisevisa bearbeiten. In jüngster Zeit wurden allerdings zahlreiche Missstände bei der Visa-Vergabe bekannt. Innenminister Otto Schily (SPD) reagierte verärgert und beklagte sich bei Außenminister Joschka Fischer (Grüne). Jetzt greift das Auswärtige Amt durch. Staatssekretär Jürgen Chrobog, Fischers Mann für schwierige Fälle, will in Kürze einen neuen Erlass mit strengeren Einreiseregeln herausgeben. "Wir sind ein offenes Land und werden es auch bleiben", sagt Chrobog. "Aber wir geben kein Visum, wenn Missbrauchgefahr besteht."

Ermittlungen gegen Botschaftsangehörige

Auch personelle Konsequenzen wurden bereits gezogen. In Tirana wird gegen zwei Botschaftsangehörige ermittelt. Sie stehen im Verdacht, gegen Schmiergeld Visa ausgestellt zu haben. 350 Langzeitvisa hat das Auswärtige Amt inzwischen annulliert. Ein Inspektionsteam reiste eigens nach Albanien, um die Vorfälle an der Botschaft zu untersuchen. In Kiew flog im Zusammenhang mit einem Schleuserprozess in Köln Missbrauch mit dubiosen Reiseschutzpässen auf, der zu einem massenhaften Anstieg der Visa-Anträge von 2000 bis 2002 führte. Auch hier ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Besonders ärgert sich Schily über Fälle, in denen mutmaßliche Islamisten die Einreise gelingt. In der deutschen Botschaft Algier erhielt ein unter Terrorverdacht stehender Algerier ein Visum zur Familienzusammenführung und reiste nach Deutschland ein. Er hat das Land aber inzwischen wieder verlassen.

Und wo sind überhaupt die 23 "Handballer" aus Sri Lanka, die als angebliche Nationalmannschaft kürzlich nach Schwaben einreisten und spurlos verschwanden? Auf einem Abschiedszettel verwiesen die "Auswahl-Sportler" auf die angespannte Lage in ihrer Heimat. Sie wollten nun nach Frankreich. Ihre Koffer ließen sie zurück.

Chrobog will die neuen Einreiseregeln nicht als Radikalkur sehen. Vielmehr hätten die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA den Ermessensspielraum bei der Visa-Vergabe eingeengt. Die Bestimmungen seien seitdem laufend angepasst worden. Doch erst nach den massiven Vorwürfen der Richter im Kölner Schleuserprozess im Frühjahr begann das Auswärtige Amt mit der Arbeit an einem komplett neuen Erlass. Dieser löst auch die liberaleren Bestimmungen des früheren Grünen-Staatsminister Ludger Volmer aus dem Jahr 2000 ab.

Chrobog reiste in problematische Städte wie Moskau und Kiew und machte sich ein Bild von der Arbeit der Visa-Stellen. "Unter einem Riesendruck", so der Staatssekretär, stünden besonders die zahlreichen Ortskräfte. Mafia, Verwandte, Bekannte rücken den heimischen Angestellten zu Leibe, die am Tor zur reichen Welt sitzen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Call-Center für Terminvergabe

Auf den Straßen vor den Konsulaten bilden sich oft lange Schlangen. Um das einträgliche Geschäft mit dem Platzverkauf zu durchkreuzen, hat das Konsulat in Moskau mittlerweile ein Call-Center für die Terminvergabe eingerichtet. Händler verkaufen gefälschte Reisedokumente. Dubiose Reise- oder Vermittlungsbüros bieten ihre Dienste an. In den Konsulaten prüfen Experten dann jedes Dokument. Um die Ortskräfte dem Druck zu entziehen, rotieren sie an den Antrags- und Abholschaltern.

Um Schleusern auf die Spur zu kommen, wird künftig auch eine "Einladerdatei" eingeführt. Damit kann ermittelt werden, welche Personen oder Firmen systematisch und massenhaft Einladungen nach Deutschland ausstellen. Möglich macht dies das Zuwanderungsgesetz, das Anfang 2005 in Kraft tritt.

Damit den deutschen Konsularbeamten künftig keine Irrtümer mehr passieren wie bei den Visa für Sri Lankas "Elite-Handballer", bekommen sämtliche Konsularstellen Anfang des Jahres ein elektronisches Visa-Handbuch. Da können sie alle Regeln nachlesen.

DPA
Dorothea Hülsmeier/DPA