Herr Perthes, viele Menschen in Deutschland erhoffen sich durch den Wahlsieg Obamas einen Kurswechsel der US-Politik hin zu einer zivileren Außenpolitik. Eine berechtigte Hoffnung?
Die Bush-Administration hat eine Außenpolitik betrieben, bei der die USA viel an Freundschaft in anderen Ländern eingebüßt haben. Wohl jeder Nachfolger von Bush würde versuchen, diesen Verlust an Glaubwürdigkeit und Respekt gegenüber anderen Ländern wieder wettzumachen.
Barack Obama ist unter den beiden Kandidaten immer derjenige gewesen, der dieses Problem deutlicher angesprochen hat. Alleine dadurch, dass er als Afroamerikaner ein so ungewöhnlicher Kandidat gewesen ist, hat er automatisch in weiten Teilen der Welt einen großen Vertrauensvorschuss. Für viele Menschen, die in den vergangenen acht Jahren ihre Wertschätzung gegenüber den USA verloren haben, beweist er, dass die USA diese Selbstheilungskräfte besitzen.
Wie wird sich die US-Außenpolitik gegenüber Europa nun konkret verändern?
Obama wird Europa als Partner ernster nehmen, aber auch mehr verlangen. Obama steht für eine deutlich multilateralere Ausrichtung in der Außenpolitik. Nicht in dem Sinne, dass die USA jetzt nicht mehr Führungsmacht sein wollen. Auch nicht in dem Sinne, dass die USA sich zukünftig als gleichberechtigter Partner unter den 27 EU-Ländern einordnen werden. Die USA haben einfach ein strukturelles Gewicht, das jeder Präsident schätzen und nutzen wird. Aber Obama wird zuhören und Probleme im Dialog zu lösen versuchen. Er hat Berater, die Europa gut kennen. Außerdem hat er sehr deutlich gemacht, dass er ein großes Interesse an der Zusammenarbeit mit Europa hat. Das betrifft zum Beispiel Fragen des Klimaschutzes, die Europa eher wichtig und den USA eher unwichtig sind.
Volker Perthes...
...ist geschäftsführender Vorsitzender der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sowie Direktor des Deutschen Institutes für Internationale Politik.
Was bedeutet Obamas Wahlsieg für den Krieg in Afghanistan? Wird die Bundesregierung bald auf US-amerikanisches Drängen mehr Soldaten nach Afghanistan entsenden?
Das ist ein Faktor, der in der aktuellen Debatte deutlich hervorgehoben wird. Damit wird Deutschland sich tatsächlich auseinandersetzen müssen. Aber es ist nicht so, dass ein Präsident Obama sagen wird, er werde Deutschland nur noch dann ernst nehmen, wenn die Truppen in Afghanistan aufgestockt werden. Es wird vielmehr mit dem neuen Präsidenten eine große Chance geben, dass sich die Nato-Staaten und die anderen Partner in der Isaf-Mission zusammensetzen und offen ihre Ziele in Afghanistan diskutieren. Ob das dann ausschließlich eine Frage von mehr Soldaten, oder vielleicht auch von mehr Entwicklungshilfe und der Stärkung ziviler Strukturen vor Ort ist, wird sich zeigen. Erst wenn eine endgültige Strategie feststeht, wird man tatsächlich sehen, wie viele Soldaten zukünftig in Afghanistan eingesetzt werden.
Wovon gehen Sie aus?
Ich gehe davon aus, dass wir eine sehr gute Chance haben, unsere europäische Sicht der Dinge in die Diskussionen einzubringen. Mit Militär alleine werden wir den Krieg in Afghanistan nicht gewinnen können. Allerdings brauchen wir das Militär zum Schutz ziviler Aufbauprojekte. Die Bereitschaft, mehr Truppen zu entsenden, hat allerdings Grenzen. Auch Obama wird verstehen, dass Deutschland ein demokratischer Staat ist und hier im nächsten Jahr Bundestagswahlen anstehen. Mehr Soldaten nach Afghanistan zu entsenden dürfte vor diesem Hintergrund schwierig werden.

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Das OEF-Mandat ist also hinfällig, stattdessen eine weitere Stärkung der ISAF-Truppen?
Darauf kann es hinauslaufen. Allerdings wird vorher ein großer transatlantischer Ratschlag notwendig sein. Wichtig wird hier sein, dass nicht die USA alleine sagen, was sie von Europa wollen. Sondern wir Europäer müssen sagen, was wir uns vorstellen können und was nicht. Wir wissen, dass wir Afghanistan nicht stabilisieren können, wenn nicht gleichzeitig auch Pakistan stabiler wird. Durch eine weitere Militarisierung der pakistanischen Gebiete werden die Probleme vor Ort nicht zu lösen sein.
Sie haben in der Vergangenheit immer wieder einen globalen Marshall-Plan ins Gespräch gebracht. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Es ist bekannt, dass die Taliban so viele Kämpfer rekrutieren können, weil die Bevölkerung einfach zu arm ist und es keine ordentlich funktionierende Wirtschaft in diesen Regionen gibt. Also wird man versuchen müssen, die Infrastruktur soweit auszubauen, dass Paschtunen in Afghanistan und Pakistan miteinander Handel treiben können. Es muss darum gehen, dass zukünftig nicht nur die Handelsrouten für diejenigen offen sind, die Waffen oder Opium über die Grenze schaffen wollen.
Wie wird der neue Präsident den wirtschaftspolitischen Problemen begegnen, die die Finanzkrise ausgelöst hat?
Obama hat in der Frage gezeigt, dass er politikfähig ist. Er hat sich auf das staatliche Rettungspaket eingelassen. Ich denke, dass die Europäer sehr genau auf den zukünftigen US-amerikanischen Kurs schauen werden. Sollte Obama zu protektionistischen Maßnahmen greifen, um die US-Realwirtschaft zu schützen, wäre das in Europa durchaus Anlass zur Sorge. Da gibt es auch ein gewisses Unruhepotential bei denjenigen in Europa, die eigentlich den Wahlsieg von Obama sehr begrüßen.
Handeln nicht alle großen Länder in Krisensituationen protektionistisch?
Sie neigen auf jeden Fall dazu. Die EU ist von ihrer Struktur her sicherlich am ehesten am Freihandel interessiert. Die Marktöffnung ist schließlich das wichtigste strategische Anliegen der europäischen Union. Allerdings fördert Protektionismus in einem großen Land ähnliche Maßnahmen in anderen großen Ländern. Ich glaube aber insgesamt, dass es für Deutschland und Europa zukünftig wesentlich leichter werden wird, mit den USA zusammenzuarbeiten. Wir sollten aber dennoch keine Wunder erwarten.
Was bedeutet Obamas Wahlsieg für das Zusammenleben von Schwarzen und Weißen in den USA?
Man sollte das nicht generalisieren. Die Afro-Amerikaner sind ja keine einheitlich agierende Gruppe. Auf jeden Fall beweist es denjenigen, die bisher daran gezweifelt haben, dass sie vollwertige Bürger der USA sind, dass sie tatsächlich dieselben Möglichkeiten wie weiße US-Amerikaner haben, alle gesellschaftlichen Positionen zu erreichen. Obama hat immer deutlich gemacht, dass er Bildung als das wichtigste Ziel ansieht. Die Afro-Amerikaner in den USA müssen ihre Belange in die eigene Hand nehmen. "Affirmative Action", also besondere Maßnahmen, die darauf abzielen, Afro-Amerikaner entsprechend ihrer Anzahl an der Gesamtbevölkerung in wichtige Ämter zu bringen, sind von Obama wohl nicht zu erwarten. Er ermutigt stattdessen Eigeninitiative gerade bei den Afro-Amerikanern und steht dafür auch selbst als Beispiel.
Spekulieren Sie doch mal: Wann wird der erste Politiker mit Migrationshintergrund in Deutschland Kanzler?
In Deutschland müssen wir die demographische Entwicklung abwarten. Ich sehe das in erster Linie als eine Frage zukünftiger Generationen. Wenn die hessischen Sozialdemokraten sich anders verhalten hätten, hätten wir demnächst mit Tarek Al-Wazir wohl einen Landesminister mit Migrationshintergrund gehabt. Ich erkenne aber bei allen Parteien den Willen, mehr Menschen mit Migrationshintergrund in die Politik zu holen. Es dürfte für viele Menschen mit einem muslimischen Hintergrund wohl schwierig sein, einer Partei beizutreten, die im Parteinamen auf ihre christliche Orientierung hinweist - gleichzeitig sind aber viele muslimische Migranten eher konservativ eingestellt. Insofern gibt es hier ein Wählerpotential für alle Parteien des Bundestages.