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Wahl von AfD-Mann "Keine Enthaltung bei Faschisten!" Grüne-Fraktion rechtfertigt sich – Parteijugend läuft Sturm

Uli Sckerl, Abgeordneter im Landtag von Baden-Württemberg und Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen
Uli Sckerl, Abgeordneter im Landtag von Baden-Württemberg und Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen
© Marijan Murat/ / Picture Alliance
Nach der Wahl eines AfD-Abgeordneten in den Verfassungsgerichtshof in Baden-Württemberg bleibt die Empörung groß. Vor allem die Landtagsfraktion der Grünen wird angezählt – auch vom eigenen Nachwuchs.

Die einen sagen so, die anderen so. Cem Özdemir sagt: "Bei Kandidat*innen der AfD sagt man 'Nein'. Immer." Nicht nur der frühere Co-Parteichef der Grünen zeigte sich erstaunt über die Vorgänge in seinem Bundesland: Am Mittwoch wurde Bert Matthias Gärtner, Mitglied der AfD-Fraktion, vom Landtag in den Verfassungsgerichtshof von Baden-Württemberg gewählt. Die Mehrheit der Abgeordneten hatte sich enthalten, allerdings stimmten auch Politiker außerhalb der AfD für deren Kandidaten (der stern berichtete).

Seitdem ist die Aufregung groß, das Abstimmungsverhalten wird parteiübergreifend verurteilt. Besonders aus der SPD kommt scharfe Kritik: "Aus dem Parlament zu flüchten oder sich zu enthalten, ist schwach und feige", sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Nach eigenen Angaben habe die Fraktion "geschlossen gegen Rechts" gestanden

Auch die Fraktion der Grünen betonte: "Für uns Grüne im Landtag gilt: Klarer Kurs gegen rechts!", wie es in einer Pressemitteilung von Donnerstag heißt. Ausgerechnet die eigene Parteijugend hegt daran nun Zweifel. Denn nicht alle Abgeordneten stimmten explizit gegen den AfD-Kandidaten. "Es gab aus unseren Reihen ausschließlich Nein-Stimmen und Enthaltungen", so der Parlamentarische Geschäftsführer Uli Sckerl in der Pressemitteilung.

"Keine Enthaltung bei Faschisten! Die Abstimmung im Landtag zur Wahl eines AfD-Kandidaten in den BW Verfassungsgerichtshof hätte so nicht ablaufen dürfen", teilten die Sprecher der Grüne Jugend in Baden-Württemberg mit. "Wir verurteilen die Entscheidung, sich bei Mitgliedern der AfD zu enthalten und erwarten eine konsequente und aufrichtige Haltung gegen Rechts." Man dürfe sich niemals an die Präsenz der verfassungsfeindlichen AfD in Gremien gewöhnen.

"Erklärung der Grünen-Fraktion sorgt für scharfe Kritik

Doch auch die Begründung für ihr Abstimmungsverhalten bringt der Grünen-Fraktion massenhaft Kritik ein. Demnach habe man eine "Nominierungsdauerschleife" verhindern wollen, die der AfD-Fraktion "eine Plattform geboten" hätte. In der Pressemitteilung heißt es: "Hätte die Mehrheit der Abgeordneten den AfD-Kandidaten Bert Matthias Gärtner abgelehnt, hätte die AfD-Fraktion in jeder Sitzung eine neue Kandidatin oder einen neuen Kandidaten nominieren und das Parlament in Wahlgänge zwingen können", so der Parlamentarische Geschäftsführer Sckerl. "Eine Nominierungsdauerschleife wäre die Folge gewesen – und diese hätte jedes Mal aufs Neue der AfD-Fraktion eine Plattform geboten und Ressourcen gebunden." 

"Eine klare Kante gegen Rechts sieht anders aus", kommentierte die Partei Volt die Begründung auf Twitter. Die SPD-Fraktion in Baden-Württemberg teilt diese Meinung und behauptet: "Grün-Schwarz macht die Plattform erst möglich." In Baden-Württemberg regiert eine Grün-Schwarze Regierung unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann. "Sich enthalten ist kein distanzieren", kommentierte ein Twitter-Nutzer. Andere warfen der Grünen-Fraktion Bequemlichkeit vor.

Die Grünen-Fraktion zeigte am Freitag Verständnis für die scharfe Kritik an ihrem Verhalten. "Wir erkennen an, dass die Wahl des AfD-Mannes zum stellvertretenden Laienrichter vielfach Fragen aufgeworfen hat", sagte der Parlamentarischer Geschäftsführer Sckerl am Freitag in Stuttgart. Er verwies in seiner Stellungnahme aber eher auf andere Fraktionen: "Unverständlich sind die 20 Ja-Stimmen, die letztlich den Ausschlag gegeben haben." Das müsse man gemeinsam mit CDU, SPD und FDP aufarbeiten.

Landtag wählt AfD-Kandidat in Verfassungsgericht

Der AfD-Kandidat Bert Matthias Gärtner war am Mittwoch im Landtag im dritten Wahlgang zum stellvertretenden Mitglied des Verfassungsgerichts ohne Befähigung zum Richteramt gewählt worden. Gärtner erhielt 37 Ja-Stimmen, 77 Abgeordnete enthielten sich, 32 stimmten mit Nein. Die AfD-Fraktion besteht allerdings nur aus 17 Abgeordneten – Gärtner ist also durch zahlreiche Enthaltungen und auch "Ja"-Stimmen anderer Parteien ins Amt gewählt worden. Anfang Juli war er in zwei Wahlgängen noch klar durchgefallen.

Der Gerichtshof besteht aus neun Richtern – drei Berufsrichter, drei Richter mit Befähigung zum Richteramt und drei Personen, die diese Befähigung nicht haben. Der Landtag wählt die Mitglieder und ihre Stellvertreter für neun Jahre. Das Gericht entscheidet unter anderem über die Auslegung der Landesverfassung, über Anfechtungen von Wahlprüfungsentscheidungen und Volksabstimmungen und über Streitigkeiten bei Volksbegehren.

fs

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