Noch kein Jahr ist es her, dass Karl-Theodor zu Guttenberg vor die Öffentlichkeit trat, um sich zu Plagiatsvorwürfen zu äußern. Ein Ereignis, das durch die TV-Selbstkasteiung des Bundespräsidenten ins Gedächtnis zurückgerufen wird. In der Selbstdarstellung und dem Auftreten in der Öffentlichkeit gibt es frappierende Ähnlichkeiten zwischen Christian Wulff und dem ehemaligen Bundesverteidigungsminister.
"Wulff ist spätestens jetzt oberster Anwärter auf die goldene Guttenberg-Medaille für fortgeschrittene Uneinsichtigkeit", ätzte der Journalist Mario Sixtus auf Twitter, und er ist nur einer von vielen, die über den Kurznachrichtendienst Parallelen zwischen #wulff und #ktg zogen. Auch der Tübinger Rhetorikprofessor Joachim Knape vergleicht die Taktik der beiden: "Ein oder zwei Fehler werden eingeräumt, aber auf der Stufe eines kleinen moralischen Versagens herabgestuft." Unrechtsbewusstsein habe keiner gezeigt. Und es gibt noch mehr Gemeinsamkeiten.
Wir sind auch nur Menschen
Sowohl zu Guttenberg als auch Wulff menschelten gehörig. Schon legendär der Satz des Freiherrn, mit dem er Mitte Februar 2011 öffentlich zugab, in seiner Dissertation einiges falsch gemacht zu haben: "Sie ist über sieben Jahre neben meiner Berufs- und Abgeordnetentätigkeit als junger Familienvater in mühevollster Kleinarbeit entstanden, und sie enthält fraglos Fehler." Ein Satz, der eher nebenbei ein Eingeständnis von Fehlbarkeit ist, vor allem aber aussagt: Ich habe mehrere Jobs und Kleinkinder zu Hause und versuche außerdem, meine Karriere voranzutreiben. Ich verdiene Respekt!
Eine ähnliche Funktion hat Wulffs Schilderung, wie es zu dem Anruf beim "Bild"-Chefredakteur gekommen ist: "Vielleicht muss man die Situation auch menschlich verstehen", sagte der Bundespräsident im TV-Interview. "Vier Länder in fünf Tagen, zehn Termine am Tag" - da können die Nerven schon einmal blank liegen und falsche Entscheidungen getroffen werden, oder? Das kennt schließlich jeder.
Wulff sagte im TV: Er sei zwar Bundespräsident, "aber trotzdem ist man Mensch, und man macht Fehler". Ein Satz, der so ähnlich auch von Guttenberg zu hören gewesen war: "Ich bin selbst auch ein Mensch mit Fehlern und Schwächen, und deswegen stehe ich auch zu diesen Fehlern", sagte er in einer Rede vor der hessischen CDU wenige Tage nach seiner ersten Stellungnahme.
Unsere Familien haben es auch nicht leicht
Als Menschen, die sie sind, haben der Noch-Präsident und der Nicht-mehr-Verteidigungsminister auch Familien, um die sie sich sorgen - und die sie bei ihrer Verteidigung mit ins Feld führen. Informationen zu den Vorwürfen werden umkränzt, ja fast überdeckt mit Emotionen. Wulff erwähnt im TV-Interview am Rande - offenbar seine eigene - "schwierige Kindheit, schwierige Familie". Außerdem müsse man sich, "wenn man Vertrauensverlust erleidet, auch vor seine Familie stellen". Sätze, die die Zuhörer am Hirn vorbei im Herz treffen sollen. Guttenberg wiederum wurde nicht müde, die "Junger Familienvater"-Karte zu spielen. Natürlich habe er die Dissertation selbst geschrieben, seine Familie "konnte das in langen Nächten sehr nachfühlen", erzählte er bei seinem Auftritt vor der Hessen-CDU.
Das Gute im Schlechten suchen
Karl-Theodor zu Guttenberg und Christian Wulff inszenierten sich als Menschen, die unter besonders harten Bedingungen Fehler gemacht haben. Dumme Fehler sogar, aber immer mit besten Absichten. Beide zeigten sich reumütig, ohne auf ihr Amt verzichten zu wollen. Fehler macht schließlich jeder, und jeder – das ganze Land - kann aus ihnen lernen. Auch bei dieser Schlussfolgerung scheinen Wulff und Guttenberg Brüder im Geiste zu sein: Guttenberg antwortete im Bundestag auf die Frage, wie er im Schatten der Plagiatsaffäre seine Vorbildfunktion als Bundesminister erfüllen könne: "Ich setze mir den Anspruch, weiterhin als Vorbild - auch was das Eingestehen von und das Bekennen zu Fehlern anbelangt - wirken zu können." Wulff wiederum verbindet die Ankündigung, dass seine Anwälte alle fraglichen Unterlagen zu seinem Hauskauf im Internet veröffentlichen werden, mit einem Heilsverspechen: "Ich glaube nicht, dass es das oft in der Vergangenheit gegeben hat, und wenn es das in Zukunft immer gibt, wird es auch unsere Republik offenkundig auch zu mehr Transparenz positiv verändern." Das Versprechen lückenloser Aufklärung entpuppte sich übrigens zumindest bisher nur als eine sechsseitige Stellungnahme von Wulffs Anwälten.
Wir sind nur Menschen, wir machen Fehler und wir alle können aus der Krise lernen - verbale Tränendrüsendrücker, die man bis vor wenigen Jahren eigentlich nur aus dem Politik- und Promibetrieb der USA kannte. Ob der Bundespräsident Deutschlands mit dieser Verteidigungstaktik Erfolg haben wird? Bei Karl-Theodor zu Guttenberg hat sie nicht funktioniert. Und das ist kein Geheimnis, auch für Wulff nicht.