Zum Tod von Grünen-Politiker Sepp Daxenberger Er hat das Leben noch im Sterben gefeiert

Es ist eine Tragödie: Nur Tage nach seiner Frau ist der bayerische Politiker Sepp Daxenberger an Krebs gestorben. Dabei ging die Botschaft dieses tapferen Mannes weit über die Politik hinaus: Lebt!

Manchmal geraten Menschen in die Öffentlichkeit, die für etwas Großes stehen, für etwas Existenzielles, für ein Element des Lebens. Sie verkörpern, durch ihr Wirken oder ihr persönliches Schicksal, etwas, das andere berührt, erfasst, bewegt - und das für unser aller Leben von Belang ist.

Sepp Daxenberger war so einer. Sicher, Daxenberger war nur Bauer und Bürgermeister von Waging am See, nur Landespolitiker der Grünen in Bayern. Er war kein Mitglied in irgendeiner Regierung, keine Figur des Berliner Polit-Jet-Sets. Aber er war einer, der die Menschen anzog, der etwas Besonderes hatte - und vor allem war er einer, der durch seinen jahrelangen, öffentlich ausgetragenen Kampf gegen den Krebs im ganzen Land Aufmerksamkeit erzeugte, der durch die Art und Weise auffiel, wie er, trotz aller Widrigkeiten, das Leben bejahte. Mit Daxenberger ist in der Nacht auf Mittwoch ein großer Mutmacher gestorben. Mit 48. Das allein ist schon traurig. Dass seine Frau nur wenige Tage vor ihm ebenfalls an Krebs starb, macht alles nur noch tragischer. Die beiden hinterlassen drei Söhne zwischen zwölf und 20 Jahren.

Aber vielleicht kennen Sie Daxenberger ja gar nicht. Der Mann war wie ein Baum. 1,90 Meter groß, breite Schultern, entsprach voll und ganz dem Stereotypen des oberbayerischen Bauern, der er war. Er wuchs, geboren im April 1962, in Waging am See auf, einem kleinen Ort im letzten Zipfel Bayerns, in der Nähe von Salzburg, lernte Schmied, übernahm den elterlichen Bauernhof. So einer ging in Bayern seinerzeit eigentlich zur CSU. Immer. Daxenberger nicht. Der ging zu den Grünen, der Öko-Partei. Schon 1982.

Er war für die Grünen in Bayern ein politisches Pfund

Wie kein Zweiter verkörperte Daxenberger bei den Grünen das konservative Element, die tiefe Verwurzelung in einer ländlichen Bodenständigkeit, aus der heraus die Partei Teile ihres ökologischen Selbstbewusstseins entwickelte, aber auch die Verankerung im Glauben. Daxenberger war, was sonst in diesem Teil der Welt, Katholik. Diese Bodenständigkeit, das Bekenntnis zur Heimat wie zur Nachhaltigkeit, gekoppelt mit der direkten, mundartlichen Ansprache, kam an bei den Wählern in der Gemeinde Waging. Der Sepp, wie Daxenberger genannt wurde, war einer von ihnen. 1984 wurde er in den Gemeinderat gewählt.

Für die Grünen in Bayern war Daxenberger ein politisches Pfund, ein Star. Nah dran. Das hat ihn schnell weit gebracht, in den bayerischen Landtag nämlich, das Maximilianeum in München. Schon mit 28 Jahren saß er dort, hemdsärmlig, natürlich ohne Krawatte. Später war er jahrelang Landesvorsitzender der Partei. "Er war ein gestandenes bayerisches Mannsbild, ein praktizierender Landwirt. Bei ihm hat das Wort gezählt", sagt Thomas Zimmermann, CSU-Abgeordneter im bayerischen Landtag, eigentlich ein politischer Gegner.

Eine gewisse bundesweite Prominenz erlangte Daxenberger, als er als erster Grüner im erzkonservativen Bayern ein Bürgermeisteramt eroberte. Natürlich in Waging. Das war 1996. Da war er 34.

Ein Leben zwischen Politik und Klinik

Die Politik war zwar jener Teil seiner Biografie, der Daxenberger in die Öffentlichkeit brachte. Aber es war schnell, viel zu schnell nicht dieser Beruf, weshalb er in Erinnerung blieb, weshalb er hervorstach. Denn das war sein Kampf gegen den Krebs - und sein Umgang damit. Als er 2003 von seiner Krankheit erfuhr, machte er kein Geheimnis daraus - sondern, im Gegenteil, machte die Erkrankung, machte die Details der Therapie zum Thema. Er litt an der seltenen Krebsform Morbus Kahler, einer Mischung aus Blut- und Knochenkrebs. "Ich habe zwar starkes Fieber, bin aber auf dem Weg der Besserung", sagte er 2006 in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung". Ein typisches Daxenberger-Zitat war das: Wird schon. Es war, wie bei vielen schwer Erkrankten, ein jahreslanges Auf und Ab, ein Leben zwischen Bangen und Hoffen, ein Leben zwischen Klinik und Politik. Daxenberger gab nicht auf.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Eine besondere Tragik erfuhr die Krankheit Daxenbergers dann dadurch, dass im Januar 2009 bekannt wurde, dass der Krebs auch seine Frau Gertraud erwischt hatte. Der Hof, die drei Kinder. Es war zum Heulen. Im Frühsommer dieses Jahres folgte dann wohl die Erkenntnis, dass das Weitermachen schwer wird. Das sichtbarste Zeichen: Daxenbergers Rücktritt als Chef der Grünen-Fraktion im bayerischen Landtag.

"Ich will den Tagen viel Leben geben"

Kurze Zeit später, im Juli, gab Daxenberger dem "SZ-Magazin" eines seiner bemerkenswerten Interviews. Er beschrieb seine Krankheit, wieder einmal genau, die Folgen eines Schlaganfalls, den er erlitten hatte, die Schmerzen. "Mein Krebs frisst mir Löcher in die Knochen, monatelang war ich zwischen Leben und Tod", sagte er. Er beschrieb das Leben mit seiner kranken Frau, wie jeder die eigene Krankheit vor allem mit sich selbst ausmachte. Und er beschrieb sein Verständnis von Zeit. Es gehe darum, jedem Tag viel Leben zu geben, nicht dem Leben viele Tage.

Es sind nicht viele Tage geblieben. Am Sonntag starb Gertraud Daxenberger, mit 49 im Haus der Familie in Waging. Seit 1991 waren die beiden verheiratet gewesen. Sepp Daxenberger war es schon in den vergangenen Wochen sehr schlecht gegangen. Er habe sich dennoch von einem Krankenhaus in München nach Traunstein verlegen lassen, um in der Nähe seiner Frau zu sein, berichtet die "Abendzeitung" in München. An diesem Mittwoch sollte Gertrud Daxenberger beerdigt werden. Ihr Mann hat auch das nicht mehr erlebt. Am Tag der Beerdigung, in der Nacht zu Mittwoch, starb auch Daxenberger selbst, im Krankenhaus Traunstein.

Die bayerische Politik, aber nicht nur die, zeigte sich quer durch alle Lager schwer getroffen von der Nachricht. Wohl auch deshalb, weil Daxenberger für mehr stand als für die Politik: Er hat das Leben im Sterben gefeiert. Er war sicher nicht der einzige, der diese Tapferkeit beweist. Er war sicher auch nicht der einzige, der dem Tod mit Lebensmut begegnet. Aber er war einer der wenigen, die das öffentlich tun.

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