Auf der Mauer, auf der Lauer? ...Halt, Moment mal. Bevor wir das Kinderlied, das so prachtvoll zu unserem Thema passt, weiter ausspinnen, muss eines klargestellt sein: Nicht die Wanz, die im Original die Hauptrolle spielt, ist Gegenstand der politischen Analogie, sondern die Mauer und die Lauer und was sonst noch folgt. Also bitte: keine Missverständnisse! Nun weiter im Text: Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt der große T., auf der Mauer, auf der Lauer sitzt der große T., schaut euch nur den T. an, wie der T. tanzen kann, auf der Mauer, auf der Lauer, sitzt der große T.
Ja, und wie der lauert, und wie der tanzt, unser rätselhafter Held! Er möchte nämlich mit Macht was werden, besser gesagt: mehr werden, oder noch besser: das Äußerste werden, was er je werden könnte: Außenminister, sofern und sobald Joschka Fischer als Chefdiplomat gen Brüssel entfleucht. Und wer etwas werden will, der muss sich strebsam mühen. Vorbei also die Zeiten, in denen wir von unserem T. mal ein Vierteljahr so gut wie nichts gehört haben. Jetzt tanzt er täglich auf der Mauer, in vielen Rollen und possierlich anzuschauen. Nähern wir uns also Schritt für Schritt - und lösen das Rätsel.
Er tritt uns als Figaro entgegen
Auf der Mauer, auf der Lauer, sitzt der große Tr. Im ersten Aufzug tritt er uns als Figaro entgegen. Sie wissen schon: Figaro hier, Figaro da? Strampelnd hoch zu Rad bei der 13. Tour de Natur, in dünner Luft beim Wahlkampf auf der Zugspitze oder abgedunkelt beim Inspizieren eines Fledermausquartiers in einem Bunker, als Stargast beim Deutschen Filmpreis oder als väterlicher Freund aller Urlauber, der fürsorglich mahnt, nicht etwa Muscheln vom Strand oder Schmetterlinge hinter Glas einzuschleppen. Des Kanzlers Verzicht auf den Italienurlaub übrigens findet er ganz klasse. Und alles, alles muss publik werden; der heißeste Sommer seit Menschengedenken für Tr.s Pressestelle.
Auf der Mauer, auf der Lauer, sitzt der große Tri. Nun wird's schon politischer. Der Linke zeigt Flagge und Zähne. Überbringt beim Christopher-Street-Day der Lesben und Schwulen "die warmen Grüße der Bundesregierung", verteidigt mannhaft das Moratorium für das Atomendlager in Gorleben gegen den muckenden CDU-Premier Wulff und geißelt die Agenda 2010, weil die "eine Schieflage in der Verteilungsgerechtigkeit" hat.
Bloß, um sich gleich einmal um die eigene Achse zu drehen und - auf der Mauer, auf der Lauer sitzt der große Trit. - als Regierungsrealo eben jene Agenda zu preisen, weil es nun mal "keine Alternative" dazu gibt, und still die Fahne des Widerstands gegen das tschechische Horror-Atomei Temelin einzurollen.
Jetzt tanzt er täglich, in vielen Rollen und possierlich anzuschauen
Denn - auf der Mauer, auf der Lauer sitzt der große Tritt. -wer Fischer beerben möchte, der muss ihn auch als heimlichen Parteichef ersetzen. Also nagelt er tönend die rot-grüne Koalition in Düsseldorf zusammen, preist den zweistelligen Wahlerfolg der Grünen in Bremen, überschlägt sich geradezu in Lob für die Kabinettsklausur in Neuhardenberg und die dort verkündete vorgezogene Steuerreform ("sehr, sehr gutes Signal") und propagiert sogar die Verschuldungspläne der SPD.
Es geht um die Vizekanzlerschaft
Schließlich - auf der Mauer, auf der Lauer sitzt der große Tritti. - geht es auch um die Vizekanzlerschaft. Und das erfordert breitestes thematisches Engagement in allen Fragen der Regierungsfähigkeit: gegen übertriebene Sparprogramme ("Brüningsche Notmaßnahmen"), für die "Mehrheit links von der Mitte", gegen aufsässige EU-Kommissare.
Womit wir bei des Rätsels Lösung und der entscheidenden Frage angelangt wären. Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt der große Trittin! Aber ist er Kanzler-Kumpel genug, um wirklich ins Glück zu tanzen? Hat ihn Gerhard Schröder, der schon in Niedersachsen mit ihm regiert hat, nicht oft genug gewatscht, ihn ein "Sicherheitsrisiko" genannt und schräge "Umgangsformen" gerügt? Zwei Indizien könnten das nahe legen. Zum einen, wie rasant unser Tänzer, der höhere Dieselsteuern vorgeschlagen hatte, exakt dagegen zu Felde zog, kaum dass der Autokanzler ein Machtwort gesprochen hatte. Und zum anderen, wie schmerzlich Schröders Machtwort gegen Trittins Dosenpfand-Chaos vermisst wurde, obgleich Wolfgang Clement verzweifelt danach rief. Schont der Kanzler also seinen Außenminister in spe? Oder schnippt er ihn am Ende von der Mauer? Noch darf getanzt werden. Kanzlerwahl.