Zwischenruf Der grüne Capri-Fischer

Der Außenminister hat keineswegs die Veranwortung für die Visa-Affäre übernommen, er hat sie von sich geschoben. Selbstauflösung einer Ikone stern Nr. 08/2005.

Das hatte keine Klasse. Keine Fischer-Klasse. Keine Größe. Politisch ängstlich, taktisch fadenscheinig und menschlich bedenkenlos. Ganz so, wie der Durchschnittspolitiker nach den bösen Erwar- tungen des Publikums in Bedrängnis reagiert: pro forma Verantwortung übernehmen, um sie in Wahrheit weit von sich zu schieben. Er trage "die politische Verantwortung" für "mögliche Versäumnisse und Fehler" seiner Mitarbeiter, warf sich der lavierende Joschka Fischer in die Brust, als er sich nach wochenlang dröhnendem Schweigen endlich bequemte, seinen verhängnisvollen Visa-Erlass zu kommentieren. Seinen Erlass?

Ach, woher. "Volmer-Erlass" nannte er gleich fünfmal das Dekret vom 3. März 2000, über dem es heißt: "Bundesminister Fischer hat Weisung erteilt". Den Erlass, von dem der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt sagt, er habe ihn erst als Letzter in der Verantwortungskette zur Kenntnis vorgelegt bekommen. Den Erlass, den Fischer in der Kabinettssitzung vom 15. März 2000 im Beisein Gerhard Schröders gegen Einwände des Innenministers wie Bedenken des Kanzleramts verteidigt hatte und den ein unabhängiger Richter später einen "kalten Putsch" gegen das Gesetz nannte. Den Erlass, der erst vier Jahre später trotz erregter Demarchen der Sicherheitsbehörden und des diplomatischen Apparats wegen hunderttausendfachen kriminellen Missbrauchs revidiert wurde. Den Erlass, für den Fischer mit seiner Unterschrift und seinem Auftritt im Kabinett nicht nur politische, sondern persönliche Verantwortung trägt.

Politische Verantwortung für Skandale und Affären hieß früher, nach dem ungeschriebenen Ehrenkodex der Politik, nur eines: Rücktritt. In grauer Vorzeit, vor der Ära der Grünen. Heute wird daraus eine Brandmauer zur Abwehr persönlicher Verantwortung. Ein kalter Putsch gegen den Ehrenkodex. Hinter der Brandmauer steht die Schlachtbank für Sündenböcke, für einen wie Volmer, der - vom stern als dubioser Gschaftlhuber enttarnt - von der eigenen Partei politisch geschlachtet wurde. Fischer gab das Messer frei.

Zorn? Nein, Zorn flammte noch auf, als die Grünen begannen, die eigenen moralischen Standards zu schleifen. Heute sind sie ganz da, wo die anderen schon immer waren. Der Fahrstuhl der Macht endet im Keller der Moral. Deswegen zu zürnen hieße, Grün für die bessere Farbe zu halten. Wer tut das noch?

Melancholie. Traurigkeit ist die Stimmung der Stunde bei all jenen, die einen Sensus haben für die Selbstauflösung, das Zerfließen der einstmals solitären Figur Fischer. In der Zeit seiner Kraft, seines Drängens, seiner mitreißenden Selbstgewissheit hätte er sich in vergleichbarer Lage aufgebaut und gerufen: Ich war's, es ist mein Erlass, ich wollte Reisefreiheit, als der gespaltene Kontinent zusammenwuchs. Ich habe die Warnungen Otto Schilys in den Wind geschlagen, weil ich sie für das gehalten habe, was von Schily zu erwarten war: Sicherheitshysterie. Ich habe dennoch ein gutes Gewissen, denn mein Irrtum ist Ergebnis lauterer Absicht. Rücktritt? Ich kämpfe. Schaun mer mal. Ich bin offen dafür, wenn der Untersuchungsausschuss inakzeptable Fehler offenbart. Fehler, die ich persönlich wie politisch zu verantworten habe. Denn ich heiße nicht Helmut Kohl. Ich bin belehrbar. Diesen Unterschied möchte ich markieren. Auch vor der Geschichte.

Der anders gewordene Fischer, mit diplomatisch erschlafftem Denken und Reden, wird bemitleidenswert kenntlich

So aber stellt sich Schwermut ein. Fremdschämen beim Anblick eines Würdevollen, der sich würdelos hinter einem Unwürdigen duckt. Der die Opposition zur Rücktrittsforderung treibt, obgleich die selbst gar nicht daran dachte, ihn aus dem Amt zu treiben. Weil sie seine Aura höher schätzte als er selbst.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Fischer, der älter und anders gewordene Fischer, mit diplomatisch erschlafftem Denken und Reden, wird im Wortsinn bemitleidenswert kenntlich in dieser Affäre. Als ein Mann ohne Ziel, der sich langweilt in seinem Amt. Der sich nach neuer Anspannung sehnt, aber nicht erkennt, wo er die finden könnte. Der auch die Inspiration zu mutiger, mitunter gewagter Außenpolitik abgetreten hat an den Kanzler. Einen Kanzler, der von deutscher Verweigerung beim Irak-Krieg über angekündigte Verweigerung gegen einen Iran-Feldzug, die Wiederannäherung an George W. Bush und Condoleezza Rice, die Kampagne für einen deutschen Sitz im Weltsicherheitsrat bis zur Reform der Nato alles, alles selbst steuert. Im Kanzleramt mit seinem Lotsen Bernd Mützelburg. Der Außenminister aber dient nur seinem "Chef". Und streicht das auch noch selbst heraus. Der Vordenker ist Nach-Denker.

Und bei den Grünen ist "Gottvater" nur noch wehmütige Erinnerung an den Macht- und Gestaltungswillen der frühen Jahre. Eine Figur in-between. Käme ein neuer Fischer, der ihnen Richtung verspricht, gäben sie den alten rasch auf. Der Herr Minister wird zum tragischen Capri-Fischer der Grünen. "Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt..."

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Hans-Ulrich Jörges