In Hamburg hat manch große Idee ihren Anfang genommen. Im Kopf des hanseatischen Regisseurs Dieter Wedel zum Beispiel entstand eine Spielfilm-Serie des ZDF, die 1993 die Nation in ihren Bann zog und bis heute unvergessen ist. Mario Adorf gab darin "den großen Bellheim", den 60-jährigen Eigentümer einer Kaufhauskette, der sich drei Jahre zu früh in den Ruhestand verabschiedet hat und plötzlich feststellen muss, dass sein Lebenswerk akut bedroht ist. Kunden werden mies bedient, Verkäufer klauen, und das Management versagt auf ganzer Linie. Also trommelt Adorf alias Bellheim eine Truppe ergrauter, souveränlebenserfahrener Männer aus dem Altersabseits zusammen, krempelt die Ärmel hoch und rettet den Laden. Ganz Deutschland, demografisch gestresst, war entzückt.
In Hamburg wird "der große Bellheim" nun ein zweites Mal inszeniert. Schauplatz ist aber nicht eine Kaufhauskette, sondern die Sozialdemokratische Partei. Sonst stimmt aber eigentlich alles. Die Hamburger SPD bedient ihre Kunden miserabel, irgendjemand aus dem Personal hat Briefwahlzettel geklaut, und das Management ist die nackte Katastrophe. Also krempelt der Lebenskünstler Michael Naumann (65), vorerst noch der kleine Bellheim und ein paar Jahre zu früh vom Kulturstaatsminister aufs Altenteil des "Zeit"-Herausgebers gewechselt, die Ärmel hoch und trommelt eine lebenshungrige Oldie-Truppe zusammen, um den Saftladen zu retten: Gerhard Schröder (63), Helmut Schmidt (88), Klaus von Dohnanyi (78), Henning Voscherau (65) und Günter Grass (79). Durchschnittsalter der Grauen unter der roten Fahne: zarte 73. Ob sich die Hansestadt, politisch extrem gestresst, daran entzücken kann, muss sich erst weisen. Gewählt werden soll am 24. Februar 2008. Dieser Abend mündet in eine Nacht der lebenden Leichen - oder aber in die Rückkehr der Bellheims, Teil drei.
Dieser Teil spielt dann auf ganz grosser Bühne. Auf der nationalen nämlich. Die Besetzungsliste ist in Arbeit. Da ist zunächst mal jener Gerhard Schröder, der unaufhörlich auf Tournee ist, in der Schweiz, in Russland und an vielen Orten, wo große Gagen ausgelobt sind. Er hat viel gehabt vom Leben, aber nicht genug - und er hat zwei ganz persönliche Rechnungen offen. Bei der SPD und bei seiner Nachfolgerin im Kanzleramt, an der alle Rüpeleien, Winkelzüge und Putschgelüste abgeprallt sind. Noch zwei oder drei Jahrzehnte tingeln gegen Geld, das ist nichts für den Unbehausten. Und erst recht nichts für Doris, seine Frau, die ihn in Tränen badete und ihm Traubenzucker injizierte, um den großen Gerd zu noch Größerem anzuspornen (bitte, das ist bildlich gemeint - nicht, dass es eine Klage auf Widerruf hagelt: "Nie habe ich Traubenzucker..."). Nun also erprobt Schröder in Hamburg seine späte Wirkung in der Politik, und da im Januar 2008 auch in Hessen und Niedersachsen gewählt wird, dürfte mindestens noch das Schröder-Land mit dem springenden Ross im Wappen zur Bühne werden für das ergreifende Stück: "Mein Frieden, mein Aufschwung".
Das ist aber längst nicht alles. Im Sommer kehrt Joschka Fischer (59), doppelt gewichtig, aus dem amerikanischen Abklingbecken zurück nach Berlin, um seine prächtige Villa zu beziehen, dort aber ganz gewiss nicht in der Bibliothek zu versauern. Im März war er schon mal da, und als er Europa, Deutschland und den Grünen die Leviten las, saßen seine Nachfolger schon schreckensstarr in der ersten Reihe. Aus Atom-Fischer gibt es keinen Ausstieg. Edmund Stoiber (65), der Noch-nicht-Gegangene, macht gerade seinen Noch-nicht-Nachfolgern klar, dass er einfach niemals fort sein wird. Das Kürzel CSU lädt er mit neuer Bedeutung auf: Christsoziale sind Untote. Hans-Dietrich Genscher, gerade in einem rammelvollen Zirkuszelt 80 Jahre alt geworden, hat diesen Schauplatz mit Hintersinn gewählt: Ein echtes Zirkuspferd kippt in der Manege um - und das kann noch 20 Jahre dauern. Guido Westerwelle träumt seither schwer. Denn im Raketenstreit hat der Ohrenspieler auch noch klargemacht, dass er nur zur eigenen Melodie tänzelt. Egon Bahr (85) deutet unterdessen die Welt für Kurt Beck. Wie vor 40 Jahren, als wäre nichts gewesen. Nur einer fehlt (vorläufig): Helmut Kohl (77), den Angela Merkel weggebissen hat. Aber das kann sich ändern, sollte er am Ende wirklich noch den Friedensnobelpreis bekommen. Arme Angela...
Schröder, Fischer, Stoiber, Genscher - und dann auch noch Kohl? Ihre Botschaft lautet: Wir sind zu früh gegangen - unsere Nachfolger können's einfach nicht
Die Rückkehr der Bellheims vermittelt dem Publikum eine einzige, allen gemeinsame Botschaft: Wir sind viel zu früh gegangen - und unsere Nachfolger können's einfach nicht. Das Teilen der Verzweiflung sichert den Bestand. Zum größten Bellheim übrigens könnte Gerhard Schröder werden. Falls die Inszenierung ankommt in Hamburg, falls Naumann dort mit den Grünen regiert, und falls sich Kurt Becks Not zur Verzweiflung der SPD auswächst - warum sollte dann 2009 nicht der Ruf erschallen nach dem Kanzlerkandidaten Schröder? Doris - Traubenzucker!