Die Zukunft lauert in den Köpfen. Gefangen, gefesselt, bewacht. Dunkelhaft. Sie herauszulassen, zu entfalten, ihre Faszination und Verheißung wirken zu lassen, gar anzupreisen - das ist strengstens untersagt. Ideologische Kerkermeister wachen darüber, dass die Zukunft nicht mehr ist als eine Ahnung. Widerwillig, verschämt wird ihre Existenz überhaupt eingestanden. Selbst ihre heimlichen Vorkämpfer wagen darüber öffentlich nur mit ritualisiertem Ekel zu sprechen. Die Befreiung von Schwarz-Grün aus der Gefangenschaft der Gestrigen müssen andere erledigen. Die Wähler. Damit das unmögliche Bündnis als arithmetischer Unfall daherkommt, um dann von Krisenmanagern mit höchst besorgten Mienen reguliert zu werden.
Die Koalition zwischen Schwarz und Grün, die erste in einem Bundesland, hat viele verborgene Anhänger - sie werden immer mehr -, aber keine Lobby. Am Sonntag könnte die Freilassung in Thüringen gelingen. Könnte. Wieder mal. Wie schon in Baden-Württemberg, im Saarland, in Hamburg. Aber da durfte oder wollte oder musste es nicht gelingen. Da wurde der Schlüssel rasch wieder von der Tür gezogen. Erleichtert. Bedauernd.
Rot-Grün war ein ganz anderes Ding
Rot-Grün war ein ganz anderes Ding. Als in Hessen die erste Landeskoalition zwischen SPD und Grünen entstand, da wurde das als historisches Projekt inszeniert, stolz, im grellen Scheinwerferlicht, mit Joschka, dem Turnschuh-Minister, beim Amtseid. Die missratenen Kinder der Sozialdemokratie nahmen Revanche an den bockigen Eltern. Lustvoll. Wagemutig. Wähler elektrisierend. Die Erinnerung an die Leidenschaft trägt bis heute.
Bei Schwarz-Grün müssen die Wähler klüger sein, als die Politik erlaubt. Sehr viel klüger. In Thüringen treten die Grünen keineswegs mit dem fröhlichen Schlachtruf an, die Alleinherrschaft der CDU zu brechen, ihr Daumenschrauben anzulegen, endlich das überfällige Neue zu wagen, ein Modell für Deutschland zu schreinern. Und Wähler mitzureißen. Es ist das übliche Nur-wenn-es-wirklich-nicht-anders-geht, und selbst dann É Ängstliches Zaudern, zur Schau gestellte Abscheu, die selbst die eigene parlamentarische Existenz aufs Spiel setzt. Ein Trauerspiel.
Dabei hätte Schwarz-Grün gerade dort, mehr noch als im Westen, Signalwirkung. Thüringen könnte für Schwarz-Grün das werden, was Hessen einst für Rot-Grün war. Schauplatz einer spektakulären Befreiungsaktion für eine andere politische Kultur.
Der fixeste Kopf in der ostdeutschen Politik
Das fängt bei den Akteuren an. Dieter Althaus, 45 Jahre junger CDU-Ministerpräsident, unverstellt und eloquent, ist der fixeste Kopf in der ostdeutschen Politik, ein Mann mit Perspektive auch in der Bundespolitik. Der Katholik aus der Diaspora des Sozialismus ist eng vertraut mit Angela Merkel, ausgebildeter Physiker und Physiker der Macht wie sie.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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Katrin Göring-Eckardt, 38 Jahre alte Landesvorsitzende und Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, ist die wohl größte politische Potenz ihrer Partei, Symbolfigur für den Stil- und Generationswechsel bei den Grünen. Die ehemalige Studentin der evangelischen Theologie antwortete der "taz" auf die Frage, warum sie geheiratet habe: "Um den göttlichen Beistand zu erhalten." Göttlich provokant. Göring-Eckardt, frei von der linksradikalen Prägung älterer West-Grüner, analysiert in großer Klarheit die kulturelle Annäherung zwischen Konservativen und jungen Grünen, besonders in der Familien- und Bildungspolitik. "Familie ist Familie", sagt sie. "Es gibt keine CDU-Familie." Die Sehnsucht nach Sicherheit eint alle.
Für Schwarz-Grün muss der Wähler klüger sein, als die Politik erlaubt
Angela Merkel hat das Potenzial der Thüringerin früh erkannt und einen persönlichen Draht zu ihr geknüpft. Gerade weil diese nicht in eine schwarz-grüne Landesregierung einträte, sondern in Berlin bliebe, wäre sie Teil eines höchst interessanten strategischen Dreiecks: Merkel, Althaus, Göring-Eckardt - Ostdeutsche im Zentrum politischer Neuerung. Verlieren Schröder und Fischer die Bundestagswahl 2006, ist Göring-Eckardt bei den Grünen ganz oben. Ihr Partner Althaus ist dann ganz nah am Machtzentrum der Republik - und sie selbst, bei siechender FDP, potenzielle Bündnispartnerin von Merkel in Berlin.
Ex oriente lux. Schwarz-Grün in Thüringen könnte die Politik in frisches Licht tauchen. Weil die Erfurter Ehe zum Gegenmodell von Rot-Rot im ganzen Osten würde. Weil der Osten endlich innovativ integriert, Avantgarde für den Westen wäre. Und weil dann auch die Barrieren gegen Schwarz-Grün im Bund geschliffen würden. Erkennen die Thüringer, dass sie für Deutschland wählen?